„Das waren Bestien“

Erstveröffentlicht: 
06.01.2016
Wie Nana Domena, Chef einer Kölner Firma und Sohn ghanaischer Eltern, die sexuellen Übergriffe auf Frauen erlebte

Von Thorsten Fuchs

 

Köln. Es fällt ihm nicht leicht, die richtigen Worte zu finden, auch jetzt nicht, fünf Tage später. Vielleicht liegt es daran, dass es so unfassbar war, was da vor seinen Augen geschah, so vollkommen unglaublich, aber wahrscheinlich auch daran, dass er in so gänzlich anderer Stimmung war. Als sich Nana Domena am Silvesterabend kurz vor Mitternacht dem Platz vor dem Kölner Hauptbahnhof nähert, kommt er gerade von einer Feier in den Rheinterrassen, er hat dort moderiert, in dem Paillettensakko, das er jetzt wieder trägt.

 

Nana Domena, kann man sagen, war ganz guter Stimmung. „Und dann stehe ich auf einmal mitten im Krieg.“

 

Krieg, so kam es ihm vor, was sich vor dem Kölner Bahnhof abspielte. Was er sah, waren Männer, die von der Treppe vor dem Dom Raketen und Böller einfach in die Menge schossen. Junge ausländische Männer, die Passanten anrempelten, schlugen, ausraubten. Frauen, denen Hosen und Slips heruntergerissen wurden, die begrapscht und in einem Fall offenbar auch vergewaltigt wurden. Eine riesige Angst habe ihn erfasst, sagt Domena. Wobei er zu den Wenigen gehörte, die nichts abbekamen außer ein paar Blicken. „Für die war ich wohl so eine Art Edelflüchtling“, sagt Domena, „in meinem Glitzeranzug.“

 

Nana Domena, Sohn ghanaischer Eltern, ist schwarz. Das ist in dieser Geschichte kein unwichtiges Detail.

 

Was der 34-Jährige an diesem Abend erlebte, war ein Ausnahmezustand, der nicht nur diese Stadt, sondern das ganze Land noch eine Weile beschäftigen dürfte. Und der, wenn es schlecht läuft, den Rechtspopulisten und Ausländerfeinden jenen Auftrieb geben könnte, den sie sich wünschen. Zumal es in Hamburg an jenem Abend offenbar ähnliche Zustände gab. In Köln jedenfalls rotteten sich am Silvesterabend Hunderte junge Männer vor dem Bahnhof zusammen, am Ende sollen es um die 1000 gewesen sein. Es waren, auch das ist ein wichtiges Detail, offenkundig Ausländer arabischer und nordafrikanischer Herkunft, so beschreiben es praktisch alle Zeugen. „Aus dieser Gruppe heraus“, so berichtet es die Polizei, werden an jenem Abend Männer und Frauen bestohlen, geschlagen und misshandelt. Die Polizei betonte gestern auch fünf Tage nach den Taten, dass man bisher nichts Genaues über die Täter wisse, und warnte vor voreiligen Schlüssen. „Es gibt keinen Hinweis, dass es sich hier um Menschen handelt, die in Köln Unterkunft als Flüchtlinge bezogen haben“, sagt auch Oberbürgermeisterin Henriette Reker. Sicher ist: In der letzten Stunde des alten Jahres ist vor dem Kölner Bahnhof nichts mehr sicher.

 

„Ich habe Hände an allen Kör­peröffnungen gespürt“, sagt eine Frau an den Tagen danach in einer Kölner Zeitung. „Du siehst das und willst die Polizei rufen“, sagt ein Augenzeuge, der seinen Namen nicht nennen möchte. „Aber die Polizei ist schon da und kann nichts machen.“ Es sind zu viele.

 

Und das ausgerechnet in Köln. Der Stadt, die 1992 unter dem schönen Motto „Arsch hoch, Zähne auseinander“ die noch immer größte Demo gegen Ausländerfeindlichkeit der deutschen Geschichte auf die Beine brachte, 100 000 Leute rund um den Chlodwigplatz. Die Kölner waren es, die der Pegida-Bewegung im vergangenen Jahr das Licht ausknipsten, noch bevor die im Westen ankommen konnten. Aber Köln ist eben auch die Stadt, in der Hooligans, die so taten, als kämpften sie gegen Salafisten, 2014 ungestört Polizeiwagen demolieren konnten. Auch da war etwas außer Kontrolle geraten. Schwieriges Terrain.

