"Wir haben längst Parallelgesellschaften zugelassen"

Erstveröffentlicht: 
18.01.2016

Sachsens Regierungschef sagt: Die mangelnde Integration von Zuwanderern ist seit vielen Jahren ein Problem. Asylbewerber ohne Chance an der Grenze abzuweisen ist für Tillich "kein inhumaner Akt".

 

Die Welt: Herr Tillich, Leipzig gilt als Hochburg linksextremer Gewalt, Dresden als rechte Pegida-Hochburg. Ist Sachsen ein Land der Extreme?

 

Stanislaw Tillich: Beide Entwicklungen sind besorgniserregend. Wir haben insbesondere in Leipzig eine klare Zunahme an Extremismus. Im Stadtteil Connewitz gibt es seit mehr als 20 Jahren eine linksextreme Szene. Dann haben wir in Leipzig mit Legida einen extremistischen Pegida-Ableger.

Pegida hat seit der jüngsten Rede der Organisatorin Tatjana Festerling in Leipzig die Maske fallen lassen. Pegida ist nicht nur ausländerfeindlich, sondern ruft jetzt auch zu Gewalt gegen andere auf. Die Bewegung, die sich öffentlich friedlich gibt, hat sich jetzt entlarvt. Pegida wird damit sicher ein Fall für die Justiz und die Strafverfolgungsbehörden.

 

Die Welt: Noch mal: Hat Sachsen ein Problem?

 

Tillich: Wie ich schon sagte: Ja, wir haben mit Extremismus ein Problem. Zuletzt gerade in Leipzig, wo es wiederholt Angriffe auf staatliche Einrichtungen, auf die Polizei, und dann zuletzt rechtsextreme Gewalt gab. Auf die Zunahme von Gewalt und Extremismus müssen wir hart reagieren. Wir müssen klarmachen, dass es keine rechtsfreien Räume gibt.

 

Die Welt: Wie sieht Ihre Strategie gegen Pegida aus?

 

Tillich: Wir setzen weiter auf unsere Bürgerdialoge, wir sprechen mit den Pegida-Anhängern. Das müssen wir ausbauen. Damit meine ich nicht nur die Politik. Auch die Unternehmer, die Gewerkschaften und Kirchen müssen den Dialog suchen. Die gesamte Gesellschaft ist gefordert.

 

Die Welt: Erkennen Sie eine Verbindung zwischen Pegida und der AfD?

 

Tillich: Interessanterweise hat die AfD in Dresden versucht, eigene Demonstrationen in Konkurrenz zu Pegida abzuhalten. Demnach müsste man meinen, da gebe es keine Verbindungen. Ideologisch sind sich beide allerdings sehr nah. Beide sind sich einig in der Ablehnung der Politik. Die einen formulieren den Widerstand in der Opposition im Landtag, die anderen auf der Straße.

 

Die Welt: In der Flüchtlingskrise bekommt die AfD weiter Aufwind. Wie erleben Sie die Partei im Dresdner Landtag?

 

Tillich: Die AfD ist in der parlamentarischen Arbeit ohne Konzept. Da kommt gar nichts. Es gibt keinerlei inhaltliche Arbeit, sondern nur Protest. Wer AfD wählt, muss sich die Frage gefallen lassen, für welches Programm die Partei eigentlich steht. Ich erkenne keines.

 

Die Welt: Die Umfragen vor den Landtagswahlen sind hervorragend für die AfD. Gehört sie bald zum politischen Inventar?

 

Tillich: Es hat sich viel getan in der politischen Landschaft. Die SPD hat sich in die Mitte orientiert. Die Union hat der Sozialpolitik mehr Raum gegeben als der Wirtschaftspolitik.

 

Die Welt: Sie können es auch Linksruck nennen.

 

Tillich: Das würde aber nicht den Tatsachen entsprechen. In diesen Zeiten des wirtschaftlichen Erfolgs, niedriger Arbeitslosigkeit und sprudelnder Steuereinnahmen nähern sich Union und SPD weiter an. Sie treffen sich in der Mitte, wo dann das Geld ausgegeben wird.

Diesem Land geht es faktisch so gut, dass eine Art von Leere an großen Zielen entstanden ist. Es werden kaum zukunftsfähige Konzepte entwickelt, die die Gesellschaft weiter voranbringen. Dies erwarten die Menschen aber von der Politik. Dies führt zu Unzufriedenheit.

 

Die Welt: Im vergangenen Jahr kamen 1,1 Millionen Flüchtlinge nach Deutschland. Wie viele verkraftet unser Land?

 

Tillich: Wir werden nicht noch mal die Zahl von 2015 verkraften können. Ich mache bei der Debatte über Obergrenzen nicht mit, aber die Zahl muss ganz klar sinken.

 

Die Welt: Die CSU spricht von maximal 200.000 Flüchtlingen.

