Behörde: Neonazis mischen in Einsiedel mit

Erstveröffentlicht: 
23.06.2016

Ein früheres Mitglied einer verbotenen Gruppierung hat laut Verfassungsschutz eine der wöchentlichen Demos angemeldet. Auch andere Vertreter der rechten Szene waren von Beginn an involviert. Zeit für Konsequenzen?

Von Michael Müller

 

Rechtsextremisten haben nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes die asylkritischen Demonstrationen in Einsiedel 2015 aktiv unterstützt. Das geht aus dem aktuellen Verfassungsschutzbericht für den Freistaat hervor. Darin heißt es, ehemalige Mitglieder der 2014 verbotenen Gruppierung Nationale Sozialisten Chemnitz (NSC) und andere Rechtsextremisten hätten versucht, "asylbezogene Demonstrationen in Chemnitz für ihre extremistischen Zwecke zu instrumentalisieren". Ein ehemaliges Mitglied der NSC sei zu Beginn der Veranstaltungen in Einsiedel als Anmelder aufgetreten. An den Protesten dort und denen gegen eine Asylbewerber-Notunterkunft im Stadtteil Markersdorf hätten sich auch Aktivisten der NPD-Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten (JN) beteiligt.

 

Anzeichen für Unterstützung vom rechten Rand hatte es von Beginn an gegeben. Die Organisatoren der wöchentlichen Proteste "Einsiedel sagt Nein!", aber auch viele der anfangs jeweils weit über 1000 Teilnehmer, wiesen entsprechende Hinweise jedoch stets als Verleumdungen zurück, mit denen friedliche Aktionen in Misskredit gebracht werden sollen. Als SPD-Chef Sigmar Gabriel Ende 2015 von "Nazis" in Einsiedel" sprach, kannte die Empörung im Ort kaum Grenzen.

 

Tatsächlich wurden bekannte Vertreter der rechten und rechtsextremen Szene frühzeitig gezielt nach Einsiedel eingeladen. In einem mehr als 1000Adressaten umfassenden Verteiler, mit dem Ende September 2015 bei Facebook auf eine der ersten Demonstrationen aufmerksam gemacht wurde, finden sich unter anderem der Inhaber einer führenden Plattenfirma der rechtsextremen Szene, der Inhaber eines überregional bedeutenden Szene-Ladens, ein führender Aktivist von ProChemnitz und der Chef eines neurechten Magazins.

 

Ein Chemnitzer, der 2012 gegenüber dem Bundeskriminalamt eingeräumt hat, in den 1990er-Jahren Kontakte zum späteren NSU-Trio gehabt zu haben, und der heute als wichtiger Netzwerker im asylkritischen und fremdenfeindlichen Spektrum der Region fungiert, trat in Einsiedel wiederholt als Redner auf. Anfang April nahm eine Abordnung Einsiedler Protestierer an einem vom erzgebirgischen NPD-Kreischef Stefan Hartung organisierten "Sternmarsch" in Aue teil. "Nicht vergessen! Mittwoch geht's nach Einsiedel", warb der Chemnitzer NPD-Kreisverband bereits Wochen zuvor im Internet für einen der wöchentlichen "Schweigemärsche".

 

Die Kooperation mit überregional agierenden rechten Netzwerken war immer wieder auch öffentlich zur Schau gestellt worden. Mitstreiter Götz Kubitscheks, eines der maßgeblichen Akteure der sogenannten Neuen Rechten, produzierten mit den örtlichen Protagonisten Videos über "zivilen Ungehorsam" in Einsiedel. Bei den "Schweigemärschen" waren später immer wieder Banner der von Kubitschek mitinitiierten Sammlungsbewegung "Ein Prozent" zu sehen. Vorgestern lud unter anderen "Heimat und Tradition Chemnitz-Erzgebirge", laut Verfassungsschutz ein vereinzelt mit Rechtsextremisten zusammenarbeitender Pegida-Ableger, zu einer Sonnenwendfeier nach Einsiedel.

 

Ein Vertreter der Bürgerinitiative "Gemeinsam für Einsiedel", die sich 2015 als bürgerschaftliche Gruppe gegen die Pläne für das Asylheim gegründet hatte, bald aber auch mit radikaleren Asylgegnern zusammenarbeitete, äußerte auf "Freie Presse"-Anfrage, er sehe keine Verbindung zwischen den Ausführungen im Verfassungsschutzbericht und der Tätigkeit der Bürgerinitiative. "Wie alle Einsiedler" verurteile auch sie Gewalt gegen Asylbewerber, ihre Unterkünfte, ihre Betreuer und gegen Polizisten, etwa durch rechts- oder linksautonome Gruppen, "auf das Schärfste". Organisatoren der Mittwochsdemos reagierten auf schriftliche Anfragen nicht. 

 

Von Datenschutz bis Hakenkreuz, von Brandsätzen bis Fackelmarsch: Ermittlungen zu Vorfällen in Einsiedel


Verdacht illegaler Videoüberwachung: Die Ermittlungen wegen eines möglichen Verstoßes gegen das Datenschutzgesetz wurden eingestellt. Im Dezember 2015 war eine Videokamera beschlagnahmt worden, die auf die Zufahrt zum Asylbewerberheim gerichtet war. Laut sächsischem Datenschutzbeauftragten wurden bei den Ermittlungen keine Hinweise auf illegale Videografie gefunden.

 

Proteste gegen Erstbelegung: Wegen des Tragens einer Mundschiene als unzulässige Schutzbewaffnung bei der von einem massiven Polizeiaufgebot begleiteten Ankunft der ersten Asylbewerber Anfang Januar wurde ein Strafbefehl erlassen. Eingestellt wurden die Verfahren gegen den Träger einer Schwimmbrille, die laut Staatsanwaltschaft keine Schutzbewaffnung darstellte, sowie gegen den Träger einer Gürtelschnalle mit Hakenkreuz, da dieses unter der Kleidung nicht zu sehen gewesen sei. Die Entscheidungen wegen Zeigens eines Hitlergrußes und einer Beleidigung stehen noch aus, ebenso in zwei Verdachtsfällen von Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und einer angezeigten Körperverletzung im Amt.

 

Fackelmarsch: Ende Februar waren spät abends etwa zehn Unbekannte mit Bengalfackeln vor die Flüchtlingsunterkunft gezogen und hatten dort mindestens einen Feuerwerkskörper gezündet. Die Ermittlungen dazu hat das Operative Abwehrzentrum (OAZ) in Leipzig übernommen, das unter anderem für Angriffe auf Asylbewerberheime zuständig ist. Laut Staatsanwaltschaft konnte bislang noch kein Tatverdächtiger namhaft gemacht werden. Die Ermittlungen dauerten aber noch an, heißt es.

 

Versuchte Brandstiftung: Unbekannte hatten im April mehrere Brandsätze auf das Gelände geworfen, ohne dass dadurch Schaden entstand. Das OAZ ermittelt weiterhin intensiv. Auskünfte zum Stand der Ermittlungen gibt es aus ermittlungstaktischen Gründen derzeit keine.