 

Nana Domena passt ganz gut nach Köln. Köln ist ja auch eine Medienstadt, und Nana, wie ihn alle nennen, Eventveranstalter und Moderator von Beruf, tritt ab und zu bei RTL im Fernsehen als Motivations­coach auf. Er sieht die Welt nicht gern von der düsteren Seite, und er ist sportlich, in seinem Büro im Kölner Stadtteil Weidenpesch stehen zwei Rennräder gleich gegenüber vom Schreibtisch. Aber wenn er jetzt, am Tag fünf nach dem Ausnahmezustand, sofort zu einem Gespräch bereit ist, dann deshalb, weil er findet, dass die Debatte jetzt ein bisschen mehr Klarheit ganz gut vertragen kann. Klarheit, die ihm vielleicht leichter fällt als manch anderem. „Das waren Arschlöcher, die das gemacht haben, Bestien“, sagt er. „Für die muss es sofort ein Rückfahrticket geben.“ Aber die Bestien seien eben auch nicht die Mehrheit. Die Mehrheit, das sind die anderen. „Denen muss man sagen: Wenn du bereit bist, zwölf Stunden am Tag zu arbeiten, dann kannst du es schaffen.“ Manchmal hat Nana Domena das Gefühl, den Deutschen falle beides schwer, die Härte genauso wie die echte Offenheit.

 

Domenas Geschichte lässt sich ja leicht wie eine echte Erfolgsgeschichte erzählen. Geboren in den Niederlanden, aufgewachsen bei einer Pflegemutter in Recklinghausen, der einzige Schwarze im Stadtteil. Mannschaftskapitän beim Fußball, Fachabitur, heute Besitzer einer Agentur mit einer Handvoll Mitarbeitern. Es lief gut für Nana, das Flüchtlingskind.

 

Im Sommer war er mal wieder im Fernsehen. Nach den Krawallen vor einem Flüchtlingsheim hatte ihn Oliver Pocher mitgenommen nach Heidenau. Mit einem Schwarzen zu den Rechten, das hielt Pocher offenbar für eine gute Idee. Die Videos gibt es noch bei Youtube. Zusammen begegnen sie vielen eigenartigen Leuten, aber seltsam verhält sich auch Pocher selbst, weil er Domena zum meist stummen Statisten degradiert. Vielleicht gelingt den Deutschen Offenheit gerade dann am schlechtesten, wenn sie ihre Toleranz besonders herausstellen wollen.

 

In der Silvesternacht ist Domena noch zu einer anderen Party gegangen, der Candyshop-Party, große Sache in Köln. Er traf dort zwei Frauen, die auch vom Bahnhofsplatz kamen, sie waren dort begrapscht worden und noch völlig geschockt. Er habe sie trösten wollen, sagt Domena. „Aber irgendwie ist es mir nicht gelungen.“

 

Gestern Nachmittag haben sich die Bürgermeisterin von Köln und der Polizeipräsident zum Krisengipfel getroffen. Über die Täter ist immer noch so gut wie nichts bekannt. Mehr Videoüberwachung, mehr Kontrollen, so sollen solche Zustände künftig verhindert werden. In wenigen Wochen ist Karneval, das ist schon ohne Randale eine Art Ausnahmezustand in Köln. Nana Domena wird wegfahren. Vielleicht nach Holland, dorthin, wo er sich noch immer heimischer fühlt. Karneval, sagt er, sei noch nie seine Sache gewesen.

