Ermittler vermuten hinter den Anschlägen in Freital Rechtsterrorismus. Die Verdächtigen gaben sich nach außen harmlos – auf den ersten Blick.
BERLIN taz | Einen Terroristen stellt man sich anders vor. Als Obst- und Gemüseschnitzer arbeitet Rico K., er schneidet Gesichter in Kartoffeln oder Blumen aus Äpfeln. Daneben verkleidet sich der 39-jährige Dresdner auch gerne mal als Osterhase oder Weihnachtsmann und beschenkt Kinder. So weit, so harmlos.
Aber es gibt eine andere Seite von Rico K. Dann schreibt er im Internet von „drecksversifften Linkschaoten“. „Wenn ich euch irgendwann erwische, werdet ihr Schaden in erheblichem Maße davontragen.“ In Dresden organisierte Rico K. eine Mahnwache vor einem Schwimmbad. Die Teilnehmer hängten ein Banner auf, mit der Forderung nach einem „Hausverbot für Flüchtlinge“. Darunter stand: „Schützt unsere Kinder, bevor wir es müssen.“
Offenbar ging Rico K.s Widerstand noch weiter. Am Dienstag verhafteten ihn Spezialkräfte der Bundespolizei – zusammen mit drei weiteren Männern und einer Frau. Der Vorwurf: Rechtsterrorismus. Die Festgenommenen sollen sich in Freital, unweit Dresdens, zu einer Terrorgruppe zusammengeschlossen haben, um Flüchtlingsheime zu attackieren. Gegen Rico K. und die anderen ermittelt nun der Generalbundesanwalt, der oberste Strafverfolger der Republik.
Schon im November hatte die Polizei drei Verdächtige festgenommen. Auch ihre Zellen wurden am Dienstag durchsucht. Über die nun acht Verhafteten war bis jetzt fast nichts bekannt. Selbst aktiven Flüchtlingshelfern in Freital war lediglich der mutmaßliche Rädelsführer ein Begriff, der 27-jährige Timo S.
Nach außen unauffällig
Recherchen der taz zeigen nun: Die Verdächtigen gaben sich nach außen unauffällig. Daneben aber steigerten sie sich offenbar in immer radikalere Aktivitäten und knüpften Kontakte in die rechte Szene.
Alle eint ihr junges Alter. Nur Rico K. ist älter als 30 Jahre. Der jüngste der Verhafteten, Justin S., ist ein 18-Jähriger. Mit Maria K. gehört auch eine Frau zur Gruppe. Die meisten gingen soliden Jobs nach. Der mutmaßliche Anführer Timo S. und Mitglied Philipp W. waren Busfahrer für den Regionalverkehr Dresden. Mike S. arbeitete im Seniorenheim – und Rico K. eben als Früchteschnitzer.
Einige von ihnen führten Facebook-Profile, teils unter Klarnamen. Auf Fotos sieht man junge Leute, die Selfies von sich machen oder mit ihrem Hund posieren. Dahinter aber kommunizierte die Gruppe laut Ermittlern im Verborgenen: In einer geschlossenen Whatsapp-Gruppe soll sie Anschläge geplant haben. Ihr Codewort für Sprengstoff: „Obst“. Der Bundesanwaltschaft sollen Dutzende Chatprotokolle vorliegen, die Ermittlungsakte soll mehr als 7.000 Seiten umfassen.
Die Behörde wirft der Gruppe Sprengstoffanschläge mit illegalen Böllern auf zwei Flüchtlingsunterkünfte in Freital und ein linkes Wohnprojekt in Dresden vor. Die Beteiligung an weiteren Taten werde geprüft, teilte die Bundesanwaltschaft mit. In Freital hatte sich im vergangenen Jahr eine ganze Serie an rechten Straftaten ereignet. Bei den Festgenommenen wurde illegale Pyrotechnik in dreistelliger Zahl beschlagnahmt.
Kontakte zur rechten Bürgerwehr
Offenbar bewegten sich zumindest einige der Verhafteten im Umfeld des „Widerstands Freital“ und einer selbsternannten Bürgerwehr. Diese kommentierten Beiträge auf den entsprechenden Internetseiten offen mit „Like“. Als die Bürgerwehr im vergangenen Sommer zur Fahrt ins sächsische Heidenau aufrief und es zu rechten Krawallen vor einer Flüchtlingsunterkunft kam, tauchten von dort Bilder des mutmaßlichen Rädelsführers Timo S. auf.
Schon vor Jahren besuchte dieser Szeneaufmärsche. Kontakte soll er auch zu Mitgliedern der kürzlich verbotenen, rechtsextremen Weiße Wölfe Terrorcrew gehabt haben. Dem Verfassungsschutz ist Timo S. seit 2011 als Rechtsextremist bekannt. Dennoch bezeichnete ihn die anfangs ermittelnde Oberstaatsanwaltschaft Dresden als „unbeschriebenes Blatt“.
Dabei hat nicht nur Timo S. offenbar gute Kontakte in der rechten Szene. So soll nach taz-Informationen der Früchteschnitzer Rico K. zu einer Gruppe von mehr als 200 Neonazis gehört haben, die im Januar in Leipzig-Connewitz in einem ganzen Straßenzug Scheiben von Geschäften einwarfen, die sie Linksalternativen zurechneten. Zudem gab es offenbar auch Kontakte der Gruppe zu einem Freitaler NPD-Mann: Auch dort soll die Polizei am Dienstag vor der Tür gestanden haben.
Auch Patrick F., den die Bundesanwaltschaft als zweiten Anführer sieht, machte aus seiner Gesinnung keinen Hehl. Auf Fotos posierte er in Paintball-Uniformen. „Es beginnt“, schrieb F. im Internet. „Holen wir uns unser Land zurück.“ Zwei Wochen später soll er einen Sprengsatz an einer Freitaler Asylunterkunft gezündet haben.
Auch Mike S. schrieb im Internet: „National so denke ich, ich bin stolz auf dieses Land und stehe dazu.“ Auf Fotos sieht man ihn im Shirt mit Aufdruck „Division Sachsen“. Philipp W. beleidigte einen Freitaler Linken-Stadtrat im Internet als „Hohlbirne“. Weiter noch ging Timo S.: „Die Rache wird kommen“, schrieb er auf seinem Facebookprofil. „Hammer, Axt, Schlagstock und vieles mehr. Antifa wir kriegen euch alle!“
Radikalisierung in kurzer Zeit
Das Bild der Freitaler Terrorverdächtigen scheint damit eine Befürchtung der Sicherheitsbehörden zu bestätigen. Tätig wurden hier offenbar nicht langjährig in Kameradschaften gedrillte Neonazis, sondern eher rechte Mitläufer, die sich in der Flüchtlingsdebatte innerhalb kurzer Zeit radikalisierten – und gegen die nun die Bundesanwaltschaft wegen Terror und versuchten Mordes ermittelt. Auch bei einigen jüngsten Brandanschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte, etwa im niedersächsischen Salzhemmendorf, waren die Behörden auf diesen Tätertypus gestoßen.
In Freital hatten die Ermittler einige der jetzt Verhafteten bereits länger im Visier. So wurde Maria K. schon im November 2015 festgenommen – und unter Auflagen wieder freigelassen. Nun sitzt sie erneut in Haft. Der Bundesgerichtshof bestätigte auch die Haftbefehle gegen die vier anderen am Dienstag Festgenommenen.