„Angstbesessene Gartenzwerg-Mentalität“

Erstveröffentlicht: 
05.01.2016
Der ehemalige Thomaspfarrer Christian Wolff (66) ist Mitbegründer der Initiative „Willkommen in Leipzig – eine weltoffene Stadt der Vielfalt“.Sie hatte im Dezember 2014 die Bewegung gegen Legida ins Rollen gebracht und setzt mit einer Lichterkette am 11. Januar ein erneutes Zeichen.Im LVZ-Interview äußert sich Wolff zum Anliegen der Aktion, zum Umgang mit Legida und zu gesellschaftlichen Fehlentwicklungen. Von Björn Meine

 

Wie kam es zur Lichterkette am 11. Januar, und welches Signal soll von ihr ausgehen?


Sie wird zeigen, dass der überwiegende Teil der Leipziger Bevölkerung eintritt für ein friedliches Zusammenleben sehr verschiedener Menschen, für ein demokratisches Miteinander – auch im Streit um die Ausrichtung einer Stadt, für Offenheit gegenüber Menschen, die – aus welchen Gründen auch immer – aus anderen Kulturkreisen, mit anderer religiösen Überzeugung, in Leipzig ein neues Zuhause suchen. Solch ein Zeichen zu Beginn des neuen Jahres ist ganz wichtig – gegenüber den Flüchtlingen, aber auch nachdem es Ende 2015 gelungen ist, die Aufmärsche von Legida zum Erliegen zu bringen. Wir wollen deutlich machen: Für Verfeindungsstrategien ist in unserer Stadt kein Platz. Viele sagen zu Recht: Das Ritual „Rechtsradikale Gruppierungen marschieren auf – und es gibt Gegen-Demos“ führt in eine Sackgasse. Wir wollen deshalb ein positives Signal geben: für die Wahrung des Asylrechtes, für die Bejahung kultureller und religiöser Vielfalt, für ein weltoffenes Leipzig. Und alles ohne Gewalt!


Die Lichterkette hat doch aber etwas mit dem Jahrestag von Legida zu tun?


Nein, sie erinnert an die 35 000 Menschen, die schon vor einem Jahr zum Ausdruck brachten: Wir wehren uns dagegen, dass Legida Hass schürt und jeden Montag die Stadt lahm legt. Bewusst demonstrieren wir nach dem Friedensgebet in der Nikolaikirche.


Wie sollen wir mit den Anhängern von Legida weiter umgehen?


Wenn in einer Schule etwas völlig schief läuft, dann stellen sich zwei Aufgaben: Akut den Schaden begrenzen, und perspektivisch unten anfangen, die Bedingungen des Zusammenlebens zu erneuern vor allem durch Liebe, Anerkennung und Festigkeit. Übertragen heißt das: Dem gefährlichen Unsinn von Legida/Pegida klar entgegen treten und nichts beschönigen. Sie sind die geistigen Brandstifter – und es ist dabei nicht geblieben. Es wurden Asylunterkünfte angegriffen oder angezündet – mit einem bedrohlichen, sich potenzierenden Nachahmungseffekt. Ich habe schon vor über einem Jahr gewarnt: Bei Legida von „besorgten“ Bürgern zu reden, die man in Watte packen muss – so wie es der frühere sächsische Ministerpräsident Biedenkopf jetzt wieder getan hat – ist ein Irrweg. Legida/Pegida ist ein Teil des organisierten Rechtsextremismus, macht aber gleichzeitig ein Desaster der Bildungspolitik der letzten 25 Jahre offenbar: mangelnde Demokratiebildung. Da muss angesetzt werden. Und: Wir müssen für Begegnungen mit denjenigen sorgen, die jetzt zu uns kommen. Nur so können Vorbehalte überwunden werden. Schließlich: Wir haben offen und klar darzulegen, was unsere Grundwerte sind. Die müssen wir vor allem selbst leben. Wenn aber ein Asylbewerber straffällig wird, besteht überhaupt kein Grund, das zu verschweigen oder zu beschönigen. Er muss genauso behandelt werden, wie jeder andere auch. Das Zusammenleben braucht Regeln, die angewandt werden. Aber das ändert nichts daran, dass sie Menschen sind – mit Recht und Würde gesegnet.


