Schwere Vorwürfe von Tillich an Dulig

Erstveröffentlicht: 
21.10.2016

Dresden. Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) hat in der CDU-Fraktionssitzung am Donnerstag heftige Kritik an Vize-Regierungschef Martin Dulig (SPD) geübt. Mehrere Teilnehmer der Sitzung bestätigten der "Freien Presse" Tillichs Äußerung, wonach seine Vertrauensbasis zum SPD-Chef "kaputt" sei.

 

Er selbst, so hieß es weiter, habe Dulig vorgeworfen, dass es "unterste Schublade" sei, in der aktuellen Situation "auf den Freistaat draufzuscheißen". Dulig hatte zuvor dem "Stern" gesagt, dass es in Sachsen ein "qualitatives Problem in den Führungsebenen" und in Polizei und Justiz eine "inakzeptable Laisser-faire-Haltung zu demokratischen Grundprinzipien" gebe.

 


 

Tillich vertraut Dulig nicht mehr

 

Darf ein Vizeregierungschef das? Martin Dulig prangert qualitative Mängel und rechte Tendenzen in sächsischen Behörden an. Nicht zum ersten Mal. Für den Koalitionspartner CDU ist das Maß voll.


Von Martin Fischer
erschienen am 21.10.2016

Dresden. Als habe Sachsens Regierung nicht schon genug mit Schadensbegrenzung zu tun: Regelmäßig werden Asylunterkünfte angegriffen, zuletzt die Pöbeleien am Tag der Deutschen Einheit in Dresden und danach auch noch der Fall al-Bakr. Der Ruf ist längst ramponiert. Nun aber kommt noch ein handfester Krach unter den schwarz-roten Koalitionären um das Image des Freistaates hinzu. Die Opposition schaut skeptisch auf das Treiben. Schon vor Monaten hatte der Vizeministerpräsident Martin Dulig (SPD) sich öffentlich die Frage gestellt, ob Sympathien für Pegida und Co. innerhalb der sächsischen Polizei größer seien als im Bevölkerungsdurchschnitt. In einem "Stern"-Interview legt der SPD-Chef jetzt nach, spricht von einem "qualitativen Problem in den Führungsebenen" und einer "inakzeptablen Laisser-faire-Haltung" gegenüber demokratischen Grundprinzipien bei Polizei und Ordnungsbehörden. Den Grund liefert er mit: 26 Jahre CDU-Regierung.

 

Beim großen Koalitionspartner läuft das Fass über: In der CDU-Fraktionssitzung findet Ministerpräsident Stanislaw Tillich deutliche Worte für die Äußerungen seines Vizes: In dieser Situation "auf den Freistaat draufzuscheißen", sei "unterste Schublade", sagt Tillich. Das bestätigen mehrere Teilnehmer der gestrigen Sitzung der "Freien Presse". Die Vertrauensbasis zu Dulig sei für ihn kaputt. Der CDU bleibe aber nichts anderes übrig, als das zur Kenntnis zu nehmen. Öffentlich meldet sich CDU-Generalsekretär Michael Kretschmer zu Wort: "Martin Dulig hat ein zweites Mal pauschal Menschen, die für den Freistaat Sachsen arbeiten, bezichtigt, extremistische Positionen zu vertreten. Er schadet unserem Land durch sein Auftreten." Der Wirtschaftsminister mache sich damit "zum Kronzeugen für das Sachsen-Bashing". Und Kretschmer fragt sich: "Wenn er ein so großes Misstrauen gegenüber den Beamten und Angestellten des Freistaates Sachsens hegt, wie kann er auf Dauer mit diesem Konflikt zurechtkommen?"

 

"Ich bin Vorsitzender der sächsischen SPD, einer selbstbewussten Regierungspartei in Sachsen, und nicht das Anhängsel einer CDU", kontert der Gescholtene prompt aus dem fernen Moskau, wo er sich gerade mit einer Wirtschaftsdelegation aufhält. "Ich trage Verantwortung. Und wenn man etwas verändern will, dann muss man erst einmal kritikfähig sein." Damit sei es aber beim Koalitionspartner nicht weit her. Seit jeher gebe es in der Sachsen-Union ein großes Misstrauen "gegen jegliches Engagement, das nicht ins eigene Verständnis passte", meint Dulig in dem "Stern"-Interview. "Viele haben Rechtsextremismus und Rassismus verharmlost. Es wurde eingeteilt, wer ein guter und wer ein schlechter Demonstrant und Demokrat ist." Zugleich habe der Staat nur ungenügend klargemacht, dass er das Gewaltmonopol besitze - "und nicht etwa irgendwelche fremdenfeindlichen Schläger, die grölend durch Sachsen ziehen".

 

Der Kampf gegen Rechtsextremismus ist wichtig, da sei man sich einig, sagt Kretschmer. "Ich wünsche mir nur eine Koalition, in der man unterschiedliche Positionen erst untereinander bespricht und dann vernünftig miteinander umgehen kann." Das ist offenbar derzeit nicht ganz leicht in Sachsen. Am vergangenen Wochenende scheiterte eine Einigung auf ein Maßnahmenpaket gegen den Lehrermangel. Bei einer Sondersitzung wollte das Kabinett eine von den CDU-Ministern Brunhild Kurth (Bildung) und Georg Unland (Finanzen) vorbereitete Vorlage absegnen, nachdem Verhandlungen mit den Gewerkschaften gescheitert waren. Die SPD ging nicht mit. Nun wird erst einmal in einer Arbeitsgruppe weiterverhandelt.

 

SPD-Generalsekretärin Daniela Kolbe sieht Schwarz-Rot durch die aktuelle Debatte nicht in Gefahr. "Wir haben Gestaltungswillen und sind bewusst in diese Koalition gegangen", sagt sie. "Wir wollen Sachsen voranbringen. Dazu gehört es auch, Probleme zu benennen. Und an der Stelle entzündet sich ja offensichtlich gerade der Konflikt zu Teilen der CDU, wo es den alten Reflex gibt: Jeder, der kritisiert, ist ein Nestbeschmutzer, und Kritik ist inakzeptabel." Staatsabbau und die verunsicherte Bürgergesellschaft seien "die Kernprobleme dieses Landes", sagt Kolbe. Das habe die SPD lange erkannt und werde es deshalb auch zum zentralen Thema beim Landesparteitag am Wochenende in Chemnitz machen - neben der Wahl des Vorstands, bei der auch Dulig wieder als Parteichef antritt.

 

Es wundere ihn nicht, dass Dulig "direkt vor dem SPD-Parteitag versucht, gegenüber der CDU einen Koalitionsstreit zu inszenieren", unkt Grünen-Fraktionschef Volkmar Zschocke. Vielmehr verwundere, dass es der SPD in zwei Jahren ihrer Regierungstätigkeit in zentralen Politikfeldern nicht gelungen sei, der CDU Paroli zu bieten.