In Randerath, einem kleinen Dorf bei Heinsberg zwischen Mönchengladbach
und Aachen spielen sich derzeit beunruhigende Szenen ab. Unlängst –
nachdem ein Vergewaltiger aus der Haft entlassen wurde – entlud sich
der Unmut der örtlichen Bevölkerung gegen ebendiesen Mann. Männer wie
Frauen zogen – teils mit Fackeln – vor das Haus, in dem der Mann
momentan lebt und forderten… ja, was eigentlich? Ein Ende
sexualisierter Gewalt? Ein Ende der Objektivierungen von Frauen und
Kindern? Ein Ende des (Hetero)Sexismus? Ein Ende patriarchaler
Normierung? Ein Ende von Grenzüberschreitungen und Vergewaltigungen –
meist in „ganz normalen Familien“ ausgehend von meist „ganz normalen
Familienvätern“? Nein. All das forderte die Bevölkerung von Randerath
nicht, sondern ganz normale Familienväter setzten auf Selbst- und
Lynchjustiz. Nun wollen auch Neonazis dort marschieren.
Das hier ist weder ein Appell an den Rechtsstaat (der noch nie Probleme
an ihren Ursachen versuchte zu lösen), noch ist dies eine
Rechtfertigung für sexualisierte Gewalt. Dafür gibt es keine
Rechtfertigung. Auch nicht den Minirock, mit dem man Frauen so oft für
selbst schuldig erklärt.
Wer aber „sensationellen Fällen“
aufsitzt, sich von einem christdemokratischen Landrat aufhetzen lässt
(dieser „warnte“ die Bevölkerung), wer den Volksmob und die
Pogromstimmung befürwortet oder sich gar daran beteiligt, wer nicht das
Fahrwasser angreift, in dem diese sensationellen Eisberge schwimmen,
der projiziert ein strukturelles Problem auf das vereinzelt Böse, das
wenn es beseitigt ist, die Lösung verspricht. Eine fatale und falsche
Annahme. Sexualisierte Gewalt wird aber auch in Randerath
individualisiert und damit entpolitisiert (hunderttausende von
„Einzelfällen“ jedes Jahr).
Wer so handelt, meint es nicht ernst mit dem Kampf gegen sexualisierte Gewalt.
Jede
dritte Frau wird in ihrem Leben (ob als Kind oder später) einmal
vergewaltigt, geschlagen oder auf andere Weise zur Betroffenen
sexualisierter Gewalt. Häusliche Gewalt ist die Hauptursache für den
Tod oder die Gesundheitsschädigung bei Frauen zwischen 16 und 44
Jahren. Täter sind selten Fremde. Sexualisierte Gewalt geschieht in den
meisten Fällen in der Familie, in „ganz normalen Familien“ – um nur
einige Eisberge patriarchaler Zustände zu nennen.
Patriarchat
meint einen systemischen Charakter der weltweiten Ausbeutung und
Unterdrückung von Frauen und Mädchen. Das heißt nicht, dass Männer im
Patriarchat Täter und Frauen Opfer sind. Diese
Unterdrückungsmechanismen werden von allen (re-)produziert. Gestützt
wird diese Geschlechterordnung durch die Anwendung psychischer,
körperlicher, seelischer, sexualisierter, politischer und struktureller
Gewalt gegen Frauen und Mädchen.
Sie beruht auf Konstruktion von Geschlecht, auf Biologisierung und Hierarchisierung nach Geschlecht.
Patriarchale,
heterosexistische Normierung kreiert Geschlechterbilder, kreiert
stereotype Bilder von ,Männlichkeit' und ,Weiblichkeit'. Frauen sollen
als passiv, sozial, rücksichtsvoll, fürsorglich, duldsam und emotional
gelten. Bei Männern dominieren Bilder des heroischen,
durchsetzungskräftigen, harten, aktiven, (einzel)kämpferischen sowie
Prinzipien der Starre, des Linearen und des Ordnenden.
Nicht
zuletzt hier kommen die FaschistInnen ins Spiel. Die wollen nämlich in
Randerath kräftig mitspielen und haben in diesem Sinne für den
21.3.2009 eine Demonstration angemeldet.
