Merkel verspricht in Bayern eine Reform der EU

Erstveröffentlicht: 
07.01.2016
Bei ihrem ersten Auftritt in Wildbad Kreuth setzt die Kanzlerin ein unerwartetes europapolitisches Signal – und enttäuscht CSU-Erwartungen

Von Dieter Wonka

 

Wildbad Kreuth. Für die deutsche Bundeskanzlerin herrscht derzeit Sicherheitsstufe eins plus. In Bayern weiß man ganz genau, was das bedeutet. Rund um das Tagungsgebiet der Kreuther Jahresauftaktklausur der CSU sichert allein eine halbe Polizeihundertschaft das mit Altschnee bedeckte Wiesengebiet vor dem Konferenzort ab. Sie schützen den Kreuther Ehrengast der Christsozialen vor Übergriffen und ganz nebenbei auch noch vor zu viel Nähe zu den anwesenden Journalisten.

 

Per Hubschrauber flog die wichtigste Frau der Republik ins Hochtal am Fuße der Blauberge. Vorher war die Legende verbreitet worden, sie käme wie alle anderen Diskutanten der CSU mit dem Auto. Doch das war nicht so. Ein vorausfliegender Hubschrauber mit Scharfschützen checkte zunächst von oben die Lage, dann ließ es Angela Merkels Pilot recht kräftig auf der Schneefläche stauben. Eindrucksvoller wäre auch US-Präsident Barack Obama nicht gelandet. Sie sei nicht nur die erste Kanzlerin, sondern überhaupt der erste deutsche Regierungschef, der in Kreuth bei der CSU auftrete, sagte Merkel kurz nach ihrem Eintreffen. Die Bedeutung dieses Besuchs im Wildbad kann also kaum überschätzt werden.

 

Im Gepäck hat sie eine Botschaft, die den auch in der CSU nicht wenigen Euro-Skeptikern gefallen mag. Sie wolle dem britischen Premierminister David Cameron, der die EU reformieren und den Mitgliedsstaaten mehr Rechte zulasten von Brüssel zubilligen will, „entgegenkommen“, erklärte Merkel. Damit solle erreicht werden, dass Großbritannien trotz des angekündigten Referendums EU-Mitglied bleiben könne. Cameron wurde am Mittwoch sogar noch als Gast in Kreuth erwartet. Ein Schulterschluss der EU-Kritiker also.

 

War das nun die Botschaft, die man erwartete? Eigentlich hätte die bayerische Unionsschwester so gern etwas Präzises von Merkel zu der von CSU-Chef und Ministerpräsident Horst Seehofer geforderten Obergrenze von höchstens 200 000 Flüchtlingen im Jahr gehört. Den Gefallen tat die CDU-Vorsitzende dem „lieben Horst“ und ihrer wirklichen politischen Freundin, der CSU-Landesgruppenvorsitzenden Gerda Hasselfeldt, allerdings nicht. „Es gibt einige Positionen, bei denen wir unterschiedlicher Meinung sind, aber es gibt in der Union weitaus mehr gemeinsame Positionen.“ Betont gelassen reagiert sie auf alle Meinungsverschiedenheiten.

 

Seehofer hatte unmittelbar zuvor den CSU-Bundestagsabgeordneten noch richtig Angst eingejagt. „Wenn wir in diesem Jahr die Wende in der Flüchtlingspolitik nicht hinbekommen, dann hat die Union ihre besten Tage hinter sich“, erklärte er. So weit wolle er es aber nicht kommen lassen, fügte er hinzu. In Kreuth liebt man die harten Kampfansagen – das ist schon seit mittlerweile vier Jahrzehnten so.

 

Mehr als 3000 Flüchtlinge kommen tagtäglich über Deutschlands Grenzen. Gestern und vorgestern waren es sogar mehr als 4000. Die allermeisten davon treffen zunächst in Bayern ein. In der CSU haben sie deshalb kurz vor Beginn ihrer Klausurtagung einmal nachgerechnet: 3000 mal 365 macht 1,15 Millionen Not leidende Zuwanderer im Jahr. „Wenn das passiert, gehören wir der Katz!“, sagte Max Straubinger, Parlamentarischer Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe im Bundestag.

 

Das Beispiel zeigt: Die CSU liebt in Kreuth die knalligen Botschaften. Das geschah bereits im Jahr 1976, bei der ersten Klausurtagung der CSU-Landesgruppe im Bundestag. Im Hauruckstil wollte Franz Josef Strauß die CSU damals von der CDU abspalten, die Fraktionsgemeinschaft beider Parteien im Bundestag sollte aufgekündigt werden. Eine bundesweite „vierte Partei“ stand im Raum. Der Plan wurde nach ein paar wilden Tagen wieder kassiert. Der Kreuther Mythos aber wird seitdem Jahr für Jahr wiederbelebt. Hier wächst die bayerische Partei gern über sich hinaus, in der Öffentlichkeit wird dies inszeniert – und zahlreiche geladene Gäste sind dann immer tief beeindruckt, die Öffentlichkeit nicht minder.

 

Eine vierte Partei rechts von der CDU gibt es heute. Entlang der Anfahrtstrecke zum CSU-Tagungsort hat die rechtspopulistische AfD 2016 „gegen Asylmissbrauch“ und „gegen ein Deutschland ohne staatliche Rechtssicherheit“ protestiert. „Dieses Problem“, sagt Seehofer, „wird uns bleiben, bis wir die Probleme mit der ungeregelten Zuwanderung bewältigt haben.“ Die Rechtspopulisten bedrohen derzeit die Stärke der Union in den Umfragen.