Rechtsextreme Propaganda im NSU-Prozess

Erstveröffentlicht: 
17.12.2015
Nach jahrelangem Schweigen sagt Ralf Wohlleben aus – er schiebt die Schuld auf Carsten S. und den Verfassungsschutz
Von wiebke ramm

 

München. Das, was Beate Zschäpe wollte, ist Ralf Wohlleben gelungen: Kein Überlebender eines Anschlags, kein Angehöriger eines Mordopfers ist im Saal, als der mutmaßliche NSU-Unterstützer an diesem 251. Verhandlungstag ohne Vorwarnung nach zweieinhalb Jahren sein Schweigen im NSU-Prozess bricht. Informiert waren jedoch Freunde des 40-jährigen Angeklagten aus der Neonazi-Szene, die sich an diesem Mittwoch im Oberlandesgericht München unter die Zuhörer mischen, und seine Frau, die neben ihm auf der Anklagebank sitzt.

 

Wohlleben spricht an diesem Tag fast zwei Stunden lang. An seiner rechtsgerichteten Gesinnung lässt er keinen Zweifel. Er nutzt den Saal als Bühne für Propaganda, er lässt sogar ein Video vor Gericht vorspielen, in dem sich Rechtsradikale als Kapitalismuskritiker darstellen, die gar nichts gegen Ausländer hätten – zumindest solange diese Deutschland fernblieben. Von der Terrorvereinigung „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) und dessen Taten will der früherer NPD-Funktionär bis zu dessen Auffliegen im November 2011 nichts gewusst haben.

 

Wohlleben liest vom Blatt ab. „Ich bin nicht schuldig im Sinne der Anklage“, das sagt er ganz zum Schluss. Er sei „entsetzt“ darüber, dass Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos zehn Menschen getötet haben sollen. Er habe Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe bei ihrer Flucht geholfen, das gibt er zu. So hat er ihnen zum Beispiel gleich am Tag des Untertauchens, dem 26.  Januar 1998, sein Auto zur Verfügung gestellt. Er begründet seine Hilfe damit, dass er mit ihnen seit Jahren befreundet war. Er sagt, er hätte ihnen besser nicht helfen sollen. Wohlleben endet mit den Worten: „Ich bedauere jede Gewalttat, durch die Menschen getötet oder verletzt werden. Den Angehörigen aller Opfer gilt mein Mitgefühl.“ Er habe sich immer gegen Gewalt ausgesprochen, behauptet er.

 

Wohlleben muss sich wegen Beihilfe zum Mord in neun Fällen vor Gericht verantworten. Er soll zusammen mit dem Mitangeklagten Carsten S. den NSU-Terroristen die Mordwaffe, eine Ceska, beschafft haben. Er soll Carsten S. laut Anklage beauftragt haben, die Pistole zu besorgen, er soll ihm auch das Geld dafür – 2500 Mark – gegeben haben. Mit der Ceska haben Böhnhardt und Mundlos neun Männer türkischer und griechischer Herkunft erschossen. Dass die beiden die Morde, einen weiteren Mord an einer Polizistin, zwei Bombenanschläge und 15 Raubüberfälle begangen haben, hat auch die Hauptangeklagte Zschäpe vergangene Woche erklärt. Wohlleben soll die mutmaßlichen NSU-Terroristen noch weiter unterstützt haben. Die Bundesanwaltschaft sieht in ihm eine „steuernde Zentralfigur“ im Hintergrund des NSU.

 

Wohlleben gibt zu, dass Böhnhardt ihn einmal gebeten habe, eine Pistole mit Munition zu besorgen, „ein deutsches Fabrikat“. Er sei davon ausgegangen, dass sich Böhnhardt damit selbst töten wollte, um notfalls seiner Verhaftung zu entgehen. So hätte dieser es zuvor geäußert. Wohlleben will dem Wunsch nicht nachgekommen sein. Er habe nicht schuld an Böhnhardts Tod sein wollen, sagt er. Nach seiner Darstellung soll dann Carsten S. direkt entweder von Böhnhardt oder von Mundlos den Auftrag zum Waffenkauf erhalten haben. Wohlleben jedenfalls will den Auftrag nicht erteilt haben. Carsten S. habe ihm die Waffe mit Schalldämpfer hinterher gezeigt. Wohlleben sagt, er sei „erschrocken“ und „verärgert“ gewesen, als S. plötzlich mit der Waffe vor seiner Tür gestanden habe. Vor Gericht streut er an diesem Tag Zweifel, dass es sich dabei tatsächlich um die Ceska gehandelt habe. Die Waffe sei viel klobiger, behauptet er.

 

Er sagt auch, dass der Angeklagte Holger G. lüge. G. hatte vor Gericht ausgesagt, dass er von Wohlleben eine weitere Waffe erhalten habe, die er auch zu den Untergetauchten gebracht habe. Wohlleben sagt nun, Holger G. wolle durch seine angeblich falsche Aussage womöglich „verschleiern“, woher er die Waffe tatsächlich bekommen habe.

 

Mehrfach belastet er auch Tino Brandt, den langjährigen V-Mann des Thüringer Verfassungsschutzes. Wohlleben sagt, nicht er, sondern vermutlich Brandt habe Carsten S. die 2500 Mark für die Waffe gegeben. „Ich gehe davon aus, dass das Geld von Tino Brandt kam. Uwe Böhnhardt hatte mir in Bezug auf das Geld für die Waffe ja gesagt, dass man zu Tino Brandt solle, wenn man Geld bräuchte.“ Gegen Ende sagt Wohlleben: Ihm sei „unerklärlich“, dass der Staat trotz der ganzen V-Männer in der Neonazi-Szene „angeblich nicht in der Lage gewesen sein soll, die drei nach ihrer Flucht aufzuspüren“.

 

Nur Zschäpe wird von ihm nicht belastet. In seiner Erklärung bleibt sie eine unbedeutende Randfigur. Über sie sagt er, sie sei eine angenehme Gesprächspartnerin gewesen, schlagfertig, „gepaart mit viel Witz“. „Mit ihrer offenen und direkten Art war sie mir persönlich sehr sympathisch.“ Vielleicht so sympathisch, dass er ihr auch vor Gericht nicht schaden will? Auch Zschäpe hatte sich in ihrer Erklärung nicht zu den Vorwürfen gegen Wohlleben geäußert.