Bamberg. Mesut Kopcalkow hat Deutschland noch in bester Erinnerung, vom ersten Mal. 1992 ist er aus Bosnien nach Deutschland gekommen. Vier Jahre hat er in Freiburg gelebt und bei einer Straßenbaufirma gearbeitet. „Super Zeit“, sagt er. Dann war der Krieg vorbei, und Mesut Kopcalkow musste heim.
Vor fünf Monaten ist Kopcalkow wiedergekommen, aus Mazedonien. 62 ist er jetzt. „Geist gut, Körper auch gut“, sagt er lächelnd. Dennoch wird Mesut Kopcalkow keine Arbeit hier finden. Diesmal wird er Deutschland nicht in bester Erinnerung behalten. Dafür wird Bayern jetzt schnell sorgen.
Wenn alles nach dem bayerischen Plan läuft, dann muss der rüstige Muslim Deutschland in den kommenden Tagen verlassen. Und wenn er und seine Frau nicht selbst ihre Koffer nehmen, dann klingeln bald vor Morgengrauen Polizei und Ausländerbehörde an seiner Tür und bringen ihn mit dem Bus zum Flughafen München. Von dort geht es in die alte Heimat. Rückkehr vorläufig verboten.
Kopcalkow, Strickmütze mit Werbeaufdruck auf dem Kopf, krempelt seinen Pullover hoch und zeigt ein Pflaster auf dem Unterarm. „Heute Morgen Blutspenden“, sagt er. „Fünfmal habe ich jetzt Blut gespendet in Deutschland. Gutes Blut von Mesut aus Mazedonien.“ Stolz sagt er das, als könne es ihm einen Bonus verschaffen. Aber er weiß natürlich, dass Blutspenden beim Asylantrag nicht zählt. „Keine Chance hier“, schwant ihm.
Nein, Mesut Kopcalkow hat keine Chance zu bleiben. Deshalb ist er hier, in diesem Flüchtlingsheim am Rand von Bamberg, dem Haus für die hoffnungslosen Fälle. Namen hat es viele. „Ankunfts- und Rückführungseinrichtung“, so heißt es offiziell. Balkanzentrum, Abschiebecamp, das sind die inoffiziellen Namen. Sonderlager, so nennt es der bayerische Flüchtlingsrat.
Klar ist: Dieses Heim soll abschrecken. Wer aus einem der sogenannten sicheren Herkunftsstaaten kommt und somit kaum Chancen hat zu bleiben, erhält hier ein Asylverfahren im Schnelldurchgang. Im Sommer haben die Ministerpräsidenten verabredet, solche Zentren einzurichten. Bayern, regiert vom Obergrenzenfreund Horst Seehofer, ist vorgeprescht – und hat in Manching bei Ingolstadt und in Bamberg die ersten Einrichtungen allein für Flüchtlinge vom Balkan geschaffen. Von Bamberg soll ein Zeichen in die Welt gehen: Seht her, so schnell schieben wir ab. Markige, aber leere Ankündigungen? Oder hilft das tatsächlich, der Flüchtlingsmengen Herr zu werden?
In einem Klassenraum steht Stefan Krug vor einer Karte des Geländes und schwärmt von „idealen Verhältnissen“. Krug, Bereichsleiter bei der Regierung von Oberfranken, zeigt auf die vier belegten Blöcke der ehemaligen amerikanischen Kaserne – und die elf, die noch frei sind. 850 Personen leben zurzeit darin, die meisten aus Albanien, aus dem Kosovo und aus Serbien. Das Lager wächst weiter, in einigen Wochen soll hier Platz für 4500 Flüchtlinge sein – obwohl zuletzt deutlich weniger Balkanflüchtlinge nach Deutschland gekommen waren.
Abschreckung? Nein, sagt Krug, so würde er es nicht formulieren. „Die Einrichtung soll helfen, ein realistisches Bild von Deutschland zu vermitteln.“ Realistisch heißt für ihn: Es kann alles sehr schnell gehen.
5,3 Monate dauert ein Asylverfahren in Deutschland im Schnitt – in Bamberg soll es in fünf bis zehn Tagen abgeschlossen sein. Auf dem Gelände gibt es Außenstellen der Ausländerbehörde, des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge – und des Verwaltungsgerichts, um Beschwerde einzulegen. Bamberg: Das Abschiebezentrum der kurzen Wege.
Die ersten drei Monate seit der Eröffnung sind für Krug eine Erfolgsgeschichte: 463 Flüchtlinge sind freiwillig ausgereist, 170 wurden von hier abgeschoben. Knapp 30 sind vor der Abschiebung abgetaucht. Nur 30, meint Krug, schließlich wird niemand eingesperrt. Die Anerkennungsquote bislang: exakt null Prozent. Die Stimmung im Zentrum? Krug drückt es mal so aus: „Zu sagen, dass sie gut ist, wäre sicher unehrlich.“
Wer mit den Menschen in dem Heim spricht, hört viele Geschichten, die es nach Krugs Vorstellungen nicht geben dürfte. Geschichten von monatelangen Rundreisen durch bayerische Flüchtlingsheime, ohne Perspektive. Auch Shabane Ahmeti aus dem Kosovo spricht Deutsch, sogar mit bayerischer Färbung: Der 47-Jährige lebte in den Neunzigern acht Jahre lang in Passau – und arbeitete als Fliesenleger. Vor zehn Monaten kam er mit seinen fast erwachsenen Kindern nach Deutschland, eine Flucht vor Arbeits- und Hoffnungslosigkeit: „Kosovo ist eine Katastrophe“, sagt er.
