Tillich verlangt schärfere Kontrollen an den Grenzen

Erstveröffentlicht: 
12.11.2015

Im "Freie Presse"-Interview stellt sich Sachsens Ministerpräsident an die Seite Bayerns. In Berlin sorgt der Bundesfinanzminister für neuen Streit.

 

Dresden/Berlin. Der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) hat sich angesichts der Flüchtlingskrise für wirkungsvolle Kontrollen an der deutschen Grenze ausgesprochen. "Ich stimme mit Horst Seehofer überein, dass wir wieder Grenzkontrollen brauchen, die auch ihren Namen verdienen", sagte Tillich in einem Interview mit der "Freien Presse" vor dem morgen beginnenden Landesparteitag der CDU in Sachsen. Dort wird der bayerische Ministerpräsident Seehofer (CSU) als Gastredner auftreten. Um die Integration der Flüchtlinge zu befördern, schlug Tillich zudem vor, über Sanktionsmaßnahmen nachzudenken.

 

"Wer nicht bereit ist zur Integration, den möchte ich auch dazu zwingen können", sagte der Ministerpräsident. Wer sich etwa Deutschkursen verweigere, aber gleichzeitig materielle Leistungen in Anspruch nehme, dem sollten sie - ähnlich wie bei einem Hartz-IV-Empfänger - auch gekürzt werden können, meint Tillich.

In Berlin sorgte unterdessen Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) für neuen Zündstoff in der Koalition, indem er den Flüchtlingsandrang mit einer Lawine verglich. Kabinettskollege und Justizminister Heiko Maas (SPD) erwiderte: "Menschen in Not sind keine Naturkatastrophe." Im Kurznachrichtendienst Twitter schrieb er: "Wir sollten die Flüchtlingsdebatte besonnen führen und nicht mit Worten Öl ins Feuer gießen."

 

Schäuble hatte am Mittwochabend bei einer Veranstaltung in Berlin gesagt, die Flüchtlingsbewegung könne sich zu einer Lawine ausweiten. "Lawinen kann man auslösen, wenn irgendein etwas unvorsichtiger Skifahrer an den Hang geht und ein bisschen Schnee bewegt." Ob die Lawine schon im Tal angekommen sei oder im oberen Drittel des Hanges, wisse er nicht.

 

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), auf die die Aussage offenbar gemünzt war, reagierte gestern nicht. Sie will jedoch heute im ZDF in der Sendung "Was nun, Frau Merkel?" Stellung beziehen. Bundespräsident Joachim Gauck nannte besonders pessimistische Äußerungen in der Flüchtlingsdebatte wenig hilfreich. Vor Flüchtlingen und Helfern in Nordrhein-Westfalen sprach er von Horrorszenarien.


Die Mitarbeiter des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge beklagen derweil eine Abkehr von rechtsstaatlichen Prinzipien bei den beschleunigten Asylverfahren für bestimmte Flüchtlingsgruppen. Die "massenhafte Entscheidungspraxis" bei Syrern, Eritreern, Irakern und Flüchtlingen vom Balkan wiesen "systemische Mängel" auf, schrieben die Personalräte in einem offenen Brief an Amtschef Frank-Jürgen Weise. (mit dpa)

 


 

Interview: "Wer keine Integration will, muss dazu gezwungen werden können"

 

Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich über Patriotismus, Grenzkontrollen, die CDU und Juniorpartner SPD

 

Freie Presse: Wer trifft es besser - die AfD, die Ihnen eine Sozialdemokratisierung der sächsischen CDU vorwirft, oder die Grünen, die argwöhnen, dass die Union die AfD politisch rechts überholt?


Stanislaw Tillich: Mich interessiert, was die Menschen denken. Die Union hat einen klaren Kompass. Wir sind in der Regierungsverantwortung und in diesem Land nicht für Klamauk zuständig. Wer den Koalitionsvertrag liest, wird feststellen, dass wir uns in den entscheidenden Punkten durchgesetzt haben.

 

Werden Sie denn in Anbetracht der Flüchtlingskrise den Koalitionsvertrag einhalten können?


Alle strengen sich gegenwärtig an, dass es zu einer Begrenzung des Zustroms und zu geordneten Verfahren kommt. Dann wird es uns gelingen, unsere Zusagen zu erfüllen. Aber es gibt da noch einige Unwägbarkeiten. Es wird nicht unmaßgeblich davon abhängen, wie stark der Bund uns beim Thema Asyl unterstützt.

