Antisemitismus der AfD - Im Eiferer-Modus gegen Juden

Erstveröffentlicht: 
04.06.2016

Dass der AfD-Abgeordnete Wolfgang Gedeon krude Thesen verbreitet, wusste der AfD-Vorsitzende Jörg Meuthen seit Jahren. Konsequenzen hatte das bisher nicht.

 

Wenn Wolfgang Gedeon den Einzug in den Landtag schaffe, sagte der AfD-Bundesvorsitzende Jörg Meuthen Ende Oktober 2015 im Gespräch mit dieser Zeitung, dann werde das „nicht vergnüglich“. Etwa 20 Prozent der AfD-Mitglieder seien im „Eiferer-Modus“. Meuthen wusste also seit langem, welche Diskussionen ihm drohen könnten. Denn Gedeon, dem wegen zweier Buchpublikationen vorgeworfen wird, antisemitisches Gedankengut verbreitet zu haben, ist in der baden-württembergischen AfD kein Unbekannter. Auf den Parteitagen in Kirchheim/Teck im Oktober 2014 und in Karlsruhe im Januar 2015 waren Gedeons Wortbeiträge bei gemäßigten AfD-Mitgliedern gefürchtet.

 

Der frühere baden-württembergische AfD-Landesvorsitzende und heutige Alfa-Politiker Bernd Kölmel erinnert sich, dass die Vorwürfe gegen Gedeon auch in Kirchheim thematisiert wurden – etwa von dem heutigen stellvertretenden Landesvorsitzenden Marc Jongen, der sich auf Anfrage dazu nicht äußern will. Meuthen war damals Mitglied des Landesvorstandes. Dennoch sagte er nun der „Bild“-Zeitung: „Ich habe von den Vorwürfen gegen Herrn Gedeon gerade erst erfahren.“ Auf Facebook schrieb Kölmel dazu: „Meuthen verschweigt, dass ihm dieser Sachverhalt seit zwei Jahren bekannt ist!“ Sicher ist, dass Meuthen schon im November 2013 von kruden Thesen Gedeons wusste. Damals schrieb Meuthen eine E-Mail an Gedeon, die dieser Zeitung vorliegt und in der es um ein Diskussionspapier von Gedeon ging. Seine Ablehnung des Papiers begründete Meuthen mit der „Antizipation der erwartbaren medialen Ausschlachtung“, sollte dieses „in die Hände von Journalisten gelangen“. „Dessen ungeachtet habe ich, dies ist keine Floskel, großen Respekt und auch Wertschätzung für Ihre Arbeit an dem Diskussionspapier“, schrieb Meuthen an Gedeon.

 

Gedeons Bücher waren stets offen zugänglich und vielen AfD-Funktionären vertraut, auf Parteitagen lagen die Schriften aus. Für die Landtagswahl wurde Gedeon, der in seiner Studentenzeit Marxist und Maoist war, dennoch für den Wahlkreis Singen-Stockach nominiert. In Lokalzeitungen gab es wohlwollende Porträts, Gedeon empfing die Journalisten im Wohnzimmer und sprach auch offen über seine Publikationen, wie zum Beispiel sein Hauptwerk „Der grüne Kommunismus und die Diktatur der Minderheiten“, um dessen antisemitische Passagen es geht. Ein weiteres Buch erschien unter dem Pseudonym „W. G. Meister“. Der Titel: „Christlich-Europäische Leitkultur. Die Herausforderung Europas durch Säkularismus, Zionismus und Islam“. 

 

„Grüner Kommunismus“


Liest man das 432 Seiten starke, schlecht lektorierte Buch über den angeblichen „grünen Kommunismus“, stößt man auf islamfeindliche und antisemitische Passagen sowie auf Versuche, den Holocaust zu relativieren.

 

Gedeon macht das Judentum als „inneren“ und den Islam als „äußeren“ Feind des „christlichen Abendlandes“ aus. „Wie der Islam der äußere Feind, so waren die talmudischen Ghetto-Juden der innere Feind des christlichen Abendlandes“, schreibt Gedeon. „Als sich im 20. Jahrhundert das politische Machtzentrum von Europa in die USA verlagerte, wurde der Judaismus in seiner säkular-zionistischen Form sogar zu einem entscheidenden Wirk- und Machtfaktor westlicher Politik. (...) Der vormals innere geistige Feind des Abendlandes stellt jetzt im Westen einen dominierenden Machtfaktor dar, und der vormals äußere Feind des Abendlandes, der Islam, hat via Massenzuwanderung die trennenden Grenzen überrannt, ist weit in die westlichen Gesellschaften eingedrungen und gestaltet diese in vielfacher Weise um“, heißt es in Gedeons Buch. 

