Dortmund: Das Karbidkommando - Interview Günter Rückert

Günter Rückert, Dortmunder Künstler und Zeichner des Karbidkommandos

Im Juni 2016 erschien der Comic „Das Karbidkammando – Edelweisspiraten gegen Miesmolche“ im AV-Verlag. Es ist die Neuauflage eines Comic über die Dortmunder Edelweisspiraten aus dem Jahr 1987. Gezeichnet wurde der Comic von dem Dortmunder Künstler Günter Rückert. Beraten wurde er bei seiner Arbeit durch Prof. Hans Müller von der Dortmunder Geschichtswerkstatt und dem ehemaligen Edelweisspiraten Kurt Piehl.


Als Herausgeber der Neuauflage fügte ich dem Comic mehrere aktuelle Interviews an. Hier das Interview mit Günter Rückert.

 

 

Interview Günter Rückert

 

Heiko Koch: Hallo Günter, Du bist der Zeichner des Karbidkommandos. Stell Dich bitte einmal vor.

 

Günter Rückert: Mein Name ist Günter Rückert. Ich wurde 1952 in Norddeutschland geboren. Im Grunde bin ich aber ein Kind des Ruhrgebiets. Ich war keine 2 Jahre alt, da bin ich nach Dortmund gekommen. Mein Vater arbeitete hier als Hauer auf einem Pütt. Im Dortmunder Westen in der Zechensiedlung Germania bin ich groß geworden und aufgewachsen.

 

H. K.: Seit wann zeichnest Du?

 

G. R.: Ich bin schon im Kindergarten und der Volkshochschule aufgefallen, weil ich so gut zeichnen konnte. Ich habe alles mögliche, vor allem aber Pferde gezeichnet. Als erstes Kind aus unserer Bergbau-Siedlung kam ich auf ein Gymnasium. Ich erinnere mich noch an einen Elternsprechtag. Der Lehrer hielt so ein Aufgabenheft für Hausaufgaben hoch und sagte „so darf ein Aufgabenheft nicht aussehen“. Das war meines, vollgekritzelt mit Pferden. In dieser Zeit habe ich schon angefangen satirische Sachen zu zeichnen, die Lehrer zu karikieren, für die Schülerzeitung zu malen. Und meine ersten Cartoons und Comics entstanden.

 

H. K.: Wann war das?

 

G. R.: Das war Ende der 60er Jahre. Ich wollte eigentlich immer Maler und Zeichner werden. Aber, mein Vater war Bergmann und hatte vier Blagen zu versorgen. Da war das einfach finanziell nicht drin Kunst zu studieren. Also studierte ich Deutsch und Geschichte. Mit dem Ziel Lehrer zu werden und ein regelmäßiges Einkommen zu beziehen. Das war der Traum meines Vaters. Der sagte immer: „Wenne es inne Schule nicht schaffst, dann musst du Kohlen schüppen“. Während des Studiums zeichnete ich für Studentenzeitungen und linke Magazine Comics und Karikaturen. Bei der Comiczeitschrift „U-Comic“ hatte ich eine eigene kleine Serie. Die hieß „Katschimbowski“ und handelte von einem tumb-genialen Ruhrpottfußballer. Als ich mit dem Studium fertig war kam dieser Anruf von Hans Müller von der Geschichtswerkstatt. Er fragte mich, ob ich nicht Lust hätte ein Comic-Buch zu zeichnen. Da es sich um Widerstand von Jugendlichen gegen den Nationalsozialismus und die Edelweisspiraten handelte war ich war sofort Feuer und Flamme. So fing das an mit dem Karbidkommando.

 

H. K.: In welchem Jahr war das?

 

G. R.: Das war im Dezember 1985. Im Jahr 1986 begann ich an dem Comic zu arbeiten. Neben meinem Job auf einer ABM-Stelle mit ausländischen Jugendlichen zeichnete ich das ganze Jahr und im März 1987 war dann der Comicband fertig. Der Band erschien im Tapir-Verlag. Das war ein Genossenschafts-Verlag, den mehrere Dortmunder Autoren gegründet hatten. Darunter war auch ich.

 

H. K.: Für Dich war es ja das erste Mal gewesen ist, dass Du ein Buch gemacht hast. Der Produktionsprozess dauerte ein Jahr. Wie kann ich mir diesen Prozess vorstellen?

 

G. R.: Zu dem Produktionsprozess gehörten eine ganze Menge Recherchen. Eine inhaltlich-historische über die Zeit des Nationalsozialismus, über jugendlichen Widerstand, die Edelweisspiraten, ihre Ziele und Aktionen, usw.. Eine ikonographische und fotografische Recherche. Also das Sichten von Bildern von Straßen, Plätzen und Gebäuden, von Aufmärschen und Uniformen. Bilder wie Dortmund damals aussah, usw.. So z.B. der Althoff-Block, der damals ein Treffpunkt der Nazis war - heute besser als Kreuzviertel bekannt. Die Schlanke Mathilde in Dortmund-Hörde. Die Steinwache, wo die SS in den Kellern folterte. Die Treffpunkte der Jugendlichen am Kanal, usw.. All diese Orte suchte ich auf, um sie so realistisch wie möglich im Comic wiederzugeben. Ich stellte phonetische Recherchen an. Also wie war die Jugendsprache damals. Das alles gehörte zu diesem Produktionsprozess.