 

Sie hatten im August versichert, dass es keine Abstriche bei den laufenden Projekten geben soll. Ihre CDU-Finanzpolitiker taxieren die Ausgaben für Asyl auf fünf Prozent des Haushalts - jährlich 800 Millionen Euro …


Das lässt sich doch oft gar nicht auseinanderhalten. Nehmen wir unsere Schulen. Wir wollen, dass sie gut bleiben und weiter zur Spitze in Deutschland gehören. Dazu hatten wir uns in der Koalition darauf verständigt, dass wir mehr Lehrer brauchen. Wenn jetzt noch mehr Kinder kommen, brauchen wir noch mehr Lehrer und Schulen. Natürlich müssen dann unsere Planungen überarbeitet werden. Aber wir machen das ja dann nicht allein für das Thema Asyl.

 

Befürchten Sie denn durch einen höheren Ausländeranteil eine Verschlechterung der sächsischen Pisa-Ergebnisse?


Die Qualität hat weniger mit dem Ausländeranteil, sondern mehr mit dem Schulsystem zu tun, wie zum Beispiel in Bayern. Die Integration der Kinder dürfte das geringste Problem sein, die lernen schnell Deutsch. Unsere Lehrer haben viel gelernt beim Umgang mit russlanddeutschen Kindern.

 

SPD-Fraktionschef Dirk Panter will einfach nicht glauben, dass ein Land mit einst knapp fünf und jetzt gut vier Millionen Einwohnern bei 50.000 Flüchtlingen pro Jahr überfordert ist. Warum sieht die CDU das anders?


Wenn ich an die DRK-Helfer und die vielen freiwilligen Helfer denke, die seit Wochen täglich überlange Schichten schieben, oder an unsere Beamten, die permanent neue Erstaufnahmestellen suchen und eröffnen, dann sehe ich da schon die Grenze des Machbaren. Wir verhandeln mit Israelis, Kanadiern und Ukrainern über den Kauf von Containern, weil es die sonst nirgendwo mehr gibt. Wir schaffen es nur unter großen Anstrengungen, den Menschen ein Dach über dem Kopf zu geben. Unsere Bürger, und zwar alle Gruppen, fragen sich zu Recht, wie das weitergehen soll. Sie wollen geordnete Verhältnisse und eine Begrenzung des Zustroms - damit man danach die Integrationsaufgabe vernünftig angehen kann.

 

Durch eine Aussetzung des Familiennachzugs für Flüchtlinge?


Das ist keine neue Forderung der CDU. Das Asylrecht ist nicht dazu geeignet, alle Probleme dieser Welt zu lösen. Wir sollten den Menschen, die länger hierbleiben, die Möglichkeit geben, Deutsch zu lernen und eine Arbeit aufzunehmen - dann können sie ihre Familien nachholen. Damit könnten wir den Zustrom steuern und gleichzeitig die Integration erleichtern.

 

In der Sächsischen Union gibt es weitere Ideen. In Anträgen für den Parteitag wird mal vor "zunehmender Islamisierung" gewarnt, mal die sofortige Grenzschließung gefordert, mal wird die Einstellung von "Integrationslotsen" verlangt - ein breites Spektrum. Zu breit?


Die Diskussion in der Partei ähnelt der in der Gesellschaft. Auch in der Gesellschaft diskutiert man über Grenzschließungen, genauso wie über die Möglichkeiten, dass diejenigen, die zu uns kommen, respektieren, dass bei uns der Islam nicht über dem Grundgesetz steht.

 

Vielleicht holen sie nur etwas nach, immerhin hat Ihr Vize Martin Dulig auf dem SPD-Parteitag gesagt: "25 Jahre Staatspartei CDU haben Sachsen zu einem demokratischen Entwicklungsland werden lassen."


Sie erwarten bitte nicht, dass ich Herrn Duligs Satz kommentiere. Parteitagsreden sind dort wahrscheinlich dazu da, die eigenen Massen zu begeistern und die anderen zu beschimpfen. Ich hingegen will meine Wähler von der Richtigkeit dessen überzeugen, was wir tun.

 

Sind Sie sauer auf Dulig?


Die Koalition mit der SPD funktioniert besser als in anderen schwarz-roten Koalitionen in Deutschland.

 

Die Stimmung in Sachsens CDU, so hat der Landtagspräsident Matthias Rößler kürzlich im "Spiegel" festgestellt, sei genauso wie die in der bayerischen CSU. Spüren Sie das auch so?


Der Landesvorstand hat schon im März Verschärfungen des Asylrechts gefordert, die jetzt in Berlin beschlossen wurden. Als es noch nicht opportun war, haben wir klar und deutlich gesagt, was wir wollen. Wir haben da Führung übernommen. Und damit unterscheiden wir uns nicht sonderlich von der CSU in Bayern. Wir haben ja nicht ohne Grund Horst Seehofer zum Parteitag in Neukieritzsch eingeladen.

 

Eigentlich sollte ja Kanzleramtschef Peter Altmaier kommen ...


