Offener Brief an den OB der Stadt Bonn

Anarchie

An den Oberbürgermeister der Stadt Bonn Ashok Sridharan

Stadthaus
Berliner Platz 2
53103 Bonn

Offener Brief an den Oberbürgermeister der Stadt Bonn

Sehr geehrter Herr Sridharan,

viele Städte in Deutschland, so auch Bonn, haben mit einer Vielzahl von Problemen zu kämpfen, für die sich wiederum jeweils verschiedene Lösungen anbieten, die zumeist alle nicht leicht gangbar sind. Wir, die “Kampagne für ein libertäres Zentrum Bonn”, beschäftigen uns in erster Linie mit den Themenkomplexen Verdrängung und Wohnraummangel sowie unkommerzieller Kultur.


Wir möchten unser Leben und damit auch den Ort, an dem wir leben, aktiv und selbstbestimmt gestalten und so auch anderen Menschen Möglichkeiten eröffnen.
Die Probleme, die sich für Bonn aus den hohen und immer weiter steigenden Mieten ergeben, sind vielfältig. Auf der Hand liegt, dass einkommensschwache Haushalte und Familien in die Peripherie verdrängt werden. Um zu erkennen, dass die kulturelle Landschaft einer Stadt darunter leidet, muss man etwas genauer hinsehen: Alle Kneipen, Bars und Clubs sind darauf angewiesen, die hohen Grundkosten zu erwirtschaften. Keiner der Orte kann es sich leisten das Risiko einzugehen, einen Abend weniger Einnahmen zu haben, weil vom gewohnten Programm aus bekannten Bands, Genres und DJs abgewichen wird und es unkalkulierbar wird, wie viele Menschen kommen. So bleibt kein Raum für unbekannte Künstler*innen um überhaupt durch z.B. das Spielen von Konzerten bekannter zu werden. Proberäume oder Ausstellungs- und Arbeitsräume zu finden ist nur möglich, wenn von vornherein viel Geld vorhanden ist. Die Kunst und Kultur, die aus Bonn kommt, ist somit immer dem Zwang ausgesetzt, direkt profitabel zu sein oder steht nur denen offen, die es sich finanziell leisten können kreativ zu sein.


Wir sind der Überzeugung, dass dieser Zustand weder wünschenswert noch notwendig ist. Doch nicht nur wir, sondern auch viele andere Initiativen formulieren in ihren Programmen Forderungen nach selbstverwalteten Räumen, in denen Bonner Bürger*innen das städtische Leben abseits monetärer Sachzwänge gestalten können.
Das hat auch ganz konkret mit dem Thema Familienpolitik zu tun. Familien hören nicht auf welche zu sein, sobald die Kinder als jugendlich gelten. Und spätestens dann stellt sich die Frage, wo und wie diese Jugendlichen sich selbst entfalten können und dabei lernen, Verantwortung zu übernehmen.


Sich für ein libertäres Zentrum einzusetzen heißt für uns, einen Ort zu schaffen, in dem Menschen sich respektvoll auf Augenhöhe begegnen können und an dem kein Konsumzwang herrscht.


Wir möchten Initiativen und Gruppen, die sich dafür einsetzen, dass unsere Gesellschaft menschlicher wird, wie z.B. “Refugees Welcome Bonn”, die Antifa Bonn/Rhein-Sieg oder die Junge Antifa Bonn, gerne Büro- und Lagerräume zur Verfügung stellen. Proberäume, Atelierräume, eine Werkstatt und Veranstaltungsräume sollen verschiedenen Menschen und Gruppen die Möglichkeit geben aktiv zu werden und die Stadt Bonn zu bereichern. Von Arbeitsrechtsberatungen über Nachbarschaftstreffen bis zur Fahrradwerkstatt, in der unter Anleitung und gegen Unkosten das eigene Zweirad repariert werden kann, ist alles Mögliche denkbar.

Die Organisation des libertären Zentrums Bonn wird von denen bestimmt werden, die es nutzen. Konkret heißt das, dass Jugendliche Veranstaltungen wie z.B. Poetry Slams selbst organisieren. Die Erfahrung, selbst ein Event erfolgreich auf die Beine zu stellen, kann ein prägendes Erfolgserlebnis sein, ganz zu schweigen davon, dass gelernt wird wie Menschen und Gruppen zusammenarbeiten. Spätestens seit das “Selbstverwaltete Jugendzentrum Siegburg” (SJZ) schließen musste, gibt es keine vergleichbaren Möglichkeiten mehr, sich organisatorische Fähigkeiten durch die Beteiligung in selbstverwalteten Räumen anzueignen.

Die Reaktion der Stadt auf unsere Besetzung des alten Brauereihauses in Beuel, zu prüfen, ob dort nicht Geflüchtete wohnen könnten, bewerten wir durchaus als positiv. Dass leer stehende Häuser bei zeitgleichem Wohnungsmangel höhnisch allen gegenüber anmuten, die keinen Wohnraum besitzen, und dass dies niemandem nützt, sehen wir auch so.


Bonn steht vor der Herausforderung geflüchtete Menschen würdig unter zu bringen. Eine zentrumsnahe Unterbringung in Wohnungen statt Turnhallen oder Containern erachten wir als alternativlose Vorgehensweise. Wir fordern Sie deshalb auf, Ihre Versprechen umzusetzen und ihre Politik daran auszurichten, sowohl Menschen mit Fluchterfahrung als auch einkommensschwachen Menschen die Teilhabe am städtischen Leben zu gewähren.

Von uns und anderen Initiativen und Gruppen (z.B. Rhizom, Bonn Bunt, Seniorenbegegnungsstätte SenTaBlu, Initiative für eine zivile Nutzung der Ermelkeilkaserne) kam in der Vergangenheit verschiedenster Input, um unsere Stadt gemeinsam zu gestalten. Leider hat sich die Stadt Bonn bisher wenig kooperativ bis unkooperativ gezeigt. Der Masterplan für die Innere Stadt Bonn zielt im Wesentlichen darauf ab, aus Bonn einen ökonomisch attraktiven Standort im Konkurrenzkampf der Städte zu machen und Investor*innen in Immobilien und Einzelhandel anzuziehen. Er ignoriert dabei die Vorschläge der bereits dort lebenden Menschen. Welche Folgen dies hat, lässt sich unter dem Begriff „Gentrifizierung“ zusammenfassen und zeigt sich in der Entwicklung verschiedener Städte bereits seit Jahrzehnten. Auch die „Bürgerbeteiligungen“ setzen dem nichts entgegen, wenn dort nur über die bauliche Gestaltung von Objekten entschieden werden kann, deren Umbau und Umnutzung schon beschlossen ist.


Wir hoffen, dass sich dieses Vorgehen in naher Zukunft ändert und fordern Sie auf, mit uns über die Nutzung der vielen Leerstände in Bonn in Verhandlung zu treten.
Bis dahin machen wir Sie gerne weiterhin auf nutzbaren Leerstand aufmerksam.

L!Z – Kampagne für ein libertäres Zentrum
Kontakt: lizbonn@riseup.net

in Kopie vorgelegt an:
- die Stadträt*innen der Stadt Bonn
- General Anzeiger Bonn
- Express Bonn
- WDR Bonn