Ich habe mich viel mit Hans Müller von der Geschichtswerkstatt unterhalten. Und natürlich mit dem ehemaligen Edelweisspiraten Kurt Piehl. Der erzählte mir dann die Geschichten, die ich in dem Comic dramaturgisch verarbeitete. Zentral ist ja dieser Anschlag mit den Karbid-Flaschen. Das hat mir Kurt Piehl erzählt und mir auch genau erklärt wie das funktioniert hat. Wie sie die Flaschen zum Explodieren gebracht und damit die SA-Versammlung gesprengt haben.

Die Recherche stand am Anfang. Mit meinem verstorbenen Freund Dieter Brandt, der vom Film kam, entwickelte ich die Erzählung. Ein Comic ist ja eigentlich so etwas wie ein Film. Er hat eine Geschichte, die über einen Erzählbogen, über Bilder, Bildschnitte, Ortswechsel usw. erzählt wird. Damit kannte sich Dieter sehr gut aus. Wir entwarfen zusammen ein storyboard, die Figuren, mit allem drum und dran. Verschiedene Typen. Jeder dieser Edelweisspiraten war für sich ein eigener Typ. Da gab es einen der immer schlauer war, einen der immer fressen wollte, einen der besonders stark war, und so weiter - wie das eben so ist. Natürlich gab es auch ein Mädchen, weil bei den Edelweisspiraten auch Mädchen waren. Wir haben auch eine kleine Liebesgeschichte eingebaut. Die Geschichte verlief wie in einem Theaterstück oder wie ein Film.

 

H. K.: In dem Jahr 1986 hast Du den Comic gemalt. Im Jahr 1987 wurde er veröffentlicht. Zur selben Zeit, also 1986, hat der US-Amerikaner Art Spiegelman seinen berühmten Comic „Mouse“ als Buch veröffentlicht. In diesem erzählte er die Biographie seines Vaters, der als polnischer Jude den Holocaust überlebt hatte, sowie die Auswirkung der Shoa auf die ganze Familie und die kommende Generation – private, politische und soziale Geschichten erzählt mit dem Mittel eines Comics.

Genau wie Art Spiegelman hattest Du auch eine Biographie als Zeichner von Karikaturen und Underground Comics in linken und subkulturellen Szenen und dort deine ersten Erfahrungen gesammelt. Siehst Du Parallelen bei dem Comic „Mouse“ und dem “Karbidkommando“?

 

G. R.: Der Unterschied zu „Mouse“ bestand darin, dass Art Spiegelman diese biographische Geschichte auf Tierfiguren übertrug. Ihm war es zu hart die Geschichte mit realistischen Menschen zu zeichnen. Weil dieser Stoff viel zu brutal ist, hat er ihn mit Mäusen und Katzen gezeichnet. Bei mir handelte es sich nicht um meine eigene Biographie oder die meiner Familie. Ich konnte sie über reale Figuren und Menschen erzählen.

 

H. K.: Wie war die Resonanz auf euren Comic?

 

G. R.: Es gab eine breite und positive Resonanz. In vielen Tageszeitungen gab es ausführliche Besprechungen. Im Lokalradio, aber auch im Kulturteil des WDR 5. 1988 wurde der Comic auf einer Fachtagung an der Berliner „Hochschule der Künste“ in Bezug auf Politik in Jugendbüchern besonders hervorgehoben. Und das Goetheinstitut hat 1990 eine Wanderausstellung mit deutschen Comics unter dem Motto „The grandchildren of Max and Moritz“ durch die USA, Japan und Korea organisiert. Mit dabei unser „Karbidkommando“. Also die Resonanz in den Medien war sehr gut. Ebenso bei den normalen Leuten. Die Auflage von 1000 Exemplaren war ruckzuck verkauft. Aber es war eine kleine Auflage, in einem kleinen Verlag, mit einem unbekannten Zeichner. So war der Erfolg begrenzt. Ich weiß nicht was passiert wäre, wenn man einen großen Verlag mit großen Vertrieb gehabt hätte. Aber vermutlich hätte sich damals ein großer Verlag eines solchen Themas nicht angenommen.

 

H. K.: Du hast erzählt, dass nach der Zeit der Comicproduktion bei Dir der Entschluss feststand deinen Lebensunterhalt als Künstler zu verdienen.

 

G. R.: Ja, die Arbeit an dem Comic hat innerlich eine Tür für mich geöffnet. Sie war der Anstoß meinen Kindheitstraum umzusetzen und professioneller Maler und Zeichner zu werden.

Einige Jahre hat es dann noch gebraucht. Ich habe verschieden Jobs gemacht, Zeichenkurse gegeben und ähnliches. Nach einer Übergangszeit von fünf Jahren konnte ich von meiner Malerei leben. Das waren dann aber keine Comics. Es waren Grafiken, Bilder, Leinwände, Aquarelle und Acrylbilder. Ich hatte Ausstellungen in Galerien und so weiter. Ein Alleinstellungsmerkmal meiner Kunst bis heute ist, das sie karikaturistisch ist. Sie ist, wie auch immer, schräg und kritisch geblieben. Ich mache keine abstrakten Bilder und keine Herzchen und Blümchen.

 

H. K.: Vielen Dank für das Interview.