Aber nochmal die Frage – sollen wir mit den Anhängern von Legida noch das Gespräch suchen?


Ich rede mit jedem – auch jetzt. Aber wenn beim „Politischen Abendgespräch“ in der Volkshochschule jemand von der „Offensive für Deutschland“ die Nennung seines Namens verweigert, weil das angeblich zu gefährlich sei – dann geht das nicht. Anonymität widerspricht dem demokratischen Diskurs. Hinzu kommen absurde Pauschalurteile: „In Leipzig klappt doch nichts mehr, schlimmer als in der DDR.“ Da weise ich ruhig darauf hin: Das Licht leuchtet, die Heizung funktioniert, der Müll wird entsorgt, ich kann angstfrei durch die meisten Straßen gehen, an der Tankstelle gibt es immer Benzin, uns fliegen keine Bomben um die Ohren. Solche Antworten aber machen diejenigen, die in sich gefangen sind, meist aggressiv.


Was kommt dann?


Der Goebbelsche Duktus: „Warten Sie ab – wenn wir erstmal dran sind, dann ...“ Nüchtern betrachtet: Man kann bei Leuten mit einem verblendeten Weltbild wenig bewirken. Das gilt aber nicht für Gespräche unter Verwandten, Kollegen, im Verein. Da können viele Vorurteile überwunden werden. Thomaskirchenpfarrerin Britta Taddiken hat zum Fastenbrechen bei der Taqwa-Gemeinde einige Leute mitgenommen, von denen sie wusste, dass sie sehr angstvoll auf den Islam reagieren. Das sind die Dinge, die man machen muss.


Sie werfen in Ihrem jüngsten Blog die Frage auf, wie es um die Demokratiebildung in Schulen und Universitäten steht. Sie sei Voraussetzung für eine Kommunikation, „die nicht vernichtet“. Eine „Krise der politischen Bildung“ haben auch die Initiatoren der Dialogforen in Folge von Legida konstatiert. Haben wir als Gesellschaft die Dramatik dieses Defizits schon erkannt? Und was sollte man dagegen tun? Brauchen wir mehr Politik-Unterricht in der Schule?


Es geht hier nicht um mehr Politik-Unterricht, aber um die Erkenntnis, dass Lernen auch ein politischer Vorgang ist. Es muss in allen Bereichen ein demokratisch gestalteter Meinungsbildungsprozess in Gang gesetzt werden. Wie kommuniziere ich als Klassenlehrer die Wahl eines Klassensprechers, der Schülervertretung? Sage ich „Eigentlich überflüssig, aber müssen wir machen, steht so im Schulgesetz“? Oder sage ich: „Wählen können, ist ein Segen. Man kann damit nicht früh genug anfangen. Der, den ihr wählt, trägt eine hohe Verantwortung.“ So kann ich schon mit Erstklässlern sprechen. Es geht um Eigenverantwortung und Mitgestaltungsmöglichkeiten. Es gilt das Selbstbewusstsein und die Persönlichkeit von jungen Menschen zu entwickeln – auch durch Förderung eigener, begründeter Positionen. Die Fähigkeit zu widersprechen, ist genauso herauszubilden wie die, sich einzuordnen in einen Verband, kompromissfähig zu werden, mit Niederlagen umzugehen. Jugendliche müssen erfahren, dass Minderheit nicht bedeutet, nichts mehr zu sagen zu haben. Auch die Minderheit gestaltet mit. Darum ist es falsch, wenn Leute sagen: Ich kann sowieso nichts machen. Dieses kurz skizzierte Verständnis von Demokratiebildung ist leider unterentwickelt. Es wird auch dort nur unzureichend praktiziert, wo Lehrer ausgebildet werden. Universitäten sind weitgehend Demokratie-freie Zonen. Die Posse um die Rektorinnenwahl zeigt doch, in was für einem irren absolutistischen Konstrukt sich Universitäten befinden, flankiert von Anpassungsdruck und Abhängigkeitsstrukturen.


Also: Was konkret muss passieren, um zu mehr Demokratiebildung zu kommen? Wer muss etwas tun?


