Einige Gedanken aus Moabit

JVA

Die Zelle ist 6,20 × 2,60. Sie hat eine Tür mit Türspion, ausserdem gibt‘s ein Fenster. Davor dicke Gitter, welche bereits Rost angesetzt haben, keine Angst, halten tun sie noch. Bestimmt die nächsten hundert Jahre. Vor den Gittern gibt es noch ein engmaschiges Drahtgitter, es soll verhindern das die Gefangenen untereinander Dinge Tauschen können.

 

Ausserdem beinhaltet die Zelle ein Waschbecken, ein Bett, ein kleinen Schreibtisch mit Stuhl. Sowie einen Schrank. Über dem Bett gibt es ein schmales Brett. Wenn ich mich darunter lege, blicke ich auf „White Power“ und ein Hakenkreuz. Beides mit einem Feuerzeug eingebrannt. Das Brett ist für Bücher gedacht. Da ich nur die aus der Bibliothek habe, liegt auch noch Tabak und anderer Kram daneben. Alles halt, um nicht aus dem Bett zu müssen. Das Bett knarrt bei jeder Bewegung und ist sicher in den anderen Zellen zu hören. Was heisst sicher, ich höre die der anderen ja auch. Bei meiner Ankunft wurde mir ein Packen ausgehändigt welches aus zwei Decken besteht. (Ihr kennt diese Katastrophen Decken aus dem Fernsehn. Es gibt sie auch beim Militär, aber ich hoffe keiner von euch war da) Jedenfalls steht auf meinen „JVA Moabit 1977, mir geht ein anderes Datum durch den Kopf. In die Decken eingewickelt sind eine Tasse, eine Schüssel, Besteck, Knastklamotten die noch älter als die Decken sein könnten. Dann ein Brief mit ein paar Vormeldern, Zahnbürste, ein Kamm, ein Stift. Das ist dein Start-Besitz.

 

„Die ersten 24h in U-Haft sind die schlimmsten“ heisst es immer. Ich würde das anders ausdrücken: „Die erste Woche ist die beschissenste!“ Du hast kein plan von nix. Dir sacht keiner was, von Fristen (z.B. für den Einkauf, Bücher etc.) Das kannst du nur erfragen, wenn dir was komisch vor kommt. Manche Mitgefangenen rufen kurz zu dir rein und fragen ob du Tabak hast, zumindest war es bei mir so. Da ich bei meiner Verhaftung welchen mit hatte, konnte ich das bejahren. Leider hatte ich kein Feuer. Das wurde mir abgenommen. Dies stellst du aber just in der Sekunde fest, in der die Tür wieder zu fällt. Also scheisse. Da liegst du, auf dem Bett. Lauschst nach draußen. Die Mithäftlinge haben gute Laune, machen Witze auf dem Gang. Eine Uhr habe ich nicht, das war schon in der Gesa das Problem. Ich habe kein Zeitgefühl. Damit Mensch nicht wenn sich die Situation ergibt etwas an die Leute draußen zu vermitteln, gleich alles wieder vergessen hat, notiere ich mir Dinge die ich Brauche. Das Gefühl geschieht dir öfter. Z.B. bei Besuchen. Du weisst du bekommst irgendwann heute Besuch. Wenn der Schein aber noch nicht durch war, und dein Anwalt es dir noch nicht mitteilen konnte, liegst du da und wartest. Die Tür öffnet sich: „Sprecher“ (also Besuch), du springst auf, rennst los. Vergisst ne tüte für den Kram den dir die BesucherInnen direkt am Automaten kaufen können, so trägst du es also in der Sammelzelle mit dir rum. Der Zettel mit den Sachen die du den Leuten aufgeben wolltest liegt auf dem Zellentisch. Dir werden Bücher geschickt, du musst dich konzentrieren um dir alle Titel zu merken, schreibst sofort wieder auf der Zelle die Vormelder, damit sie auch ankommen. Heute weiß ich, es kamen viele, in der Hand hatte ich sie dann erst nach der Haft.

 

Besuch ist komisch. Deine Verwandten stehen zwar hinter dir, trotzdem ist die Situation eine unwirkliche. Du Sitzt da, mit deiner Mutter, deinem Vater und noch jemanden deiner Freunde oder Genossen, ausserdem mit einem Herrn vom Staatsschutz und einer Schliesserin. 30 Minuten, sie vergehen wie im Flug. Manchmal sitzt du länger in den Sammelzellen vor und nach dem Besuch, als beim Besuch selber. Ab Zehn Leuten in der Sammelzelle fängst du an zu zählen. Mein Rekord lag bei 13 Glaube ich. Im Winter mag das noch lustig sein, im Sommer ein Grund für einen Hausalarm. Nach dem Besuch ist der Tag gerettet. Du denkst an deine Aufgaben die du Besprochen hast, die lieben Worte und siehst in den nächsten Tag. Vielleicht bekommst du Post. Post versüsst den Tag auf eine Weise wie Mensch ihn nicht mehr in unserer Gesellschaft beschreiben kann. Bekommst du welche am Tag, ist alles in Ordnung. Bekommst du eine Woche keine, du weisst das dir Leute aber etwas schicken, wird es unerträglich. Du kannst dich nur bedingt wehren drinnen. Du verinnerlichst, das die Liebe und Solidarität in deinem Herzen dir nicht genommen werden kann. Die Sehnsucht ist größer und wenn dann etwas kommt, ist alles bestätigt. Die Postzensur gehört für mich zu einem der perfiden Druckmittel dieses Staates, was er hinter Gittern anwendet. Die Gedanken die Mensch hinter Gittern hat, sprengen jegliche Vorstellungskraft. Sie Sprengen auch die Mauern. Und der Moment wo deine Liebe und deine Freunde dich an der Pforte empfangen, lässt in der Sekunde alles Vergessen. Was bleibt ist der Hass, der Hass das Menschen andere Einsperren. Das nur wenige sich wirklich ein anderes, freies Leben vorstellen können und dafür kämpfen.

 

Der Knast ist teil des Systems, das System ist Knast.

Knäste zu Baulücken!

Freiheit für alle!

 

Tobias