Häuserzerstörung in der West Bank

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Bethlehem, West Bank, Palästina. Zwei Mal bereits wurde das Haus der Familie Salah von israelischem Militär zerstört. Nun hofft sie erneut auf ein eigenes Heim.

„Ich melde den Besuch nicht mehr an, wenn ich mit Internationalen komme“, sagt mein Begleiter. „Das hab ich von einem Filmemacher gelernt. Man muss spontan kommen, direkt in das normale Leben, um ein Gefühl für die Familie zu bekommen.“

Unser Besuch ist also nicht angekündigt, als wir am Nachmittag das Haus der Familie Salah in Al Khadr, westlich von Bethlehem betreten. Aber wir werden mit offenen Armen empfangen. Ich muss mich auf den Platz auf dem Sofa setzen, der am nächsten zum kleinen Heizofen ist. Tee und Kaffee werden serviert. Sogar die Kinder begrüßen uns mit Handschlag und Kuss auf die Wange.

Seitdem ihr Haus zum ersten Mal zerstört wurde, lebt die Familie in diesem kleinen Häuschen der Großmutter. Im oberen Geschoss bewohnen hier Vater, Mutter und 6 Kinder eine winzige Küchenzeile und einen einzigen Raum, der als Schlafzimmer und Aufenthaltsraum zugleich dient. Ich kann mir kaum vorstellen, wie in diesen Raum die 8 Matratzen  passen sollen, die nun ordentlich auf dem einzigen Schrank gestapelt liegen. Tagsüber müssen sich die 6 Kinder zwischen 5 und 18 Jahren hier arrangieren, spielen, Hausaufgaben machen etc.  Das einzige Zimmer im Erdgeschoss dient als Wohnzimmer, zum Empfang von Gästen und als Schlafraum für die Großmutter.

1997 wurde das Haus der Familie Salah zum ersten Mal zerstört. Bewaffnetes Militär und Bulldozer standen ohne Vorwarnung vor der Tür und forderten die Familie auf, das Haus zu verlassen, es befände sich zu nah an der Straße, die nur jüdischen Siedlern vorbehalten sei und stelle somit eine Bedrohung dar. Daraufhin wurde das Haus sofort zerstört, ohne dass die Bewohner Zeit gehabt hätten, irgendetwas aus seine Innern zu retten. So waren sie von einer Stunde auf die andere ohne Haus und Besitz.

Seit 1967 hat der der Staat Israel bisher 12 000 Häuser von Palästinensern in Ost-Jerusalem, West-Jordanland und Gaza zerstört, über 70 000 Menschen wurden dadurch obdachlos. Das ist eine der drastischen Folgen der Besatzung, der die Menschen hier tagtäglich ausgesetzt sind. Im Bezirk Bethlehem sind 60% des Landes konfisziert, unter anderem für den Bau der Mauer, Siedlungen und Sicherheitsanlagen. Manche Dorfgemeinden verloren sogar 80% ihres Landes. Es handelt sich oftmals um Bereiche mit besonders fruchtbarem Boden oder Wasserressourcen. Auch werden durch Gewalt und Repression die Bauern von ihren Feldern ferngehalten, liegen diese dann einige Jahre brach, darf der Staat Israel sie sogar legal annektieren. Das hat enorme Folgen für eine Bevölkerung, die zu großen Teilen von Landwirtschaft lebt.

Risiq Salah ließ sich nicht entmutigen und baute sein Haus wieder auf. Nicht einfach in einem Land mit hoher Arbeitslosigkeit und niedrigen Löhnen. Doch im Jahr 2003 war es schließlich soweit, das Haus war zumindest so weit wieder hergestellt, dass die Familie wieder einziehen konnte. Eine Woche vor dem geplanten Einzug wurde das Haus erneut zerstört. Diesmal mit der Begründung es befinde sich zu nah an der inzwischen errichteten Mauer.

„Ich verlange nicht viel“, sagt Seham Salah, die Mutter der Familie zu mir. „Nur ein Haus, ein eigenes Haus zum Wohnen, das ist schon alles.“ Mit der Möglichkeit einen normalen Haushalt zu führen, mit getrennten Schlafräumen für die Mädchen und die Jungen...Einen ganz normalen Alltag eben. Das ist ihr größter Wunsch. Sie waren nie in einer politischen Vereinigung, waren nie in irgendwelche Art von gewaltvollen Aktionen involviert. So ist es auch nicht zu verstehen, warum eines nachts die älteste Tochter, damals 15 Jahre alt, verhaftet und für 7 Monate inhaftiert wurde. Die Akte sei geheim, kein Anwalt könne darin Einsicht erhalten. Diese 7 Monate haben sie verändert. Sie könne nun Entscheidungen für ihr Leben treffen, sagt sie mir. Die Zeit im Gefängnis ist sehr hart gewesen, aber sie hat sie gestärkt. Sie holt nun ihren Schulabschluss nach und will Journalismus studieren.

Sie bringt mir ihren Schal als Geschenk.

Ich bin berührt von der Offenheit, Großzügigkeit und Gastfreundschaft dieser Familie, die selbst so wenig hat.

Die Organisation Holy Land Trust hat sich verpflichtet, im Rahmen des Home Rebuilding Projektes das Haus der Familie Salah wieder aufzubauen. Der Wiederaufbau begann im Sommer 2009, aufgrund von finanziellen und personellen Schwierigkeiten konnte der Bau jedoch nicht fertig gestellt werden, eine große Enttäuschung für alle Beteiligten. „An dem Tag, an dem wir ihnen den Schlüssel für das Haus übergeben, bin ich ein glücklicher Mann!“ sagt einer der Verantwortlichen des Projektes. Sie fühlen mit der Familie, die nun einen weiteren Winter ohne eigene Bleibe ist. Und sie suchen weiter nach Sponsoren. Diesen Sommer soll das Haus endlich fertig sein. Doch die Finanzierung ist weiter unklar.

Am Abend verabschiede ich mich von der Familie. Es ist ein herzlicher Abschied, und sie lassen mich nicht gehen ohne mein Versprechen, bald wiederzukommen um mit ihnen zu essen. Als wir im Auto sitzen kommt gerade der Vater der Familie, Riziq Salah, von der Arbeit nach Hause. Wir sind uns noch nie begegnet. Doch er begrüßt mich wie eine alte Freundin. Und seine ersten Worte zu mir sind: „Du bist willkommen, jederzeit. Mein Haus ist dein Haus.“

Das Haus der Familie Salah ist das 3. Haus, das Holy Land Trust im Rahmen des Home Rebuilding Projektes wiederaufbaut. Für weitere Informationen über das Projekt und Möglichkeiten, zu spenden, besuche  http://www.holylandtrust.org/