Das kann nur jeder Einzelne, das können Sie nicht verordnen. Letztlich gibt es nur einen Weg: machen! Dazu ist kein neues Gesetz, auch kein Geld vonnöten – stattdessen: Verantwortung wahrnehmen, mehr Demokratie wagen, zentrale Werte wie Respekt und Rücksichtnahme stärker vermitteln, Haltung zeigen. Ich muss als Lehrer Schüler ermutigen, eine eigenständige Position einzunehmen. Ich darf sie dafür nicht bestrafen, sondern habe sie zu fördern. Dazu gehört natürlich auch lenken und eingreifen. Junge Menschen sind ja nicht fertig. Aber eine Lehrerpersönlichkeit und jeder Bürger haben die Demokratie wertzuschätzen, indem wir sie praktizieren: von Wahlbeteiligung, über Bürgerinitiativen, das Einmischen in gesellschaftliche Prozesse. Das erwarte ich auch von Unternehmern, Geschäftsführern, Selbstständigen, leitenden Angestellten. Da gibt es noch zu viel Zurückhaltung.


Legida würde jetzt sagen: Wir mischen uns dochein ...


Sie begeben sich aber nicht in einen Diskurs, sondern verweigern ihn. Ich habe mich 1968 in Düsseldorf auch vor ein Springer-Auto gesetzt, um die Auslieferung der Bild-Zeitung zu verhindern. Bei Demonstrationen durch die Heidelberger Hauptstraße habe ich als Student geschrien „RNZ (Rhein-Neckar-Zeitung) ins Klosett“. Aber ich wäre niemals auf die Idee gekommen, pauschal von „Lügenpresse“ zu sprechen. Legida schottet sich ab. Da wird eine angstbesessene Gartenzwerg-Mentalität sichtbar. Gleichzeitig nimmt man die Vorteile der demokratischen Gesellschaft und der Globalisierung in Anspruch. Und dann ist da das pauschale Geschimpfe: Die da oben, alles Lumpen und Gauner. Wer ein politisches Amt ausübt, gibt sich in der Regel genauso viel Mühe, wie jeder andere in seinem Beruf. Ich kann Abgeordnete, Bürgermeister, Minister kritisieren, wie sie ihr Amt ausüben, aber nicht dafür, dass sie ein Amt übernehmen. Dass sie dabei Geld verdienen wollen, ist auch etwas völlig Normales. Zum Glück funktioniert das demokratische System – noch. Doch das ist keine Selbstverständlichkeit. Es liegt an jedem einzelnen von uns. Allerdings: Wenn nicht mehr genug Menschen da sind, die sich für die Demokratie einsetzen, sich für sie zur Verfügung stellen, dann Gnade uns Gott! Auch darum die Lichterkette! Interview: Björn Meine


 

Erste Legida-Demo im Jahr 2016 von Protesten begleitet

Die fremdenfeindliche Initiative „Leipzig gegen die Islamisierung des Abendlandes“ (Legida) ist gestern Abend nach längerer Advents- und Weihnachtspause wieder durch die Messestadt marschiert. Schätzungsweise 300 Rechtspopulisten zogen bei eisiger Kälte vom Richard-Wagner-Platz über Goerdelerring und Dittrichring zum oberen Martin-Luther-Ring und von dort zurück zum Wagnerplatz. Begleitet wurde der Aufmarsch von friedlichen Protesten. Die Forschungsgruppe „Durchgezählt“ sprach von etwa 400 Gegendemonstranten. Das Aktionsnetzwerk „Leipzig nimmt Platz“ agierte auf dem Richard-Wagner-Platz in Hör- und Sichtweite der Legidisten. Einige Teilnehmer des Protestes warben für die Umbenennung des Areals an den Höfen in „Refugees-Welcome-Platz“.

 

Beide Demonstrationen wurden von einem Polizei-Großaufgebot auseinandergehalten. Sympathisanten des islamfeindlichen Bündnisses skandierten Sprechchöre wie „Ob Ost, ob West, nieder mit der roten Pest“. Legida-Chef Markus Johnke kündigte an, perspektivisch nicht nur auf der Straße „kämpfen“ zu wollen, sondern auch in den Parlamenten. Für Montag,11. Januar, kündigte er eine Kundgebung auf dem Augustusplatz an. Dann will Legida einjähriges Bestehen feiern – mit Pegida aus Dresden. lvz