Asylstreik vor dem Leonardo

Erstveröffentlicht: 
25.05.2016

Flüchtlinge kehren aus Pirna auf eigene Faust nach Freital zurück. Eine Sache hat sie dort besonders geärgert.

Von Tobias Winzer

 

Freital/Pirna. Die Stimmung ist aufgewühlt vor dem Freitaler Asylbewerberheim Leonardo. Etwa 60 Menschen, die in dem Haus leben, stehen am Mittwochnachmittag auf der Straße und diskutieren laut. Der Grund: Etwa 15 Flüchtlinge haben am Morgen eine ihnen zugewiesene Unterkunft in Pirna verlassen und sind auf eigene Faust mit der S-Bahn nach Freital zurückgekehrt. Die Ankunft der Männer spricht sich schnell herum unter den Flüchtlingen. „Das ist dort wie im Gefängnis“, sagt Hiwa Mustafa, der gutes Englisch spricht und deswegen stellvertretend für die ausgerissenen Asylbewerber redet. „Wir wollen nicht mehr dorthin zurück.“

 

Was war passiert? Das Landratsamt hatte in der vergangenen Woche angekündigt, die Asylbewerberunterkunft im ehemaligen Leonardo-Hotel zu schließen. Bis Ende Juni sollen alle der dort lebenden 330 Flüchtlinge ausgezogen sein. Der Umzug hat bereits in der vergangenen Woche begonnen. Die Asylbewerber aus Freital sollen zum großen Teil im Haus A des ehemaligen Landratsamts an der Zehistaer Straße in Pirna unterkommen. Die landkreiseigene Grundstücks- und Verwaltungsgesellschaft Sächsische Schweiz (GVS) hat dort im Dezember des vergangenen Jahres eine Notunterkunft für 240 Personen eingerichtet.

 

Dafür wurde das Gebäude für 550 000 Euro notdürftig saniert. Unter anderem wurden der Brandschutz und die Heizung erneuert. Auch an den Toiletten und Bädern sowie der Elektrik wurde gearbeitet. Das Haus stand zuvor seit 2011 leer. 

 

Im Bus nach Pirna


 

Es habe in der vergangenen Woche einen Brief gegeben, dass sie das Leonardo verlassen müssten, erzählt Hiwa Mustafa, der aus dem Irak stammt und seit neun Monaten in Deutschland lebt. Am Dienstag sei dann ein Bus gekommen und habe die Gruppe aus dem Heim abgeholt und nach Pirna gefahren. Man habe ihnen zuvor erzählt, dass sie in einen modernen Elfgeschosser gebracht würden, pro Zimmer zwei Personen, sagt Hiwa Mustafa.

 

Stattdessen gebe es in Pirna nur Drei-, Vier- und Sechs-Bett-Zimmer. „Ich habe in der Nacht höchstens zwei Stunden geschlafen“, sagt er. Am meisten ärgern sich die Flüchtlinge aber über die aus ihrer Sicht schlechten hygienischen Bedingungen in dem ehemaligen Landratsamt. Pro Stockwerk gebe es in dem dreigeschossigen Haus nur zwei Toiletten und zwei Bäder. Die Flüchtlinge zeigen als Beweis Fotos, auf denen verdreckte Toilettenbecken und Urinale zu sehen sind. Im Leonardo, das bis vor Kurzem noch als Hotel betrieben wurde, gibt es zumeist Zweibettzimmer mit eigenem Bad.

 

Vor einem Jahr gab es am Leonardo asylfeindliche Proteste, die Freital bundesweit in Verruf gebracht haben. Nun macht sich Hiwa Mustafa mit einer Gruppe Iraker am Mittwochmorgen genau dorthin auf. Aus Protest gegen die Bedingungen in Pirna. Wie es gestern Nachmittag hieß, sollten außerdem noch etwa 40 Afghanen auf dem Weg zurück nach Freital sein. „Wir schlafen lieber hier vor dem Heim als in Pirna“, sagt ein Flüchtling, für den Hiwa Mustafa übersetzt. 

 

Zutritt ins Leonardo ist untersagt


 

Wie es mit den Asylbewerbern weitergeht, war am Mittwochnachmittag noch unklar. Die zuständige Ausländerbehörde im Pirnaer Landratsamt untersagte, dass die Menschen das Leonardo betreten. Die Betreiber des Leonardos, das Unternehmen Pro Shelter, stellte Essen und Trinken für die Flüchtlinge bereit.

 

Das Landratsamt will das Leonardo schließen, weil erstens der Bedarf im Landkreis nicht mehr so groß ist wie noch im vergangenen Jahr und zweitens die Zusammenarbeit mit Pro Shelter schlecht lief. Pro Shelter sollte das Haus dem Bedarf einer Flüchtlingsunterkunft anpassen – und damit die Kosten senken. Das Landratsamt setzte dafür eine Frist bis April. Zwar hatte Pro Shelter inzwischen das geringere Entgelt akzeptiert. Der Fortschritt des Umbaus, samt der damit verbundenen Brandschutzmaßnahmen, ist für das Landratsamt aber nicht zufriedenstellend.

 

Es sei bis heute nicht eine der erforderlichen Gemeinschaftsküchen eingebaut, sagte die zuständige Beigeordnete Kati Hille (CDU) zuletzt im Interview mit der Sächsischen Zeitung. Das Essen werde nach wie vor angeliefert. Und es gebe noch nicht einmal eine Baugenehmigung für den nötigen Umbau. Pro Shelter dementiert das und spricht von Umbauarbeiten, die „zu 90 Prozent“ abgeschlossen seien.

 

Dass die Protestaktion der Flüchtlinge vom Mittwoch Erfolg hat, ist eher unwahrscheinlich. „Das Leonardo wird es als Asylunterkunft nicht mehr geben“, sagte eine Sprecherin des Landratsamtes. „Die Flüchtlinge müssen zurück in ihre Unterkunft.“ Am Mittwochabend sollten Sozialarbeiter und Dolmetscher der Ausländerbehörde versuchen, die Flüchtlinge zur Rückkehr nach Pirna zu bewegen.