AfD: Mission Gesprächs­bereit­­schaft

Erstveröffentlicht: 
22.09.2016

Die Ex-Grüne Antje Hermenau lässt sich von der AfD einladen. Denn die Partei auszugrenzen, hält sie für unrealistisch. Sie will dazulernen. Ein Beispiel für andere?

 

Nicht alles, was im Buch von Antje Hermenau steht, hatte lange Bestand. Sie schreibt darüber, dass die Abschaffung des Bargeldes droht und dass die Ukraine Russland weiteres Land überlassen müsste, um Frieden zu bekommen. Fragestellungen aus dem vergangenen Jahr, in dem das Buch erschien, die sich längst erledigt haben. Das Starke an Hermenaus Thesen ist aber auch nicht, dass sie immer zutreffen, sondern dass die Autorin weiß, dass sie eben nicht immer zutreffen. Sie will, dass man ihr widerspricht.

 

Hermenau war viele Jahre Landtags- und Bundestagsabgeordnete für die Grünen und verzichtete schließlich auf ihr Mandat, weil die Partei ihr nicht folgen wollte. Das hat ihr Respekt eingebracht. Nun stellt sie ihr Buch bei einer AfD-Veranstaltung im sächsischen Döbeln vor und man fragt sich: Hat Hermenau die Fronten gewechselt oder kann ihr Umgang mit der AfD ein Beispiel für andere sein?

 

Sie sitzt nun also mit ihrem Buch voller Lesezeichen in einem Raum, der irgendwann einmal per Schwammtechnik in rosa gestylt wurde. Rund drei Dutzend AfD-Anhänger sind dabei, einige Linke und ein paar Journalisten. Es geht um die noch immer nicht überwundene deutsche Teilung, um Herausforderungen auf dem Arbeitsmarkt, um Europa, um dies und das. Hermenau meint zum Beispiel, dass Sachsen Zuwanderer braucht. Nicht nur, um in den kommenden Jahren die Rente zu finanzieren, sondern auch, um Traditionen zu bewahren und Kultur am Leben zu halten. Außerdem kritisiert sie an der AfD, dass dort Alleinerziehende höchstens "geduldet" würden.

 

Im Saal wird getuschelt. Was folgt, ist eine Diskussion über Familienpolitik, wie sie in der AfD üblicherweise einmal geführt wird. Einer sagt, die Deutschen müssten wieder mehr Kinder bekommen und verteidigt die "klassische" Familie, bei der beide Eltern da sind. Eine Mutter von sieben Kindern beschwert sich, dass Erziehungsarbeit zu wenig Anerkennung bekomme. Was Antje Hermenau daraufhin sagt, könnte aus einem Debattenlehrbuch stammen. Der Mutter sagt sie: "Ich möchte als Berufstätige nicht als Rabenmutter gelten und halte Ihre Arbeit für genauso wertvoll wie meine." Zum Familienbild sagt sie, dass ihr Sohn oft etwas mit Mutter und Vater zusammen unternehmen wolle. "Aber Mama und Papa wollen das nicht." Natürlich sei das für das Kind eine Belastung. "Wir haben es nicht besser hinbekommen." Weitere Nachfragen kommen zu dem Thema nicht mehr. 

 

Von der AfD "dazulernen"


Im Gespräch zeigt Hermenau Verständnis für die Menschen, die sie "kulturell Zornige" nennt. Viele von ihnen hätten eigentlich kein Problem mit Alleinerziehenden oder auch Homosexuellen. Nur hätten diese Gruppen so lange die Aufmerksamkeit der Politik bekommen, dass sich andere benachteiligt fühlten.

 

Die kulturell Zornigen bilden für Hermenau einen Teil der Unzufriedenen, die bei Pegida mitlaufen oder AfD wählen. Andere Gruppen sind die sozial Abgehängten, denen das Sozialsystem nichts anzubieten habe; die ökonomisch Unzufriedenen, die sich an der Eurorettung und der Niedrigzinspolitik stören; und die intellektuell Überforderten, die das politische System missverstehen. Hermenau fügt hinzu, dass dies keine abschließende Analyse ist. Sie würde auch gerne besser verstehen, warum so viele Wähler ihre Stimme sinnlos an eine Protestpartei verschenken. Auch darum ist sie gerne zur AfD gekommen, um dazuzulernen.

 

Einen Tabubruch sieht sie in ihrem Auftritt nicht. Die Partei auszugrenzen, hält sie ohnehin für unrealistisch. Dafür sei die Wählerschaft zu groß. "Ich will nicht in einer gespaltenen Gesellschaft leben", sagt sie. Den Rassismus in der Partei will sie nicht ausblenden, aber sie will sich davon auch nicht die Chance auf jedes Gespräch nehmen lassen. Eine schwierige Abgrenzung? Bei der Veranstaltung dreht der Wortbeitrag eines AfD-Mitglieds in abfällige Bemerkungen über eine Libanesin. "Nanananana!", fällt ihm Hermenau ins Wort und gebietet ihm mit einer Handbewegung Einhalt. Es funktioniert. Auch beim AfD-Publikum hat sie dafür genug Autorität. Anschließend geht sie nüchtern auf den nichtrassistischen Teil des Wortbeitrags ein.

 

Manche Politiker profilierten sich gerne damit, sich besonders klar gegen rechtes Gedankengut abzugrenzen. Hermenau hält das nicht generell für falsch, aber sie sagt: "Den Gegenpol zu etwas zu bilden, ist noch kein eigenes Konzept." 

 

Niedergeschriebener Frust


Ein umfassendes Politikkonzept enthält auch ihr eigenes Buch nicht. Es besteht aus niedergeschriebenem Frust, der sich über Jahre bei Hermenau ansammelte. Dinge, die sie einfach einmal loswerden wollte, oft unsortiert, zu wenig belegt und nicht ausreichend ausgeführt. Für AfD-Anhänger gibt es darin Anknüpfungspunkte: von der Ablehnung einer europäischen Gemeinschaftswährung bis zur Skepsis über die Integrationspolitik der vergangenen Jahrzehnte.

 

Bei ihrer Lesung sind einige Skurrilitäten über die Grünen zu erfahren. Ihre Fraktion im Landtag, so erzählt es die Ex-Grüne, wollte ihr einmal verbieten, mit einem CDU-Kollegen Zigarillos zu rauchen. Das höhnische Gelächter im Raum würgt sie sofort wieder ab: "Ihre Partei wird von solchen Sachen auch nicht frei sein", sagt sie. Demokratie sei nun einmal anstrengend und erfordere viel Geduld. Auch das will ja nicht jeder AfD-Anhänger immer wahrhaben.

 

Wenn sie wüsste wie, würde sie daran arbeiten, den Erfolg der AfD zu schmälern. Daran lässt sie im Gespräch keinen Zweifel. Nur wie? "Die Ausgrenzung hat zumindest nicht dazu geführt, dass die AfD schwächer geworden wäre", sagt sie. Ihre Erfahrung sei: "Mit Reden kann man etwas erreichen." Nach der Veranstaltung wird sie gefragt, ob sie glaubt, dass ihr Auftritt "etwas gebracht" habe. Sie antwortet: "Meine einzige Mission ist, Gesprächsbereitschaft herzustellen."