Der "Gefangenen Info"-Prozess

gefangenen info
Die Geschichte der Kriminalisierung linker Medienprojekte reicht weit zurück. Doch gehört sie nicht der Vergangenheit an. So findet in der kommenden Woche, am 21. April 2010, vor dem Berliner Amtsgericht in Tiergarten ein Prozess gegen die Antirepressions- und Solidaritätszeitung Gefangenen Info statt. Grundlage hierfür ist eine Verleumdungsklage durch den vorsitzenden Richter beim OLG Düsseldorf, der einen der drei laufenden §129b-Prrozesse leitet.

Neben vielen anderen linken Publikationen gehört das Gefangenen Info mit seiner 21 jährigen Geschichte wohl zu jenen Projekten, die Strafverfahren (angefangen von Verleumdungsklagen, Staatverleumdung §90a bis hin zu §129a) wie ein Magnet anzieht. Grund hierfür ist wohl mitunter der Charakter der Zeitung, der die Einbeziehung der politischen Gefangenen als einen elementaren Bestandteil ihrer Aufgaben sieht. So entstand sie 1989 während des 10. kollektiven Hungerstreiks als „Hungerstreik Info“ und bot insbesondere den Gefangenen aus der RAF und dem antiimperialistischem Widerstand eine unzensierte Plattform. Doch ihr internationalistisches Verständnis sorgte dafür, dass die politischen Gefangenen aus den unterschiedlichsten Ländern und Kämpfen darin repräsentiert wurden.

Das Gefangenen Info verfolgte seit Beginn des ersten §129b-Prozesses in Stuttgart-Stammheim am 17. März 2008 intensivst die Entwicklungen der aktuellen „Anti-Terror-Prozesse“ und leistete kontinuierliche, kritische Berichterstattung. Dazu schrieb sie in ihrer aktuellen Ausgabe:
Wir haben im Rahmen der Arbeit gegen die §129b-Prozesse feststellen können, dass wir mit unseren Aktionen und Aktivitäten einen Störfaktor darstellen und von den Repressionsbehörden dementsprechend zur Kenntnis genommen werden. Neben einer Presseerklärung der Verfassungsschutzvorsitzenden von Baden-Württemberg im Sommer 2008, in der vor einer Zusammenarbeit zwischen türkischen und deutschen Linksradikalen gewarnt und damit Hetze betrieben wurde, den darauffolgenden Verhaftungen von Nurhan Erdem, Ahmet Istanbullu und Cengiz Oban im November 2008 und den Misshandlungen von ProzessbesucherInnen während der Gerichtsverhandlung im OLG Düsseldorf beim Prozess gegen Faruk Ereren am 27. Mai 2009 ist nun auch das Gefangenen Info mal wieder ins Visier der Repressionsmaschinerie gerückt.
(aus Gefangenen Info 354, S. 5) 

Worum geht es beim Prozess?

Im Rahmen der kritischen Berichterstattung zu den §129b-Prozessen in Stuttgart-Stammheim und Düsseldorf druckte das Gefangenen Info im letzten Sommer einen Prozessbericht einer OG der Roten Hilfe ab, bei dem u.a. der vorsitzende Richter in Düsseldorf zitiert wurde. Die Veröffentlichung des besagten Prozessberichts brachte Strafbefehle gegen die Onlinezeitung "Scharf-Links" über 12.000 Euro und dem Gefangenen Info über 2.800 Euro ein. In dem besagten Bericht ging es um die Anhörung des Zeugen Nuri Eryüksel, welcher während seiner Haftzeit und die Folter in der Türkei erblindet war. Er verbrachte außerdem sechs Jahre in deutschen Gefängnissen, weil er wegen „DHKP-C“-Mitgliedschaft verurteilt worden war. An jenem Prozesstag verweigerte Eryüksel einen Teil der Aussagen, woraufhin er einen Monat in Beugehaft genommen wurde. „Scharf-Links“ wurde freigesprochen.

Worüber schreibt das Gefangenen Info?

Als Reaktion auf die Repression (wobei hervorgehoben wird, dass der Prozess gegen das Gefangenen Info nicht losgelöst von den §129b-Prozessen gesehen werden dürfe) thematisierte das Gefangenen Info in ihren letzten beiden Ausgaben vermehrt über die Prozesse gegen die kriminalisierten, migrantischen RevolutionärInnen. In ihrer aktuellen Ausgabe schreibt das Gefangenen Info über die mit Verfahren übersähte Geschichte des Gefangenen Infos und geht auf weitere Publikationen (von der agit 883 bis zur radikal) ein, die in der BRD verfolgt wurden bzw. werden.

