Aliens, Impfung & Co. – Was Verschwörungstheoretiker wirklich denken

Erstveröffentlicht: 
10.10.2016

Von Anne Waak - Das Unheimlichste ist das Wissen, dass da draußen noch viel mehr von diesen Menschen herumlaufen. Wenigstens haben sie hier am Eingang alles abgeben müssen, was ihnen als Waffe dienen könnte: die Glasflaschen, das Pfefferspray, die Regenschirme.


Der Kopp-Verlag, zuständig für „unterdrückte Wahrheiten“, hat zu seinem ersten Kongress geladen. Gegründet Mitte der Neunzigerjahre von dem Ex-Polizisten Jochen Kopp, bringt der Verlag Bücher heraus wie „Die Asylindustrie“, „Verheimlicht, vertuscht, vergessen – Was 2016 nicht in der Zeitung stand“, „Die Erde, ein Projekt der Aliens“, „Veggie-Wahn“, aber auch, ungleich affirmativer: „Penis-Power“.

Bekannt wurde Kopp, weil die wegen ihrer Dritte-Reich-Nostalgie gefeuerte „Tagesschau“-Sprecherin Eva Herman beim Onlinemagazin des Verlags eine neue Heimat fand. Laut eigenen Angaben verschickt man vom schwäbischen Rottenburg aus täglich 10.000 bis 25.000 Bücher. Wobei unklar ist, warum man Leuten, die propagieren, die Erde sei von Aliens erschaffen worden, ausgerechnet ihre Zahlen glauben soll.

Etwa 1300 Menschen sitzen in Tweed-Sakkos und über dem Bauch spannenden Camp-David-Hemden mit verschränkten Armen in der Stuttgarter Messehalle, um den zehn vortragenden Kopp-Autoren zuzuhören. Publikum und Referenten rekrutieren sich gleichermaßen zum großen Teil aus mittel- bis ganz alten Männern; Frauen, junge Paare und drei bemitleidenswerte Kinder sind aber auch da. Das Kongress-Programm reicht von Esoterik bis Rechtspopulismus. In der Halle riecht es nach Schweiß.

Sieben Hinweise auf das eigene Buch

„Verkappte Religionen“ heißt ein 1924 erschienenes Buch des Schriftstellers Carl Christian Bry. Darin unterscheidet er Religionen, für die der Mensch unvollkommen, weil sündig und schwach ist, von verkappten Religionen, zu denen er Antisemitismus und Sexualreform zählt. Anhänger verkappter Religionen glauben, dass sich die meisten Menschen weigern, die hinter der Welt liegende Wahrheit zu sehen. Die verkappt Religiösen nennt Bry deswegen: Hinterwäldler. In Stuttgart hat jeder Hinterwäldler 150 Euro bezahlt, um auf seinesgleichen zu treffen.

Und zum Beispiel Armin Risi zu hören. Der Schweizer schafft es, seinen Vortrag um insgesamt sieben Hinweise auf sein Buch „Wir Lichtwesen“ herumzustricken, es geht um Sanskrit-Semantik, Zahlenmystik, Geistheilung und die Plapperschlange, die Eva den Apfel einredete.

Plapperschlange, denkt man, ist eigentlich eine ganz niedliche Beschreibung für Leute wie Risi oder auch Claus W. Turtur, ein Physiker, der im Auftrag Gottes mit der Raumenergie eine unerschöpfliche und kostenlose Energiequelle entdeckt hat. Leider, leider aber fehlen ihm die Mittel, sie im großen Stil zu gewinnen und sich so gegen die Übermacht der Energiekonzerne durchzusetzen, deren Ende seine Erfindung wäre. Auch Hitlers Atombombe, die laut Autor Thomas Mehner im Thüringer Boden vor sich hinrottet, ist für den Rest der Welt ein bisschen egal.

Nicht ganz so harmlos ist schon Hans Tolzin, ein Ex-Milchwirt und Impfgegner. Sein Vortragsthema lautet in für diese Veranstaltung seltener Ausgewogenheit: „Impfung: Segen für die Menschheit oder nutzlos und schädlich?“. Da aber alle Anwesenden „vorinformiert“ sind, können seine Ausführungen zügig auf ihren Höhepunkt zuschreiten: Impfen ist staatlich subventionierter Massenmord. Im Jahr 2030 werden in den Vereinigten Staaten die Hälfte aller Kinder Autisten sein – aufgrund von Impfschäden. Der Saal schnappt hörbar nach Luft.

Angela Merkel, „unsere geliebte Führerin“

Tolzin ist gesundheitsgefährdend, Udo Ulfkotte hingegen ein übler Rechtspopulist. Kopps Bestseller-Autor war früher „FAZ“-Redakteur und ist heute Deutschlands führender Islamophober. Seine Thesen: Die „Flüchtlingsmassen“ werden ins Land gelenkt, damit die Pharma-, die Versicherungsbranche und die Hilfsorganisationen von ihnen profitieren können. Ulfkottes liebstes rhetorisches Mittel ist, zu behaupten, er würde etwas nicht tun – und es dann umso ausführlicher zu tun.

Er fabuliert von vergewaltigenden Jungmännerhorden und Geheimplänen im Kanzleramt, um dann zu mahnen: „Richten Sie Ihren Zorn nicht gegen die Muslime“. Sein bester Witz besteht darin, dass er Angela Merkel „unsere geliebte Führerin“ nennt. Der kommt so gut an, dass er ihn gleich ein paarmal bringt. Große Freude im Saal.

