Polizeipräsident: Es ist nicht 5 vor 12, es ist 5 nach 12

Erstveröffentlicht: 
21.01.2016
Aktuelle Stunde im Stadtrat zu Ausschreitungen in Leipzig / Jung: Polizei bekommt 110 zusätzliche Beamte

VON KLAUS STAEUBERT

 

Leipzig. In einer Aktuellen Stunde beschäftigte sich gestern der Stadtrat mit den jüngsten Straßenkrawallen. Polizeipräsident Bernd Merbitz forderte eine offene gesellschaftliche Diskussion darüber und ein parteiübergreifendes Bündnis gegen Gewalt. „Es ist nicht 5 vor 12, es ist 5 nach 12“, sagte der Polizeichef.

 

Es war das erste Mal nach den linksextremen Ausschreitungen in der Süd-vorstadt am 12. Dezember 2015 unddem Überfall von Rechtsradikalen am11. Januar 2016 auf den linksalternativen Stadtteil Connewitz, dass Merbitz zu den Ereignissen öffentlich Stellung nahm. Was an den beiden Tagen geschah, bewegt ihn nach wie vor sehr: 69 verletzte Polizisten am 12. Dezember, fünf verletzte Beamte am 11. Januar, mehrere hunderttausend Euro Sachschaden. „Die Gewaltspirale wird weiterlaufen“, ist Merbitz sicher und sieht dafür eine zentrale Ursache: „Wir haben ein Problem mit Links- und Rechtsextremen, das ist in dieser Konstellation das Schlimmste, was man sich vorstellen kann.“ Im Jahr 2015 gab es eine Vielzahl von Vorfällen. Es gehöre schon fast zur Tagesordnung, dass Politiker verleumdet und bedroht, Büros von Parteien angegriffen und Polizeiautos angezündet würden. Merbitz nahm auch Bezug auf Beschimpfungen, denen seine Beamten ausgesetzt sind, und erwiderte diese mit deutlichen Worten: „Wir sind keine Bullenschweine. Wir wollen Recht und Ordnung gewährleisten. Das fällt uns durch diese Gewaltbereitschaft immer schwerer.“ An die Stadträte appellierte er: „Wir sollten uns ganz schnell parteiübergreifend hinsetzen.“

 

Laut Ordnungsbürgermeister Heiko Rosenthal (Linke) bereitet der Kriminalpräventive Rat eine Forschungsstudie zu den Ursachen urbaner Gewalt in Leipzig vor. Er zitierte aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage, wonach von Ende Oktober 2014 bis Mitte November 2015 bundesweit 940 Straftaten im Zusammenhang mit den Gida-Bewegungen registriert wurden, 21 Prozent davon in Leipzig. Allein auf den Bereich der rechten Gewalt entfielen dabei deutschlandweit 255 Straftaten, in Leipzig waren es 53 (zum Vergleich: in ganz Sachsen 63). „Legida tut der Stadt nicht gut“, befand Polizeipräsident Merbitz. Nach Einschätzung des Landesamtes für Verfassungsschutz, so Rosenthal, dominiere in Sachsen der Linksextremismus die autonome Szene. Von den 360 sächsischen Autonomen lebten 190 Personen in Leipzig. Mit der Zunahme der Demonstrationen stieg auch die Zahl der linksextremistischen Straftaten.

 

In der Debatte betonten Redner aller Fraktion die Ablehnung von Gewalt in der politischen Auseinandersetzung. Achim Haas (CDU) beklagte, dass Connewitz, ein „bunter, lebenswerter Stadtteil“, durch ein paar wenige linksautonome Gewalttäter „in Sippenhaft“ genommen werde, was das Ansehen von ganz Leipzig beschädige. Die Politik trage eine Mitschuld. „Das Phänomen Connewitz haben wir uns seit den 1990er Jahren selbst geschaffen“, so Haas. „Da waren wir auf dem linken Auge blind.“ Tobias Keller (AfD) thematisierte die Spaltung und Radikalisierung der Bürgerschaft. Mitverantwortung würden der Oberbürgermeister sowie Grüne und SPD tragen, weil diese sich nicht genügend von linksextremistischer Gewalt distanzierten.

 

Adam Bednarsky (Linke) stellte vor dem Hintergrund von 924 Anschlägen auf Flüchtlingsheime fest: „Die größte Bedrohung kommt von Rechtsaußen.“ Norman Volger (Grüne) betonte: „Rechtsextremismus zu widersprechen, ist nicht linksradikal, sondern Bürgerpflicht.“ Axel Dyck (SPD brach eine Lanze für Connewitz: „Connewitz gehört nicht allein der autonomen Szene.“ Ihm missfalle, dass nach Krawallen reflexartig soziokulturelle Zentren in Frage gestellt würden. „Wir brauchen eine Sicherheitsstruktur, in der vor allem die Polizei personell, materiell und strategisch für die jeweiligen Lagen ausreichend ausgestattet ist“, sagte Dyck. Kritikern der jüngsten Polizeieinsätze schrieb er ins Stammbuch: „Wenn nach jedem Polizeieinsatz die üblichen Verdächtigungen gegen die Polizei ausgesprochen werden, bedeutet das nichts anderes als eine Relativierung der Ursachen für den Einsatz.“

 

Schließlich kündigte Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) eine Verstärkung der Leipziger Polizei an. Sie bekomme ab 1. März 110 zusätzliche Beamte.