Der Zentralrat der Juden fordert immer wieder: Besuche in KZ-Gedenkstätten sollten für Schüler ab der neunten Klasse verpflichtend sein, um die Verbrechen der NS-Diktatur verstehen zu können. Die meisten Bundesländer fördern Schülerfahrten zu NS-Gedenkstätten bereits seit Jahren mit eigenen Programmen. Nicht so Sachsen. Warum nicht? von Ine Dippmann, MDR-INFO-Landeskorrespondentin für Sachsen
Ein Vormittag am Ehrenhain Zeithain bei Riesa, im Norden von Sachsen. Erinnert wird hier an die Kriegsgefangenen, die zwischen 1941 und 1945 in der Gegend inhaftiert waren. Mehr als 25.000 Menschen kamen hier ums Leben. Unter Birken stehen eiserne Stelen mit eingravierten Namen. In einer Holzbaracke erwartet den Besucher eine Ausstellung, dazu gibt es Führungen, Projekttage und archäologische Ausgrabungen - alles pädagogisch begleitet. Doch heute ist es still. Warum, erklärt der Chef der Gedenkstätte, Jens Nagel: "Im vergangenen Jahr waren ungefähr 400 Schüler als Besucher hier. Dass Wehrmachtsverbrechen im Lehrplan nicht unbedingt zentral sind, ist ein Argument, das Lehrer vorbringen. Unser Standort spielt auch eine Rolle: Anders als andere Gedenkstätten liegen wir auf einem Acker. Und immer wieder begegnet uns das Argument: Kosten."
Kosten müssen die Eltern zahlen
Es gibt Schulen, die haben Fahrten in eine Gedenkstätte in der neunten Klasse vorgesehen. Dann übernehmen Eltern die Kosten. Doch im Lehrplan vorgeschrieben ist das nicht, kritisiert Peter Lorenz, der Vorsitzende des sächsischen Landeselternrates: "Größtenteils werden solche Fahrten in weiterführenden Schulen im Rahmen von Jugendweihe-Vorbereitungen gemacht. Aber immer mehr wollen gar keine Jugendweihe machen." Also sinke die Zahl der Jugendlichen, die Gedenkstätten besuchen. Ein Bildungsticket für den öffentlichen Nahverkehr könnte verhindern, dass so ein Besuch an den Fahrtkosten scheitert, sagt Lorenz. SPD und CDU wollten laut Koalitionsvertrag schon Ende vergangenen Jahres einen Vorschlag unterbreiten, wie solch ein Ticket eingeführt werden kann. Doch den Vorschlag gibt es bisher ebenso wenig wie ein spezielles Förderprogramm für Fahrten zu Gedenkstätten.
Ganztagsangebote für Fahrten opfern?
Kultusministerin Brunhild Kurth verweist auf andere Fördertöpfe: "Wir haben ein Förderprogramm 'Internationale Bildungskooperation', das solche Fahrten finanziell unterstützt. Unsere Schulen sind ja zum Großteil in den Ganztagsprogrammen, wo Schulen finanzielle Förderung bekommen - und in diesem Rahmen gibt es auch Möglichkeiten, Gedenkstätten zu besuchen." 22,4 Millionen Euro stehen den Schulen pro Jahr zur Verfügung, damit sie ihre Ganztagsangebote umsetzen können. Cornelia Falken, die bildungspolitische Sprecherin der Linken-Fraktion, sagt: "Wir halten es für falsch, die Mittel aus den Ganztagsangeboten für Fahrten zu Gedenkstätten zu nehmen. Denn diese Mittel sind für die einzelnen Schulen sehr knapp bemessen. Nach unserer Auffassung müssen die Fahrten durch das Kultusministerium des Freistaates Sachsen finanziert werden."
Gedenkstätten in die Schulen
Kultusministerin Kurth will stattdessen die Zusammenarbeit mit Stiftungen ausbauen. Für die Stiftung Sächsische Gedenkstätten heiße das, sie müssten rein in die Lehrpläne, sagt Geschäftsführer Siegfried Reiprich: "Wir haben Initiativen gestartet, um Unterrichtsmaterial gemeinsam mit dem Kultusministerium herzustellen. Wir haben auch schon Vorlagen gemacht: Die Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein wird in den Rahmenlehrplänen erwähnt. Aber wir würden uns da noch mehr wünschen."
In anderen Bundesländern habe es sich bewährt, dass Lehrer die Kontakte zwischen Schulen und Gedenkstätten pflegen, sagt Jens Nagel von der Gedenkstätte Ehrenhain Zeithain: "Das zeigt unsere Erfahrung mit unserem Nachbarlandkreis in Brandenburg - im Elbe-Elsterkreis. Da gibt es eine Gedenkstätten-Lehrerin, mit der wir seit Jahren gut zusammenarbeiten. Das wäre mir wichtiger als Zuschüsse zu Gedenkstättenfahrten." Ein Eichelhäher fliegt über die Wiesen mit den Gedenkstelen. Erst im Mai erwartet Jens Nagel hier die nächsten Schulklassen.