Kriminalität ist größtes Problem – Leipziger aber zufrieden wie nie

Erstveröffentlicht: 
30.08.2016

Die Einwohner der Messestadt sind so glücklich wie noch nie seit 1991, Kriminalität wird aber immer stärker als Problem wahrgenommen. In der jüngsten Kommunalen Bürgerumfrage hat die Mehrheit der Leipziger auch einem „Bürgerticket“ der LVB eine Absage erteilt.

 

Wohnungseinbrüche, Raubüberfälle, Diebstähle: Die Kriminalität in Leipzig wird von immer mehr Einwohnern als größtes Problem der Stadt wahrgenommen. „Das Sicherheitsgefühl ist angeschlagen“, sagte Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) am Montag bei der Vorstellung der Ergebnisse der Kommunalen Bürgerumfrage 2015. Rund 49 Prozent der Befragten sorgen sich um Kriminalität – 20 Prozent mehr als noch vor fünf Jahren. Mit großem Abstand ist der schlechte Straßenzustand Problemthema Nummer zwei (29 Prozent) vor dem Zusammenleben mit Ausländern (24 Prozent).

 

Die Ursache für das Ergebnis sieht Jung bei der Unterbesetzung der Polizei. „Wir brauchen eine stärkere Präsenz auf Straßen, Plätzen und in Parks, in zivil aber auch in Uniform. Die Menschen möchten wieder den Polizisten sehen.“ Er fordert deshalb vom sächsischen Innenministerium „zügig“ mindestens 200 Beamte zusätzlich in Leipzig. „Dann wären wir auf einem Niveau, auf dem ich nicht klagen könnte.“ Die Stadt wolle auch selbst mit einer Verstärkung des Ordnungsdienstes gegensteuern. Sogenannte Ordnungsinspektoren in Uniform sollen, wie Jung bereits im LVZ-Interview ankündigte, ab 2017 mit Elektroautos durch Leipzigs Straßen und Parks fahren. Sie würden gegen Lärmbelästigungen, Müllprobleme oder Bettler vorgehen, aber auch Tempo- und Parkkontrollen durchführen, so der OBM. 

 

Neuer Spitzenwert: Vier von fünf Leipzigern sind glücklich


Trotz der Probleme sind die Leipziger immer glücklicher in ihrer Stadt. 79 Prozent der Befragten gaben an, mit ihrem Leben zufrieden oder sehr zufrieden zu sein – so viele wie noch nie seit Beginn der Befragungen im Jahr 1991. Der Wert stieg zum Vorjahr um einen Prozentpunkt an. Vor zehn Jahren hatte er noch bei 53 Prozent gelegen. „Die Stadt ist sexy“, bilanzierte Jung und ließ sich sogar zu diesem Satz hinreißen „Ich verstehe das: Möchten Sie in Bochum wohnen? Ich nicht.“ Vor allem bei jenen, die jedes Jahr zu Tausenden nach Leipzig ziehen, sei die Zufriedenheit besonders hoch.

 

Bei der repräsentativen Umfrage des Amts für Statistik und Wahlen – seit 1991 jährlich durchgeführt – wurden im vergangenen Herbst zufällig ausgewählte Bürger befragt. Von 18.000 Fragebögen kam knapp die Hälfte ausgefüllt zurück. Das sind weitere ausgewählte Ergebnisse:

 

Einkommen: Die Leipziger haben im Vergleich zum Vorjahr im Schnitt 47 Euro mehr pro Monat im Portemonnaie. Das Nettoeinkommen stieg auf 1254 Euro. „Es bleibt jedoch dabei: Im Bundesvergleich ist Leipzig eine arme Stadt“, so Verwaltungsbürgermeister Ulrich Hörning. Vor allem junge Menschen bis 25 Jahre und Ältere ab 60 Jahren bewegen sich häufig im Bereich der Niedrigeinkommen unter 1000 Euro. 61 Prozent der Befragten gaben trotzdem an, ihre wirtschaftliche Situation sei gut oder sehr gut.

 

Mietpreise: Wer nach einer neuen Wohnung Ausschau hält, weiß es: „Der Wohnungsmarkt ist nicht mehr entspannt. Man muss suchen, es gibt teilweise auch Wohnungscastings“, ist Jung informiert. 18 Prozent der Leipziger empfinden die Wohnkosten inzwischen als Problem – sechs Prozent mehr als noch vor fünf Jahren. Der starke Zuzug nach Leipzig lässt bislang vorwiegend die Preise für Neuvermietungen steigen. Bei Bestandswohnungen gebe es noch keine „rasante Entwicklung“, so der OBM. Die Stadt will ab 2017 mit einem Programm zum sozialen Wohnungsbau reagieren. „Wir wollen mit 200 Wohnungen den Anfang machen“, so Jung.

 

Arbeitsplätze: Nur noch zwölf Prozent der Befragten (2005 waren es 65 Prozent) sehen das Thema Arbeits- und Ausbildungsplätze als drängendes Problem an. Um mit der wachsenden Stadt schrittzuhalten – bis 2030 wird mit 700.000 Einwohnern gerechnet –, müssten laut Jung jedoch 60.000 bis 70.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Eine Mammutaufgabe. Zum Vergleich: Aktuell gibt es in der Stadt 215.000 sozialversicherungspflichtige Jobs. „Der Zuwachs muss im Wesentlichen aus der mittelständischen Wirtschaft kommen. Wenn nicht, werden wir auch nicht so schnell wachsen“, ist Jung überzeugt.

 

Nahverkehr: Der Anteil der Leipziger, die auf dem Weg zur Arbeit in Bus und Bahn steigen, sinkt – auf zuletzt nur noch ein Fünftel. Der OBM macht dafür auch die steigenden Tickettarife verantwortlich. „Wir können nicht Jahr für Jahr die Preise anpassen. Die Leute sind wieder bereit, ins Auto zu steigen und nehmen eher das Fahrrad als die Straßenbahn.“ Zuletzt stieg der Preis für ein Einzelticket im August auf 2,60 Euro. „Der Nahverkehr ist zu teuer“, meint Jung. Es seien Alternativen gefragt. Ein Bürgerticket, bei dem alle Leipziger zahlen müssen, um den ÖPNV nutzen zu können, stieß in der Bürgerumfrage jedoch auf Ablehnung. Nur 33 Prozent sprachen sich dafür aus. Selbst unter den Stammnutzern von Bus und Bahn waren es nur 43 Prozent. Jung sieht für ein Bürgerticket momentan keine Chancen. „Die Idee wird von den Menschen nicht getragen.“

 

Ausländer: 24 Prozent der Leipziger sehen das „Zusammenleben mit Ausländern als Problem – ein Anstieg von 14 Prozent innerhalb von fünf Jahren. Jung räumt ein: „Ich hätte diesen Wert weit höher erwartet, so allgegenwärtig wie das Thema Flucht im letzten Jahr war.“ Der OBM sieht jedoch „keine Spaltung der Stadtgesellschaft“, wie er betonte. Aber auch die seit Anfang 2015 regelmäßig stattfindenden Legida-Demos hätten zu einer Veränderung der Sicherheitsempfindens geführt, vermutet Jung.

 

Von Robert Nößler