Wozu braucht Sachsen eigentlich noch das Landesamt für Verfassungsschutz? Die Frage stellt sich nicht nur die Linksfraktion im Sächsischen Landtag. Und auch nicht nur, weil die Ergebnisse dieses Amtes so mager sind. Immerhin hat Sachsen seit 2012 eine Einrichtung, die deutlich bessere Ergebnisse vorlegt: das Operative Abwehrzentrum (OAZ). 2012 ist nicht ganz zufällig das Jahr des Neustarts.
Denn im Herbst 2011 war das jahrelange Treiben der Terrorzelle NSU bekannt geworden. Dreizehn Jahre lang hatten die drei Neonazis aus Thüringen – Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe – in Sachsen untertauchen können. Und das auch, weil just in der Zeit, in der die drei von Jena in den sächsischen Untergrund abtauchen konnten, in Sachsen die erfolgreiche „Soko Rex“ aufgelöst wurde, 1991 vom damaligen sächsischen Innenminister Heinz Eggert direkt nach den fremdenfeindlichen Übergriffen in Hoyerswerda aus der Taufe gehoben. So mancher Buchautor, der sich seit 2011 mit dem NSU und dem Behördenversagen in Thüringen und Sachsen beschäftigt hat, hat recht deutlich formuliert, dass die Auflösung der „Soko Rex“ just in dieser Zeit schon auffällt und der Verdacht naheliegt, dass hier nicht (mehr) ermittelt werden sollte.
Durch die ganzen 2000er Jahre zogen sich dann diverse Skandale um nicht aufgeklärte rechtsextreme Straftaten und Vereinigungen. Die Polizei war überfordert, der Verfassungsschutz bekam in der Regel nichts mit. So war es ein echter Erfolg, den Polizeipräsident Bernd Merbitz für sich verbuchen konnte, als er die Gründung des OAZ (das sich anfangs nur gegen rechtsextreme Straftaten richten sollte) in der „Polizeireform 2020“ durchsetzte und damit für die aufgelöste „Soko Rex“ einen echten, arbeitsfähigen Nachfolger schuf.
Und die Zahlen sprechen für sich. Die LVZ hat sie am 21. Januar mal veröffentlicht: „Im Vergleich zu 2014 sind im letzten Jahr die Ermittlungsverfahren wegen politisch motivierter Kriminalität um mehr als ein Drittel auf 242 Fälle gestiegen – verantwortlich ist vor allem eine starke Zunahme von Straftaten durch Neonazis. Gegen Rechtsextremisten wurden 208 Ermittlungsverfahren (2014: 159) eingeleitet. Die Zahl der linksradikalen Fälle stieg von 18 auf 34. Insgesamt ermittelte die Spezialeinheit im vergangenen Jahr in 330 Verfahren (2014: 292), wobei sich politisch motivierte Straftaten bei einem Teil nicht nachweisen ließen, sagt OAZ-Chef Bernd Merbitz.“
Man kann heute schon Wetten darauf abschließen, dass sich der Verfassungsschutz wieder ein völlig anderes Zahlenverhältnis zurechtbasteln wird.
Aber das OAZ sammelt eben keine nur gemußtmaßten Straftaten, sondern ermittelt wirklich dort, wo Personen mit augenscheinlich politischer Motivation kriminell geworden sind. Und es ist – nach seinen begrenzten personellen und materiellen Möglichkeiten – erfolgreich. Zwei Drittel der Straftaten werden aufgeklärt.
Was natürlich nicht beruhigt, wenn im Zuge der zunehmend schärferen politischen Diskussion einige Leute glauben, jetzt vermehrt zündeln und Gewalttaten verüben zu müssen, um ihrer verqueren Weltsicht Ausdruck zu geben.
„Die durch das Operative Abwehrzentrum (OAZ) vorgelegten Zahlen machen die Dramatik der Lage deutlich. Der ohnehin erschreckende Stand des Jahres 2014 wurde nochmals deutlich übertroffen“, stellt Kerstin Köditz, Sprecherin der Linksfraktion für antifaschistische Politik, fest. „Bereits jetzt ist absehbar, dass sich dieser Trend ungebrochen fortsetzt. Zwar ist Polizeipräsident Bernd Merbitz als Freund deutlicher Worte bekannt, doch ist er in diesem Fall zu zurückhaltend. Ich mache darauf aufmerksam, dass ein Teil offenkundig politisch motivierter Straftaten gar nicht durch das OAZ bearbeitet wird. Dazu gehören beispielsweise die knapp 30 bekannt gewordenen Angriffe auf Journalistinnen und Journalisten im vergangenen Jahr.“
Das OAZ könnte durchaus schlagkräftiger werden, wenn auch das andere Problem einmal gelöst wird, das der Innenminister nicht so recht ernst nehmen will: Die Ausstattung mit genügend IT-Spezialisten.