 


 

CSU spricht vom „Schweigekartell“ der Medien

Berlin. Politiker aller im Bundestag vertretenen Parteien fordern nach den Übergriffen in Köln Konsequenzen – auch mit Blick auf ein mögliches Versagen der Polizei. Wolfgang Bosbach, Innenexperte der CDU-Bundestagsfraktion, sieht den Bundestag in der Pflicht. „Der Innenausschuss des Bundestags sollte sich rasch mit diesen dramatischen Vorfällen beschäftigen, zumal im Bahnhof und auf dem Bahnhofsgelände die Verantwortung für die Gewährleistung der Sicherheit bei der Bundespolizei liegt“, sagte Bosbach dem RedaktionsNetzwerk Deutschland. Der Kölner Grünen-Politiker Volker Beck sagte: „Defizite bei der Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit müssen analysiert werden“. Der Innenexperte der Grünen im Bundestag warnte jedoch vor pauschalen Anschuldigungen gegenüber Migranten: „Wer jetzt schlauer als die Ermittler sein will, dem geht es nicht um die Opfer der Übergriffe, sondern um eine Instrumentalisierung der widerlichen Taten. Sexuelle Gewalt ist immer eine schwere ­Verletzung der Menschenrechte, unabhängig von der Herkunft der Täter, unabhängig von der Herkunft der Opfer.“ Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel forderte, mit der ganzen Härte des Rechtsstaates auf die Übergriffe zu reagieren.

 

Rufe nach harten Strafen kommen aus der CSU. „Die ausländischen Gewalttäter müssen umgehend des Landes verwiesen werden. Wer sich so aufführt, hat kein Recht, in Deutschland zu bleiben“, sagte Hans-Peter Friedrich, stellvertretender Unionsfraktionschef. Schwere Vorwürfe erhob Friedrich gegen die Medien: Es sei „ein Skandal, dass es Tage gedauert hat, bis die öffentlichen Medien die Berichte aufgegriffen“ hätten. „Es besteht der Verdacht, dass die gebührenfinanzierten öffentlich-rechtlichen Medien ihrem Informationsauftrag nur noch unzureichend nachkommen. Mit einem Schweigekartell und Nachrichtensperren lassen sich die Folgen der unkontrollierten Zuwanderung jedoch nicht lösen“, sagte Friedrich. Auch CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer forderte Abschiebungen für den Fall, dass Flüchtlinge hinter den Attacken stecken: „Bei der Aufklärung darf es keinen Bonus nach Herkunft oder Aufenthaltsstatus geben.“ Dagegen mahnte SPD-Vize Ralf Stegner, dass der Staat unabhängig von der Herkunft der Täter Härte zeigen müsse: „Das gilt genauso, wenn Nazi-Banden Flüchtlinge attackieren und Unterkünfte anzünden.“ Die Gewalttäter haben „über ihre Tat hinaus auch Schaden für das friedliche Zusammenleben in Deutschland angerichtet“.DW, kor

 


 

Übergriffe auch in Hamburg und Stuttgart

Auch in anderen deutschen Städten ermittelt die Polizei wegen einer Reihe sexueller Übergriffe auf junge Frauen in der Silvesternacht. So haben bereits 27 Frauen in Hamburg Anzeige erstattet, weil sie an der Reeperbahn von mehreren Männern umringt, ausgeraubt oder begrapscht worden seien. Die Täter, die kein Deutsch gesprochen haben sollen, hätten ihre Opfer umkreist und dann begrapscht, erklärte gestern der Großvater eines Opfers gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland. „Sie haben ihr in die Haare gefasst, an die Brust und auch in die Hose“, sagte der Mann. Die 18-Jährige habe sich losreißen können und dabei ihr Handy an die Angreifer verloren. Andere ­Augenzeugen berichten, Türsteher umliegender Klubs seien angegriffenen Frauen zur Hilfe gekommen.

 

Nur eine Anzeige sei noch in der Neujahrsnacht auf der Davidwache erstattet worden, die anderen bisher 26 erst nachträglich, erklärte gestern ein Hamburger Polizeisprecher. Laut Zeugenaussagen soll es sich bei den Tätern um Männer „mit südländischem oder arabischem Aussehen“ im Alter zwischen 20 und 40 Jahren gehandelt haben. Die genannte Zahl der Angreifer schwanke jeweils zwischen fünf und 20.

 

In Stuttgart raubten in der Silvesternacht etwa 15 Männer zwei 18-jährige Frauen aus. Sie umringten die Opfer, hinderten sie am Weitergehen und berührten sie unsittlich.