Zwei ehemalige Jenaer Unterweltbosse haben als Informanten für die Thüringer Polizei gearbeitet. Als Zeugen im laufenden NSU-Verfahren haben sie die Aussage verweigert. Es geht um mutmaßliche Waffendeals Ende der 1990er-Jahre und ein mögliches Treffen mit den Rechtsterroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt in Jena 1997.
von Axel Hemmerling und Ludwig Kendzia
Thomas M. (*) ist sich die ganze Zeit in dem Vernehmungsraum im Thüringer Landeskriminalamt unsicher. Immer wieder erklärt er, dass er mit seiner kriminellen Vergangenheit nichts mehr zu tun haben wolle. "Ich habe einfach Angst davor, dass mir irgendwann meine Tochter weggenommen wird", platzt es aus dem stämmigen 49-Jährigen heraus. Daher versuche er, "jeglichen Mafiosi-Kontakt zu vermeiden". Doch die Vergangenheit hat Thomas M. an diesem Apriltag 2015 wieder eingeholt. Eine Vergangenheit, für die er viele Jahre im Knast saß und nun als Zeuge in einem der größten Skandale der Nachwendezeit aussagen soll: im NSU-Komplex.
Denn Thomas M. gehörte seit Mitte der 1990-Jahre zu einer schwerkriminellen Bande in Jena, der Stadt, in der sich das spätere NSU-Trio fand und radikalisierte. Geführt wurde die Gruppe von zwei bekannten, vorbestraften Zwillingsbrüdern. Die Polizei war sich damals und ist sich auch heute sicher, dass in Jena kein kriminelles Geschäft an den beiden Männern vorbei abgewickelt wurde. Dazu gehörten auch Waffendeals, denn aus alten Ermittlungsunterlagen wird deutlich: Wer zu ihre Bande gehörte, war schwer bewaffnet.
Geheimes Waffendepot in Jena?
Immer wieder wurde in den vergangenen Jahren im Zusammenhang mit den NSU-Waffen der Name der beiden Brüder genannt. Dazu haben sie sich bislang nicht geäußert. Im laufenden NSU-Verfahren am Oberlandesgericht München verweigerten sie die Aussage. Deshalb hält sich das ermittelnde Bundeskriminalamt an die Ex-Mitglieder ihrer Bande. Einer von ihnen ist Thomas M., der den Beamten im Frühjahr des vergangenen Jahres von einem Waffendepot in Jena berichtete, das es heute nach Aussage von M. noch geben soll. Das BKA zögerte nicht lange und bat das Thüringer Landeskriminalamt, sich der Sache anzunehmen. Am 21. April 2015 erging diese Anfrage an die Thüringer Beamten und die begannen mit den Ermittlungen. Sie sprachen noch einmal mit Thomas M. und brauchten dann doch Monate, bis sie am 12. Januar 2016 in Jena zur Durchsuchung anrückten. An drei Orten schauten sie sich um - Waffen fanden sie keine. Verfahren beendet, Akte geschlossen.
Unterweltbosse waren Spitzel der Polizei
Doch die ganze Sache könnte nun brisant werden. Denn die beiden Ex-Unterweltbosse hatten in den 1990-Jahren offenbar ein besonderes Verhältnis zur Polizei. Aus internen Unterlagen, die MDR THÜRINGEN vorliegen, geht hervor, dass sie für das Landeskriminalamt spitzelten. Der eine wurde zwischen 1993 und 1994 fast ein Jahr vom LKA als sogenannte Vertrauensperson geführt, der andere Mitte der Neunziger nur für wenige Wochen. Beide sollen angeblich Informationen aus der kriminellen Szene beschafft haben. Laut Polizeiunterlagen ging es um Sprengstoff und Drogengeschäfte. Das Problem: Beide steckten mutmaßlich selber bis zum Hals mit drin. Sie beherrschten die Jenaer Unterwelt und waren offenbar an nahezu allem beteiligt, womit sich illegal Geld verdienen ließ, und sie hatten gute Kontakte. Das wusste die Polizei. Ob es für ihre Spitzeldienste eine Gegenleistung von der Polizei gab, ist unklar.
Zeugenaussage über Treffen mit Mundlos und Böhnhardt
Das Landeskriminalamt schaltete die Brüder Mitte der Neunziger offiziell wieder ab. Aber eben nur offiziell, denn trotz eines behördlichen Verbots aktivierte ein Polizeibeamter einen der beiden 1995 erneut. Lange blieb das verborgen. Aber jetzt tauchen internen Polizei-Dokumente auf, aus denen hervorgeht, dass einer der beiden bis mindestens 1997 als V-Mann aktiv gewesen sein könnte, also zwei Jahre nach der verbotenen Quellen-Reaktivierung. Genau in diesem Zeitraum soll es ein mutmaßliches Treffen des Jenaer Bandenchefs mit Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gegeben haben. Das äußert jedenfalls der Zeuge Thomas M. in seiner Vernehmung durch das BKA 2015. Angeblich sei es um Geld gegangen. Wofür und wie viel geflossen ist, lässt der Mann offen.
Neue Fragen zur Waffenbeschaffung
Den parlamentarischen Untersuchungsausschüssen und im Münchner NSU-Prozess ist diese V-Mann-Tätigkeit bislang nicht bekannt. Damit stellen sich neue Fragen: Wie sind Mundlos und Böhnhardt an die Waffen gekommen? Besonders an die Ceska, mit der die Terroristen mutmaßlich neun Menschen erschossen haben. Nachdem das Trio aufgeflogen war, führte schnell eine Spur in die Schweiz zu Hans Ulrich M.. Er soll mutmaßlich die Waffe besorgt und über Mittelsmänner nach Jena verkauft haben - was er vehement bestreitet. Doch M. hatte bereits in den 1990-Jahren Kontakte nach Thüringen. Er hatte in Apolda eine Firma, wohnte dort zwischen 1991 und 1996.
Immer wieder finden sich in alten Ermittlungsakten Hinweise darauf, dass die beiden Jenaer Unterwelt-Brüder Kontakt zu M. hatten und auch in der Schweiz gewesen sein sollen. In seiner Zeugenvernehmung sagte auch Ex-Banden-Mitglied Thomas M., dass Waffen aus der Schweiz nach Jena gebracht worden seien.
Wenn die beiden also Polizei-Quellen waren, welche Informationen haben die Ex-Unterweltbosse geliefert? Wurden sie in Polizeiakten dokumentiert und wenn ja, wo lagern diese Akten? Wenn es das Treffen des Bandenchefs, der möglicherweise als Spitzel reaktiviert war, mit Mundlos und Böhnhardt im Jahr 1997 gab, informierte der Kriminelle seine Kontaktperson bei der Polizei, seinen sogenannten VP-Führer? Gibt es dazu noch Akten? Das Thüringer Landeskriminalamt, das die zentrale V-Mann-Datei für die Polizei führt, wird prüfen müssen, wie lange die Zwillingsbrüder tatsächlich Informanten waren. Vor dem Oberlandesgericht München schwiegen sie mit dem Hinweis, sich nicht selber belasten zu wollen.
(*) Name geändert.