Der kriminalisierte Bericht „Blind in Beugehaft“ ist Nachzulesen unter:
 http://rotehilfegreifswald.blogsport.de/2009/07/02/olg-duesseldorf-blind-in-beugehaft/

Zum Prozess gegen „Scharf-Links“:
 http://www.stattweb.de/baseportal/NewsDetail&db=News&Id=6851

Weiterführendes zum Thema:
 http://de.indymedia.org/2010/03/276911.shtml
 http://www.jungewelt.de/2010/04-15/042.php?sstr=129b
 http://www.rote-hilfe.de/news/Verleumdungsklage-gegen-scharf-links-und-das-Gefangeneninfo
 http://www.pm-buendnis.de/de/aktuelles/nachricht/ansicht/scharf-links-solidaritaet-mit-dem-gefangenen-info/
 http://political-prisoners.net/home.php?id=1136〈=de&action=news

Termine:

Prozess gegen das Gefangenen Info:
21. April 2010, 12.30 Uhr
Amtsgericht Tiergarten
Turmstr. 91, Raum 769
10559 Berlin

Informationsveranstaltung:
19. April 2010, 19.00 Uhr
Junge Welt Ladengalerie
Torstraße 6, 10119 Berlin

Mit Beiträgen von
Wolfgang Lettow (Presserechtlicher Verantwortlicher des Gefangenen Info),
Nick Brauns (Journalist bei der Jungen Welt),
Christian Herrgesell (Komitee für Grundrechte und Demokratie) und
VertreterInnen des Komitees gegen §§129


Aus dem Vorwort des aktuellen Gefangenen Infos:

Liebe Leserinnen und Leser,

am 21. April 2010 steht gegen das GI ein weiteres Verfahren wegen einer Verleumdungsklage bevor. Wir hatten bisher bereits darüber informiert und gehen in dieser Ausgabe etwas näher darauf ein. Neben einem Artikel zur Kriminalisierung der linken Presse in der BRD, haben wir mit einem weiteren Beitrag versucht, die Kriminalisierung des GI mit einigen Beispielen aus der Geschichte zu verdeutlichen. Zum aktuellen Verfahren haben wir außerdem ein Artikel verfasst, das die politischen Hintergründe des aktuellen Kriminalisierungsversuchs herausstreichen soll.

Da das Verfahren unmittelbar mit unserer kritischen Berichterstattung hinsichtlich der laufenden §129b-Prozesse zusammenhängt, findet sich in dieser Ausgabe ein Interview mit Rechtsanwältin Britta Eder, einer Verteidiger von Cengiz Oban. Dieses Interview betrachten wir als eine inhaltliche Ergänzung bzw. Vertiefung des Schwerpunktes unserer letzten Ausgabe, in der wir ausführlicher über die §129b-Prozesse informierten.
Neben den Prozessen gegen vermeintliche Mitglieder der DHKP-C droht nun neben dem Gefangenen Faruk Ereren auch dem in Italien inhaftierten Avni Er die Auslieferung an die Türkei, zu dem wir ebenfalls einen kurzen Beitrag anhand eines Aufrufs von Amnesty International verfasst haben.

Im Berliner „MG-Prozess“ ist mittlerweile die schriftliche Unrteilsbegründung des Kammergerichts eingetroffen, worauf die Verteidigung in Revision gegangenen ist. Über diese wird vom Bundesgerichtshof in Karlsruhe entschieden werden. Neben einem Artikel zur Revision haben wir einen lächerlich anmutenden Brief der Bundeswehr dokumentiert, der vor der Urteilsbegründung bei einem der Angeklagten eingetroffen war... aber lest es Euch selber durch auf Seite 8.

Bezüglich der repressiven Entwicklungen im Baskenland sind wir mit einem Beitrag auf Seite 10 auf das Verschwinden des Aktivisten Jon Anza eingegangen, dessen Leiche mittlerweile gefunden wurde. Uns freut es, bezüglich der Gefangenenkollektive im Baskenland einen Brief von Markel Ormazabal erhalten zu haben, der in der Gefangenenrubrik nachzulesen ist.
Ebenfalls mit Gefangenenkollektiven im internationalen Kontext befasst sich ein Beitrag der Roten Hilfe International, welcher sich auf die Gefangenenwiderstände in Italien, dem Baskenland und den Widerstand der anarchistischen Gefangenen bezieht.
An dieser Stelle bedanken wir uns recht herzlich bei Marco Camenisch, der uns seine übersetzten Dokumente zum internationalen Hungerstreik anarchistischer Gefangener vom 20. Dezember 2009 bis 01. Januar 2010 zukommen ließ, die wir versucht haben, zu einem Artikel zusammenzufassen.

Weitere Themen neben der Repression gegen die kurdische Bewegung in Europa sind der Tod des Zeitungsmitarbeiters Alatas in Adana/Türkei und die in der Türkei weiterhin laufende Kampagne für die Freiheit der kranken Gefangenen.

Schließlich haben wir wieder mehrere Briefe aus den Knästen abgedruckt und unsere Seite 19 mit den aktuellen Gefangenenadressen versehen - verbunden mit der Aufforderung, ihnen zu schreiben.

Drinnen und draußen - EIN KAMPF!

Die Redaktion