Auch sonst führt die Nennung des Namens „Merkel“ verlässlich zu Johlen und verächtlichem Grunzen. Er wäre der Joker, würde man zum Zeitvertreib eine Art Verschwörungstheoretiker-Bingo spielen, bei dem gewinnt, wer zuerst alle szenetypischen Buzzwords gehört hat: Lügenpresse, Illuminaten, Meinungsdiktatur, Jochen Kopp. Denn der Kongress dient auch als Gottesdienst für seinen Veranstalter. Jemand wie Kopp, der „mutige Mann“, der gegen alle Widerstände „Licht in dieses Dunkel bringt“, helfe den Versammelten dabei, die Zustände da draußen auszuhalten. Großer Applaus.

Sonst beschränkt sich die Rolle der Zuhörer auf die von Kindern im Kasperle-Theater: Sie nicken heftig oder schütteln die Köpfe. Nachfragen oder Widerrede sind nicht erwünscht. Wenn man sich zu offensichtlich für die Gespräche versprengter Pausengrüppchen interessiert, kann es einem passieren, dass man für eine Abgesandte des Bundesnachrichtendienstes gehalten und einem noch den halben Tag misstrauisch hinterhergeäugt wird.

„Putin will doch nur Frieden“

Bei allem, woran Hinterwäldler leiden, mangelndes Selbstbewusstsein ist es nicht. Bry attestiert ihnen Monomanie. „In der Mitte des zum Teil ganz ungeheuren Gedankengebäudes der verkappten Religionen steht immer eine Richtigkeit, meist selbst eine Wahrheit. Sie wird dadurch in ihrer ‚Wirkung’ gestärkt, und um ihre Wirkung gebracht, dass sie alle anderen Gedanken einschluckt.“

Alles Eingeschluckte muss aber auch mal wieder raus, und so schrillt in der Pause eine aparte Endvierzigerin in Spitzenleggings einem Bärtigen entgegen: „Putin will doch nur Frieden!“. Putin, so lernt man bei den Hinterwäldlern schnell, ist gut, weil er gegen Amerika ist. Alles, was aus Amerika kommt, ist schlecht. Es folgt ein Satz, in dem 9/11, John F. Kennedy, Uwe Barschel und Jörg Haider vorkommen.

Während der Insasse der Psychiatrie alle außer sich selbst für verrückt hält, sind sich Verschwörungstheoretiker untereinander einig. Nichts ist zu ausgedacht, um nicht auch noch ins Weltbild eingemeindet werden zu können. Wer an Lichtnahrung glaubt, glaubt auch, dass Milch keine Laktose-Intoleranz auslöst, wenn man den Kühen ihre Hörner lässt und dass 9/11 das Werk „der Juden“ war.

Von der Esoterik ist es immer nur ein kleiner Schritt zum Antisemitismus. Spätestens beim Auftritt Erich von Dänikens, dem lieben Märchenonkel und Original-Spinner, im Geschäft seit 1968, erwartet man dann wenigstens milde Skepsis. Weil: Aliens. Die Genmutationen an Affen vornahmen und so den Menschen erschufen. Aber es wird weiter verständig genickt.

„Wir werden betäubt und belogen und eingeseift“

Man muss sich die Hinterwäldler als von den Widersprüchen der Welt schlimm überforderte, aber gegenüber ihresgleichen unendlich tolerante Leute vorstellen. Das Hirnzermarternde ist bekanntlich die scheinbar unhintergehbare Logik der Behauptungen: „Der Vorwurf Verschwörungstheorie“, sagt der ehemalige „Lügenpresse“-Journalist Gerhard Wisnewski „ist der tollste Echtheitsstempel. Er ist immer der Beweis für die Verschwörung selbst.“

Tja, nun. Das ist der Zauber alles hier Vorgetragenen: In Zirkelschlusslogik wird immer nur wieder auf die eigenen Bücher als Quellen verwiesen. Oder auf das Internet. Verschwörungstheorien gibt es seit der Antike, aber erst im Netz finden alle ihre Anhänger unendlich Futter und Hallraum für jegliches Gehirngespinst. Sie erschaffen sich ein autopoietisches System, in dem jede Störung von außen als Beweis der eigenen Überlegenheit dient. „Dem Hinterwäldler schrumpft die Welt ein“, schreibt Bry. „Er findet in allem und jedem Ding nur noch die Bestätigung der eigenen Meinung.“

Wisnewski beendet seinen Vortrag über die „sozialistische Diktatur“ der „Weltregierung UNO“ mit dem Hinweis, dass sich das Welthungerproblem von selbst lösen würde, entließen wir nur mehr CO2 in die Atmosphäre. Eine Zuhörerin stenografiert einem Zuhausegebliebenen per WhatsApp: „Die UNO ist die Wurzel des Übels! Klima ist eine Lüge! Wir werden betäubt und belogen und eingeseift!“

Im Foyer können die Bücher des Verlags erworben werden, die Referenten signieren. Dazu wird Überlebens-Tand verkauft: ein Panik-Alarm für die Westentasche, eine leere Ravioli-Dose als Supergeheimversteck. Denn das ist Horizont und Fluchtpunkt der Szene, da enden alle hyperventilierenden Gespräche: mit dem Traum vom Leben als sich selbst versorgendem Einsiedler. Die Apokalypse wird gefürchtet und heiß herbeigesehnt. Sie wäre der Beweis, dass man es schon immer gewusst hat.