Innenminister rüffelt Kölner Polizei

Erstveröffentlicht: 
12.01.2016
„Das Bild in der Silvesternacht ist nicht akzeptabel“, erklärt Ralf Jäger im Landtagsausschuss Von Lena Klimkeit

 

Düsseldorf. Gravierende Fehler hat NRW-Innenminister Ralf Jäger der Kölner Polizeiführung in der Silvesternacht vorgeworfen. Um die massiven Übergriffe auf Frauen und weitere Straftaten zu verhindern, hätte die Kölner Polizei auf zusätzliche, in der Nacht verfügbare Einsatzkräfte zurückgreifen müssen, sagte der SPD-Politiker am Montag bei einer Sondersitzung des Innenausschusses im Düsseldorfer Landtag. Sie habe aber die angebotene und „dringend benötigte Verstärkung für diese unerwartete Lageentwicklung“ nicht abgerufen, sagte der Minister. Die Opposition aus CDU und FDP forderte indes von Jäger eine Entschuldigung für das Fehlverhalten. Auch ein Wort des Mitgefühls von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft wäre überfällig, meint die CDU-Abgeordnete Kristin Korte. Ihr Schweigen sei ein „Schlag ins Gesicht der betroffenen Frauen“.

 

„Das Bild, das die Kölner Polizei in der Silvesternacht abgegeben hat, ist nicht akzeptabel“, betonte Jäger. Der Innenausschuss war zusammengekommen, weil die Opposition Aufklärung von Jäger verlangt hatte. Er hatte am Freitag Kölns Polizeipräsidenten Wolfgang Albers in den einstweiligen Ruhestand versetzt. Auch der nordrhein-westfälische Polizei-Inspekteur Bernd Heinen berichtete, dass die Kölner Polizeiführung bereits frühzeitig Hinweise auf eine stark alkoholisierte, enthemmte Männermenge hatte. Dennoch habe die Polizeiführung keine Verstärkung angefordert. „Unterstützungskräfte hätten die Behörden in die Lage versetzt, Straftaten zu verhindern“, sagte Heinen.

 

Die Tatverdächtigen der Übergriffe sind nach Jägers Darstellung fast nur Menschen mit Migrationshintergrund. Darauf deuteten sowohl die Zeugenaussagen als auch der Bericht der Polizei Köln sowie die Schilderungen der Bundespolizei hin. „Ebenfalls spricht vieles dafür, dass es Nordafrikaner wie auch Menschen aus dem arabischen Raum waren.“ Die Polizei ermittele gegen 19 Tatverdächtige, die alle keine deutsche Staatsbürgerschaft hätten. „Alle Tatverdächtigen sind ohne festen Wohnsitz oder unbekannten Aufenthalts beziehungsweise in Untersuchungshaft.“ Und: „Alle bisher ermittelten Tatverdächtigen sind nicht deutscher Nationalität“, sagte ein Sprecher der NRW-Polizei. Unter den 32 Tatverdächtigen, die die Bundespolizei identifiziert hat, sind auch drei Deutsche. Insgesamt bearbeite die Ermittlungsgruppe Neujahr 516 Strafanzeigen, die bei der Bundes- und Kölner Polizei eingegangen seien, hieß es beim Innenministerium.

 

Jäger kritisierte zudem die Öffentlichkeitsarbeit der Kölner Polizei. Die Behörde hatte die Vorkommnisse erst verschwiegen und dann heruntergespielt. Außerdem war ihr vorgeworfen worden, Hinweise auf die Herkunft der Verdächtigen zunächst nicht veröffentlicht zu haben. In einer ersten Pressemitteilung hatte die Kölner Polizei am Neujahrsmorgen von einer entspannten Lage und einem guten Einsatz der Polizeikräfte gesprochen. Von der verschiedentlich geäußerten Ansicht, die Polizei solle Straftaten von Ausländern nicht erwähnen, um Rechtsextremen keine Nahrung zu geben, grenzte sich Jäger vehement ab: Auch der Staat dürfe bei der Aufklärung der Taten nichts vertuschen oder unter den Teppich kehren, betonte er. „Nach dem Alkohol- und Drogenrausch kam der Gewaltrausch. Und es gipfelte in der Auslebung sexueller Allmachtsfantasien.“ Das müsse hart bestraft werden, forderte der SPD-Politiker.

 

Die Polizei hat nach Angaben des NRW-Landeskriminaldirektors bisher keine Erkenntnisse, dass die Übergriffe in Köln an Silvester im Vorfeld geplant und abgesprochen waren.

 

Es sei falsch, die Verantwortung nun auf die Kölner Polizei abzuschieben, sagte der Innenexperte der nordrhein-westfälischen CDU-Landtagsfraktion, Gregor Golland. Es handele sich um ein „Versagen Ihrer Sicherheitspolitik“, warf er dem Minister vor. „Die Lage ist Ihnen entglitten. Sie sind verantwortlich für die Sicherheit in Nordrhein-Westfalen.“ Die CDU als Oppositionspartei im Land wertet die Übergriffe in Köln als „Höhepunkt des Staatsversagens in Nordrhein-Westfalen“. Es mache sich zunehmend „ein Gefühl der Rechts- und Führungslosigkeit breit“, sagte der CDU-Abgeordnete Theo Kruse. Oppositionsführer Armin Laschet (CDU) bescheinigte Jäger im Interview des Fernsehsenders Phoenix: „Es sind aus meiner Sicht etwas zu viele Fälle der inneren Sicherheit, die in Nordrhein-Westfalen schieflaufen.“

 

Jäger aber sieht sich nicht verantwortlich für den Polizeieinsatz. „Es ist völlig ausgeschlossen, dass ein Ministerium in irgendeiner Weise in eine operative Lage eingreifen kann oder will. Es wäre dasselbe, als ob die Gesundheitsministerin eine Blinddarmentzündung operiert“, sagte er. Er kündigte Konsequenzen an: Frauen sollen sich auch im Karneval sicher fühlen können. Es werde deshalb deutlich mehr Polizei und mehr Videoüberwachung geben.


 

Residenzpflicht soll eingeführt werden

Nach den Übergriffen in der Silvesternacht in Köln erwägt die Bundesregierung, anerkannten Flüchtlingen den Wohnsitz vorzuschreiben. Die Koalition habe eine große Chance, eine derartige Regelung in den nächsten Wochen zu vereinbaren, sagte Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) in der ARD. Die CDU fordert diese „Residenzpflicht“ schon länger, am Sonntag war auch Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) darauf eingeschwenkt. Regierungssprecher Steffen Seibert sagte in Berlin, es werde derzeit „intensiv geprüft“, ob Wohnsitzauflagen für anerkannte und subsidiär geschützte Flüchtlinge ausgedehnt werden sollten. Solche Beschränkungen gibt es derzeit nur für Asylbewerber im Verfahren und Geduldete, solange sie nicht selbst für ihren Lebensunterhalt sorgen können. Anerkannte Flüchtlinge dürfen sich frei bewegen. Das verlangt unter anderem die Genfer Flüchtlingskonvention. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) forderte, schnell Konsequenzen zu ziehen. Er sei dazu im konstruktiven Gespräch mit Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD). Der Innenminister hatte sich zuvor dafür ausgesprochen, die Hürde, ab der sich Straffälligkeit auf ein Asylverfahren auswirkt, herabzusetzen.