Ihr Motto: „Todesstrafe
für Kinderschänder“. Sie versuchen diesen „Fall“ für ihre Zwecke zu
nutzen, der aufgebrachten Bevölkerung faschistische wie „einfache“
Konsequenzen zu präsentieren. Die FaschistInnen setzen wie so oft auf
Vernichtung. Ist „das Böse“, auf das man zuvor das Übel der Welt
projizierte erst einmal beseitigt, ist das Problem aus der Welt. Dass
hinter solchen Taten strukturelle Gegebenheiten liegen, dass diese Art
der Gewalt erst aufhören kann, wenn (hetero)sexistische und
patriarchale Strukturen aufgebrochen und beseitigt sind, negieren die
Neonazis (und nicht nur diese) mit diesen Personalisierungen.
Radikal
sein heißt, Probleme an ihren Wurzeln zu bekämpfen. Der Nazismus war in
diesem Sinne nie radikal. Gerade in diesem Themenbereich würde es auch
tatsächlich weltanschaulich, ideologisch schwierig. Denn patriarchale
Gesellschaftsordnung und faschistische Strukturen hängen eng zusammen.
Nicht nur, dass der Faschismus patriarchale Muster begünstigte (ohne
damit sagen zu wollen im NS habe es keine Täterinnen gegeben), die
Gesellschaftsordnung, für die Neonazis stehen, beinhaltet als
fundamentale Einheit ebendiese Strukturen. So stehen Neonazis für den
patriarchalen Männerbund, erklären sich zu heroischen Kämpfern, die den
Kampf selbst zum Ziel haben, propagieren Ehre, Mut, Ruhm, Kraft,
Opferbereitschaft, Wehrhaftigkeit und Kameradschaft. Sie kreieren im
soldatischen Denken das männliche Idealbild des Kriegers.
Egal wo,
»der
Krieger vergewaltigt Frauen. Er fühlt es in seinem Kopf, in seinem
Gewehr und in seinem Sexualorgan: die Zivilisation ermutigt ihn, genau
das zu tun. ... Es geht weniger um die ‘Wiederherstellung’ des
Kriegers, denn um die Selbstvergewisserung der eigenen Macht, und die
Befriedigung des Gefühls, zu den wahren Männern zu gehören.«
meinte einst die Belgrader Feministin Lepa Mladjenovic.
Diese
konstruierte Männlichkeit kommt nicht ohne Weiblichkeit(en) als das
untergeordnete Gegenstück aus. Der Frau kommt hier die Rolle derer zu,
die für den Erhalt und die Reproduktion des „Volkskörpers“ zuständig
ist. Der Mann verfügt in diesem Sinne über die weibliche Sexualität.
Mit
einer Propaganda der Maskulinität des Faschismus, einem faschistische
Ideal der Männlichkeit, das grundlegend ist für das faschistische
Paradigma von Gesellschaft und Staat wollen also Neonazis in Randerath
gegen Vergewaltigung aufmarschieren. Neonazis, die ein System
herbeisehnen, das Millionen von Kindern in Konzentrationslagern
vergasen ließ.
Das ist tatsächlich an Absurdität kaum zu übertreffen.
Wer
den Kampf gegen sexualisierte Gewalt – gegen wen auch immer – aufnehmen
will, wer diesen ernst meint, kann nicht das Patriarchat als die
älteste Herrschaftsform des Menschen über den Menschen vergessen, kann
nicht den Zusammenhang von Patriarchat, Rassismus, Gewalt, Homophobie
und Faschismus beiseite schieben, kann nicht auf diese Formen der
Männlichkeit zurückgreifen.
"Wenn das Leitbild der
Männlichkeit den Militarismus unterstützt, was kann dann den Frieden
fördern? Weiblichkeit? Nein, denn auch dieses Leitbild wurde vom
Patriarchat geschaffen. (...) Wir sollten unserer Kreativität erlauben,
Definitionen hinter uns zu lassen, die das Patriarchat uns gegeben
hat."