 

„Versklavung der Menschheit“


Ein paar Seiten zuvor unterstellt Gedeon dem Judentum, an einer „Versklavung der Menschheit im messianischen Reich der Juden“ zu arbeiten: „Weltbedeutung hat das Judentum heute nicht direkt durch seine Religion, sondern im Wesentlichen indirekt, nämlich durch Judaisierung der christlichen Religion und Zionisierung der westlichen Politik.“

 

Großen Anstoß nimmt Gedeon auch an der historischen Aufarbeitung der Geschichte des Nationalsozialismus und an der Rolle, die das Gedenken an den Holocaust in der Öffentlichkeit spielt. Die Errichtung des Denkmals für die ermordeten Juden Europas in Berlin kritisiert er: „Dass ein Volk auf dem größten Platz seiner Hauptstadt ein riesiges Denkmal zur Erinnerung an gewisse Schandtaten seiner Geschichte errichtet, ist dagegen selten, wenn nicht einzigartig. Das Schlimmste daran ist: Die meisten Deutschen finden das inzwischen ganz ,normal.‘“ Gedeon beklagt in diesem Zusammenhang, dass der Holocaust „ideologisiert und theologisiert“ werde. „Es geht also nicht mehr um allgemeine Judaeomanie als Reaktion auf den Antisemitismus der nationalsozialistischen Zeit, sondern um die Etablierung einer neuen Staatsreligion“, heißt es in Gedeons Buch. Neonazis wie Horst Mahler und den Holocaust-Leugner Ernst Zündel bezeichnet Gedeon in seinem Buch als „Dissidenten“.

 

In seinem Buch fällt Gedeon auch ein vernichtendes Urteil über die Philosophin Hannah Arendt, auf die sich der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) oft bezieht. „Philosophische Abstraktion fällt dem weiblichen Hirn offensichtlich noch schwerer als mathematische, was im Übrigen nicht schlimm ist. Denn die gegenteilige Fähigkeit des Pragmatismus ist für das Leben genauso wichtig“, schreibt Gedeon. 

 

„Weltbild der NPD“


Der Wissenschaftliche Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Peter Steinbach, kommt nach der Lektüre von Gedeons Aussagen zu einem eindeutigen Urteil: „Gedeon argumentiert offen rassistisch, völkisch, antisemitisch und erinnert in vielen seiner Assoziationen und Thesen an nationalsozialistische Vorstellungen.“ Gedeons Argumente zeigten, dass sich das „Weltbild der NPD“ mit dem „Weltbild von AfD-Repräsentanten“ überlappe. Gedeons Thesen seien „ein Fall für den Staatsanwalt“, er stehe „außerhalb des Verfassungskonsenses“. Die Vorsitzende der Israelitischen Religionsgemeinschaft in Württemberg, Barbara Traub, sprach von „einem krassen Fall von Antisemitismus“. Josef Schuster, der Präsident des Zentralrates der Juden, forderte schon am Donnerstag, dass Gedeon aus der Fraktion ausgeschlossen werden müsse.

 

Dass es dazu kommt, ist unwahrscheinlich. Bislang sind aus der AfD-Landtagsfraktion keine kritischen Stimmen zu hören. Der AfD-Abgeordnete Heinrich Fiechtner verteidigte Gedeon sogar: Es gebe eine „abstruse Überhöhung des Holocaust-Gedenkens“, Gedeons Aussagen seien nicht antisemitisch, er rufe ja nicht zur Verfolgung von Juden oder zur Bekämpfung des Staates Israel auf, sagte Fiechtner dieser Zeitung. Gedeons Aussagen seien durch die Meinungsfreiheit gedeckt. Zur Kritik der Israelitischen Religionsgemeinschaft sagte Fiechtner: „Frau Traub sollte sich besser um die lebenden Juden kümmern, stattdessen hat sie sich noch für den Bau einer Moschee in Stuttgart-Feuerbach ausgesprochen.“

 

Jörg Meuthen, der in Baden-Württemberg sowohl den Landesverband als auch die Fraktion führt, teilte unterdessen mit, Antisemitismus habe in seiner Partei keinen Platz. Die Vorwürfe würden „sorgfältig geprüft“. In ihrer nächsten Fraktionssitzung am kommenden Dienstag wollen sich die AfD-Abgeordneten mit dem Fall befassen.