„Wenn es Innenminister Markus Ulbig ernst meint mit seinen Worten, es habe sich bewährt, ‚Kompetenzen zentral zu bündeln‘, dann ist die einzig mögliche Konsequenz, dass endlich die personelle Sollstärke des OAZ hergestellt wird, vermehrt entsprechende Qualifizierungsmaßnahmen für Beamte in den Polizeipräsidien durchgeführt werden und das Fachpersonal im OAZ deutlich aufgestockt wird“, betont die Landtagsabgeordnete. „Dafür muss entsprechend Geld in die Hand genommen werden. Dies wäre problemlos ohne zusätzliche Belastung des Haushalts durch Umschichtungen möglich. Die aktuelle Situation zeigt nachdrücklich auf, dass das sogenannte Landesamt für Verfassungsschutz so überflüssig wie ein Kropf ist. Wenn vom Behördenchef Gordian Meyer-Plath lediglich Plattitüden zu vernehmen sind wie die Aussage, es sei ‚beim Rechtsextremismus gegenwärtig kein weißer Fleck auf der sächsischen Landkarte erkennbar‘, bringt dies lediglich die Erkenntnis, dass dieser Präsident auch nach mehr als zweijähriger Amtszeit noch zu keiner kompetenten Einschätzung der Lage fähig oder willens ist. Weiße Flecken auf der sächsischen Landkarte in Bezug auf die extreme Rechte gibt es bereits seit langen Jahren nicht mehr.“
Und die linke Politikerin findet es nur folgerichtig, dass das durch seine fehlende Kompetenz glänzende Amt einfach aufgelöst wird und die frei werdenden Mittel dem OAZ zugeschlagen werden, damit es wirklich seine Möglichkeiten endlich voll entfalten kann.
„Wenn also das Landesamt für Verfassungsschutz den selbst gestellten Anspruch als Fernaufklärer der Demokratie nicht ausfüllen kann, sollten entsprechend Mittel für das erfolgreich arbeitende OAZ umgeschichtet werden. Innenminister Ulbig wiederum kann ich nur dringend auffordern, angesichts dieser sich weiterhin verschärfenden Lage einerseits die Mittel für die Präventionsarbeit der Polizei deutlich aufzustocken und andererseits – wie von uns seit Jahren gefordert – aus dem Förderprogramm ‚Weltoffenes Sachsen‘ endlich ein ressortübergreifendes Landesprogramm ähnlich wie in Brandenburg zu machen.“
Und auch Petra Zais, Rechtsextremismusexpertin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Sächsischen Landtag, hat die Wortmeldung von Bernd Merbitz mitbekommen.
„Es gilt nun, endlich beide Augen zu öffnen, nachdem man in verantwortlichen Positionen in Sachsen jahrelang auf dem rechten Auge blind war. Es wird immer offensichtlicher, was man in Sachsen jahrelang geleugnet hat. Der Rechtsextremismus hat sich in Sachsen flächendeckend ausgebreitet und ein, den Zusammenhalt unserer Gesellschaft, gefährdendes Ausmaß erreicht. Dass Leipzigs Polizeipräsident und Chef des Operativen Abwehrzentrums, Bernd Merbitz, nun der Staatsregierung auch das rechte Auge öffnet, wird höchste Zeit“, sagt sie.
Und sie geht auch auf das politische Klima ein, das seit einem Jahr dazu führt, dass sich die Brandstifter im Land animiert fühlen, wirklich loszugehen und Feuer zu machen.
„Erst kürzlich brachte die durch unsere Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gestellte Große Anfrage (Drs. 6/2584) zutage, dass die sächsische Staatsregierung über vieles, was in Sachsen in der rechtsextremen Szene vor sich geht, nicht informiert ist“, so die Abgeordnete. „Die Verharmlosung des Einflusses organisierter rechtsextremer Strukturen auf asylfeindliche Gruppierungen, ein Verfassungsschutzpräsident, der bei Legida keine Rechtsextremen sehen will, eine daraus resultierende lückenhafte Wahrnehmung seiner Aufgaben, ein ehemaliger Ministerpräsident, der den Zusammenhang zwischen Brandstifterreden und realen Brandstiftungen leugnet, rechtsextreme Versammlungen, die als ‚Ansammlungen‘ abgetan werden, und eine durch ständigen Personalabbau ausgedünnte Polizei in Kombination mit massiven Verlustängsten in der Bevölkerung haben über die Jahre den Nährboden gebildet, auf dem rechtsextremistische und fremdenfeindlich orientierte Gruppierungen in Sachsen bestens gedeihen konnten. Inzwischen sind sie in Sachsen hervorragend organisiert und teilweise sogar international vernetzt.“
Sie geht noch nicht so weit wie Kerstin Köditz, die Auflösung des LfV zu fordern. „Dem allgemeinen Staunen müssen nun aber auch Taten folgen. Regierung, Polizei und Verfassungsschutz müssen ihr Vorgehen neu ausrichten. Und dies besser heute als morgen.“
Anfrage von Kerstin Köditz zur Arbeit des OAZ aus dem März 2015.
Anfrage von Valentin Lippmann (Grüne) zur Arbeit des OAZ aus dem Juli 2015.
Anfrage von Kerstin Köditz zur Arbeit des OAZ aus dem November 2015.