Seitdem hat er schon eine Menge bayerische Flüchtlingsheime gesehen. München, Sonthofen, Deggendorf, Passau, überall, sagt Ahmeti, sei er schon gewesen. „Und immer hat uns jemand wieder Hoffnung gemacht, dass wir bleiben können.“ Zuletzt habe sein 19-jähriger Sohn sogar ein Praktikum in einem Krankenhaus begonnen. „Dann mussten wir hierher, in dieses Balkan-Gefängnis.“ Das Praktikum musste er abbrechen.
Tatsächlich hat Bayern zuletzt mehr als 400 Balkanflüchtlinge aus ganz Nordbayern nach Bamberg verfrachtet, nachdem die Rückführungseinrichtung nicht ausgelastet war. Vor einem der Blöcke erzählt ein junger Mann von seiner Epilepsie, die Krankheit hat selbst ihn nicht zu einem Härtefall gemacht. Er und alle anderen hatten Post bekommen: Binnen 24 Stunden würden sie in die „Rückführungseinrichtung“ gebracht – das Abschiebezentrum. Wer nicht freiwillig mitkomme, den hole die Polizei.
Das harsche Vorgehen empört Politiker und Flüchtlingshelfer. Die Umverteilung sei „unmenschlich und dumm“, schimpft die grüne Landtagsabgeordnete Christine Kamm. Schließlich könnten sich auch die örtlichen Ausländerbehörden um ihre Anträge kümmern. Viele der Betroffenen seien Roma, betont Alexander Thal vom bayerischen Flüchtlingsrat, also Nachfahren von Nazi-Opfern. Dass sie sich binnen kürzester Zeit für einen Transport in ein Lager bereithalten sollten, erschreckt ihn: „Welches Signal sendet Bayern da aus?“
Für Innenminister Joachim Herrmann (CSU) ist die Rückführungseinrichtung in Bamberg hingegen ein Erfolg: „Die Zahl der freiwilligen Ausreisen ist ein deutliches Signal, dass sie wirkt“, erklärt er. Wie sie wirkt, kann man an Iwana aus Mazedonien sehen. Die 27-Jährige geht mit ihrem elf Monate alten Sohn auf dem Arm über das Gelände. Der Kleine sei lungenkrank, und schon nach dem plötzlichen erzwungenen Umzug einige Tage zuvor hätten sie ohne Vorwarnung den Arzt wechseln müssen.
Noch einmal will sie ihm das nicht zumuten. Sie und ihre Familie würden jetzt freiwillig zurückkehren. „Wenn man einmal hier ist“, fügt sie hinzu, „dann kann sowieso nichts mehr gut werden.“
Deutlich mehr Abschiebungen
Die Zahl der Abschiebungen aus Deutschland ist in den vergangenen Monaten deutlich nach oben gegangen. Bis Ende November wurden bundesweit laut einer Aufstellung des Bundesinnenministeriums 18 363 abgelehnte Asylbewerber in ihre Heimatländer oder in andere EU-Staaten zurückgeschickt. Im gesamten Jahr 2014 hatte es lediglich 10 884 Abschiebungen gegeben.
Am konsequentesten schiebt Bayern ab: Dort setzten die Behörden von Anfang Januar bis Ende November 3643 abgelehnte Asylbewerber in die Flugzeuge Richtung Heimat, mehr als dreimal so viele wie im gesamten Vorjahr, als es 1007 Abschiebungen gab. Auch in Hessen verdreifachte sich die Zahl nahezu – auf 2306, nach 829 im Jahr zuvor. In Baden-Württemberg verdoppelten sich die Abschiebezahlen im gleichen Zeitraum knapp: von 1080 auf 2140. In anderen Bundesländern stiegen die Zahlen weniger stark an, einige verbuchten kaum eine Erhöhung. Thüringen ist das einzige Bundesland, in dem die Zahl laut Bundesinnenministerium sogar nach unten ging: Dort wurden 2015 bis Ende November 152 Abschiebungen gezählt, im Jahr zuvor waren es 234 gewesen.
Bei den Angaben über die Abschiebezahlen gibt es allerdings Unterschiede zwischen den Statistiken vom Bund und denen der Länder. Die Zahlen des Bundesinnenministeriums basieren auf Angaben der Bundespolizei, die beim Großteil der Abschiebungen beteiligt ist, aber nicht bei allen. Die Zahlen der Länder liegen deshalb zum Teil darüber. Thüringen zum Beispiel zählte in den ersten elf Monaten des Jahres selbst 240 Abschiebungen. In Brandenburg waren es nach eigener Zählung bis Ende November 418 Abschiebungen und in Niedersachsen 940. Hessen zählte in den ersten elf Monaten 2352 Abschiebungen, Baden-Württemberg erfasste nach eigenen Angaben in diesem Zeitraum 2157 Fälle. Berlin zählte bis Ende November selbst 715 Abschiebungen, während das Bundesinnenministerium die Zahl mit 892 angab – ein Beispiel, das zeigt, dass die exakte Erfassung der Zahlen offenbar schwierig ist.
Der wichtigste Grund für die höheren Abschiebezahlen ist, dass im vergangenen Jahr deutlich mehr Menschen nach Deutschland gekommen sind. Mitverantwortlich ist aber auch eine deutlich schärfere Abschiebepraxis: Einige Länder, vor allem Bayern, schicken Flüchtlinge konsequenter zurück, viele kündigen Abschiebungen auch nicht mehr zuvor an. Ein großer Teil der abgelehnten Asylbewerber kehrt aber auch freiwillig in ihre Heimatländer zurück.