 

Tillich: Und was machen wir, wenn es 200.002 werden? Die Debatte lenkt davon ab, dass wir uns eines klarmachen müssen: Deutschland hat es bereits in den vergangenen 15 Jahren nicht geschafft, viele der Zuwanderer zu integrieren. Und zwar sehenden Auges. Wir haben längst Parallelgesellschaften zugelassen.

Jetzt sind eine Million zusätzliche Menschen in wenigen Monaten zu uns gekommen. Das ist ein enormes Problem.

 

Die Welt: … dem man wie begegnen sollte?

 

Tillich: Zum Beispiel mit einer Sofortmaßnahme. Deutschland könnte viel stärker unabhängig von der EU das Flüchtlingswerk UNHCR unterstützen, damit die Flüchtlingslager in Jordanien, im Libanon und in der Türkei besser ausgestattet werden. An dieser finanziellen Hilfe könnten sich die Bundesländer beteiligen. Diese Ausgaben wären deutlich geringer als die zu erwartenden Kosten, wenn noch mehr Flüchtlinge in unser Land kommen.

Zudem müssen wir über die Erweiterung der sicheren Drittstaaten sprechen. Und wir brauchen mehr bilaterale Abkommen, um Abschiebungen zu vereinfachen.

 

Die Welt: Muss Deutschland notfalls Flüchtlinge an den Grenzen zurückweisen?

 

Tillich: Wenn die EU ihre Außengrenzen nicht schützen kann, muss Deutschland seine nationalen Grenzen schützen. Das ist die Politik der Bevölkerung gegenüber schuldig. Wenn ein Flüchtling nachweislich keine Chance auf Asyl haben wird, ist eine Abweisung an der Grenze kein inhumaner Akt. Inhuman ist vielmehr die gängige Praxis, Menschen mit einem ungeklärten Asylstatus bei uns zu dulden und nach Jahren abzuschieben.

 

Die Welt: Kommen Flüchtlinge über die sächsischen Außengrenzen?

 

Tillich: Ja, wenn auch nicht in dem Maße, das Bayern zu verkraften hat. Aber auch Sachsen hat das Problem, dass Tausende illegal die Grenzen überschreiten. Im vergangenen Jahr hat die Bundespolizei in Sachsen etwa 4800 Flüchtlinge aufgegriffen, die über die tschechisch-sächsische Grenze gekommen sind, und rund 1200 Flüchtlinge, die über die polnisch-sächsische Grenze gekommen sind. 2015 wurden in Sachsen 369 Schlepper festgenommen, 2014 waren es noch 250.

 

Die Welt: Haben Sie den Eindruck, dass sich seit den Vorfällen in der Kölner Silvesternacht die Stimmung gegenüber Flüchtlingen verändert?

 

Tillich: Wir sind in den vergangenen Monaten zu idealistisch an die Flüchtlingskrise herangegangen. Wir haben von hervorragend ausgebildeten Flüchtlingen gesprochen, die unser Land weiterbringen werden. Wir haben allen Flüchtlingen unterstellt, sie würden nach ihren Leidenswegen so froh sein, hier in Frieden leben zu dürfen, dass sie niemanden etwas Böses antun. Köln hat uns ein Menschenbild gezeigt, das wir bisher ignoriert haben.

 

Die Welt: Und zwar?

 

Tillich: Wir haben wohl immer noch zu wenig Erfahrungen mit dem Islam und der Umgangskultur, die er vermittelt. Wenn muslimische Männer massenhaft Frauen sexuell belästigen, fragen wir uns natürlich: Warum tun die das? Wer bei uns leben will, muss unsere Werte akzeptieren sowie unsere Rechte und Normen einhalten. Wir müssen diese Menschen zur Integration zwingen.

 

Diese Menschen wollen unseren Wohlstand teilen. Sie können nicht nur nehmen, sondern müssen auch geben. Sie müssen Deutsch lernen. Wer nicht zu Integrationskursen erscheint, muss Abstriche in Kauf nehmen. Wer nicht Deutsch lernen will, muss von den circa 340 Euro im Monat etwas zurückzahlen. Es ist das gleiche Prinzip wie bei Hartz-IV-Empfängern, die die Arbeit verweigern.

 

Die Welt: Welche Folgen haben die Kölner Ereignisse?

 

Tillich: Wir müssen über unseren Umgang mit der Polizei reden. Die Polizei in Köln hat von massiven Respektlosigkeiten gegenüber den Beamten berichtet. Woran liegt das wohl? Die Flüchtlinge sehen doch, wie wir selbst mit unserer Polizei umgehen.

Wir müssen unseren Polizisten wieder ihr staatliches Gewaltmonopol zubilligen. Dann zeigen auch Ausländer Respekt gegenüber den Ordnungskräften.