Spärliche Informationen, hohe Gefahr

Erstveröffentlicht: 
19.11.2015
Der Bundesinnenminister sorgt mit einem seltsamen Satz für Spott – dabei ist Thomas de Maizière zurzeit nicht zum Lachen zumute Von Dieter Wonka

 

Berlin. Vielleicht ist Hohn und Spott in dieser Situation ein guter Katalysator. So gesehen hätte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) am Dienstagabend vieles richtig gemacht. In der Internetgemeinde jedenfalls war die Aufregung groß, nachdem der Innenminister am Dienstagabend die Absage des Fußballländerspiels in Hannover mit einem denkwürdigen Satz erklärte: „Ein Teil dieser Antworten würde die Bevölkerung verunsichern“, hatte er nach dem geplatzten Fußballspektakel gesagt, um zu erklären, warum er so wenig zu den Gründen sagen konnte – und damit freilich zur Beunruhigung und zur Belustigung zugleich beigetragen.

 

Dabei ist den Sicherheitsbehörden und den zuständigen Politikern angesichts der realen Terrorgefahr auch in Deutschland ganz und gar nicht zum Lachen zumute. Von einer „unspezifischen, aber trotzdem spürbaren Gefahrenlage“ ist die Rede. Gleichwohl sollen trotz auffällig gut gerüsteter Polizisten an vielen öffentlichen Plätzen weder Weihnachtsmärkte noch Großveranstaltungen oder der Fußballbetrieb eingestellt oder eingeschränkt werden.

 

Als „nicht zielführend“ bewertet man in Regierungskreisen den zeitgleich platzierten Vorschlag des früheren Bundesinnen- und heutigen Finanzministers Wolfgang Schäuble, in akuten Gefahrenlagen vielleicht doch über den Einsatz der Bundeswehr im Inneren nachzudenken. „Die Möglichkeiten dafür sind abschließend im Grundgesetz geregelt“, beschied Regierungssprecher Steffen Seibert kühl eine entsprechende Wortmeldung Schäubles. Abgesehen von außergewöhnlichen Krisen- oder Kriegssituationen schließt die Verfassung Aktivitäten der Soldaten für den Zuständigkeitsbereich der Polizei aus.

 

Nach nachrichtendienstlichen Erkenntnissen hat sich die Gefährder-Szene in der Bundesrepublik auch in Deutschland „merklich“ vergrößert. Es gebe Hinweise auf „höchst problematische Einreisen in Einzelfällen“, sagen Kenner der Szene. Mindestens so groß ist die Angst der Behörden, dass sich Trittbrettfahrer die allgemeine Verunsicherung zunutze machen könnten, um mit Einzelaktionen aufzufallen. Es herrsche bis zur Stunde eine „akute Gefahrenlage“, ohne dass die Sicherheitskreise wirklich belastbare Hinweise auf die Art und Weise möglicher Anschläge haben.

 

Deutschland steht als Feindesland auf der Liste der IS-Terroristen. Offenbar tauchten in der Nacht zu Dienstag, so ist aus Sicherheitskreisen zu erfahren, auch aus deutschen Salafistengruppen erste Nachrichten auf, nach denen das in Hannover geplante Fußballspiel Ziel einer gewalttätigen Aktion werden könnte. Diese Informationen werden von beteiligten Polizeientscheidern als „eher unpräzise“ eingestuft. Da allerdings die Erkenntnislage aus der mit dem IS sympathisierenden Salafistenszene spärlich ist und die wenigen Informanten als hochgradig gefährdet gelten, genügt im Zweifelsfall ein Hinweis aus einer zweiten verlässlichen Quelle, um die Lage neu zu beurteilen.

 

De Maizière war am Dienstag zusammen mit der Kanzlerin dennoch nach Hannover angereist in der festen Absicht, das Fußballspiel zusammen mit dem halben Kabinett und über 35 000 Zuschauern zu erleben. Erst auf dem Flug in die niedersächsische Landeshauptstadt erreichte die Regierungsspitze dann offenbar die Alarmmeldung aus französischen Geheimdienstquellen. Es war diese Quelle, die den Bundesinnenminister noch während des Fluges und nach Information und Rücksprache mit der Kanzlerin zur Empfehlung einer Spielabsage brachte.

 

De Maizière hielt auch gestern noch die Absage für „unvermeidbar“. Gerade weil das Spiel in Hannover eine hohe Symbolkraft haben sollte, sei der Entschluss nicht leichtfertig gefällt worden, erläuterte auch der BKA-Chef später. Mit einem Satz in einer von Ernst und Standfestigkeit geprägten Pressekonferenz in Hannover hatte der Bundesinnenminister dann aber, nicht nur nach Ansicht vieler Netzaktivisten, eher das Gegenteil erreicht.

 

Der Grünen-Fraktionsvize im Bundestag, Konstantin von Notz, hält im ernsthaften Teil der Debatte de Maizière einen Beitrag zur „weiteren Verunsicherung“ der Bevölkerung vor. Die Bundeskanzlerin verteidigte ihren Sicherheitsminister gestern eigens in einem Presse-Statement mit dem Hinweis, „im Zweifel für die Sicherheit“. Für hilfreich hält man den Ausflug des Innenministers in die Konfliktpsychologie dennoch nicht. Wer sage, er wisse etwas, wolle es aber nicht mitteilen, um die Bürger nicht zu verunsichern, provoziere das Gegenteil von Beruhigung, räumen erfahrene Unionsinnenpolitiker ein.


 

 

Verdacht in Braunschweig, Bremen, Dresden

 

Am 15. Februar verbot die Polizei in Braunschweig den größten Karnevalsumzug Norddeutschlands, den Schoduvel (Bild). 250 000 Menschen wurden nach Hause geschickt. Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) sprach damals von „sehr konkreten, sehr belastbaren Hinweisen“. Ein V-Mann des niedersächsischen Verfassungsschutzes, ein Informant aus der Salafistenszene Braunschweig-Wolfsburg, soll den Hinweis gegeben haben. Neun Monate später ist der Fall zu den Akten gelegt. „Es konnte kein Täter ermittelt werden“, sagte die hannoversche Staatsanwältin Kathrin Söfker gestern. Am 18. Mai stellten die Beamten ihre Recherchen ein. Ob es jemals konkrete Pläne für einen Anschlag gegeben hat, bleibt offen.

 

Ähnlich verhält es sich in Bremen. Zwei Tage lang herrschte in der Hansestadt polizeilicher Ausnahmezustand. Bei Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) gingen am 28. Februar „alle roten Lampen an“. Angeblich hätten Salafisten aus Israel kommende Maschinenpistolen in der Szene verteilt und drohten mit einem Terroranschlag. Dutzende Verdächtige wurden festgenommen, nur wenig später aber auf freien Fuß gesetzt. Letztlich räumte Mäurer ein: „Die Gefährdungssituation hat sich nicht bestätigt.“

 

Am 19. Januar untersagte Dresdens ­Polizeichef Dieter Kroll sämtliche Kundgebungen in der Stadt. IS-Terroristen hätten angeblich über Twitter zum Mord an Pegida-Gründer Lutz Bachmann aufgerufen. Laut Bundeskriminalamt sei mit „relevanter Wahrscheinlichkeit“ aus den Versammlungen heraus ein Anschlag zu erwarten gewesen. Es habe Gefahr für Leib und Leben bestanden. Der Verdacht erhärtete sich anschließend nicht. köp