Wir hatten Peter Altmaier angesprochen. Aber das ist schon sehr, sehr, sehr lange her. Horst Seehofer hat sich über die Einladung gefreut. Mit Horst Seehofer arbeite ich nicht nur bei den Verhandlungen zum Länderfinanzausgleich gut zusammen, mit ihm habe ich zum Beispiel auch 2011 das NPD-Verbotsverfahren in Gang gesetzt.

 

Sind Sie sich mit Seehofer auch in der Asylpolitik einig?


Alle Länderchefs stellen sich die Frage, wie wir das Vertrauen der Menschen in die Handlungsfähigkeit des Staates wiederherstellen können. Ich stimme mit Horst Seehofer überein, dass wir wieder Grenzkontrollen brauchen, die auch ihren Namen verdienen. Nach wie vor gilt, dass demjenigen geholfen wird, der einen Anspruch darauf hat. Wer das nicht hat, muss damit rechnen, dass er konsequent abgeschoben wird.

 

Finden Sie noch immer, dass der Islam nicht zu Sachsen gehört?


Zu dem Satz stehe ich, genau wie zu dem zweiten, den ich schon damals dazu gesagt habe: In Deutschland gilt die Religionsfreiheit. Jeder Mensch, der zu uns kommt, kann seinen Glauben leben. Kein Muslim muss hier mit Repressalien rechnen, so wie möglicherweise in anderen Teilen der Welt.

 

"Wer aus seinem Glauben Kraft schöpft, der ist uns ähnlicher, als es uns auf den ersten Blick scheinen mag", steht im Patriotismuspapier der Jungen Union. Ist das auch Ihre Meinung?


Ich glaube das auch. Ich will eine Debatte über den positiven Patriotismus führen. Zu einer Integration müssen beide bereit sein - der hier lebt genauso wie der, der zu uns herkommt. Die Menschen sollen, ähnlich wie in Amerika, stolz darauf sein, zum Wohlstand dieses Landes beitragen zu können. Sie haben Rechte, aber auch Pflichten. Wer nicht bereit ist zur Integration, den möchte ich auch dazu zwingen können. Wer sich etwa Deutsch-Kursen verwehrt, aber gleichzeitig materielle Leistungen in Anspruch nimmt, dem sollten sie - ähnlich wie bei einem Hartz-IV-Empfänger - auch gekürzt werden können.

 

Was für einen Umgang halten Sie bei den "Patriotischen Europäern" von Pegida für geboten?


Wer gegen Menschen hetzt und zu Gewalt gegen Helfer, Polizisten, Politiker, Journalisten und Asylbewerber aufruft, der steht nicht mehr auf dem Boden unserer freiheitlichen Demokratie. Das müssen wir immer wieder deutlich machen. Und diejenigen, die da einfach nur mitlaufen, müssen wissen, dass sie diese Ansichten teilen, mögen ihre Motive für die Teilnahme auch andere sein.
 
Warum werden die Grenzen besonders oft in Sachsen überschritten?


Da sind wir alle miteinander noch auf der Suche nach einer Erklärung - Wissenschaftler, Journalisten, Politiker. Es gibt nicht den einen Grund, sondern einen ganzen Strauß. Viele gehen zu Pegida, ohne sich mit dem identifizieren zu wollen, was von der Bühne aus gesagt wird. Diese Menschen wollen wir als CDU wieder erreichen durch Gesprächsangebote, Zuhören und Abwägen der Argumente. Das ist nicht Aufgabe der CDU allein. Das kann man aber nicht von oben verordnen, das sollte überall passieren, in Gemeinden, Vereinen und Unternehmen.
 
Warum ziehen sich die Verhandlungen  zum Länderfinanzausgleich so lange hin?


So weit sind wir gar nicht auseinander. Klar ist, dass alle fünf ostdeutschen Länder keine Regelung akzeptieren werden, die zu einer Spaltung des Landes in arme und reiche Länder führen würde. Das werden wir nicht zulassen. Wenn der Bund 8,5 Milliarden Euro anbietet, davon aber der größte Betrag in den Ländern landet, die sowieso schon höhere Steuereinnahmen haben als der Osten, dann ist das nicht zu akzeptieren.
 
Wann folgt die Einigung?


Ich hoffe, dass wir zügig abschließen. Es hängt vor allem davon ab, dass einige, die hoch auf die Palme gestiegen sind, auch mal wieder herunterkommen. Da geht's eher um Eitelkeiten als um die Sache.

Mit Angela Merkel eint Sie, CDU-intern als alternativlos zu gelten. Sie sind seit 2008 im Amt und damit der dienstälteste Ministerpräsident der Republik. Am Samstag stellen Sie sich zum fünften Mal als CDU-Landesvorsitzender zur Wahl. Wie sieht ihre persönliche Lebensplanung für die nächsten zehn Jahre aus?


Ich bin gerne Ministerpräsident. Mir macht es Spaß, für diesen Freistaat zu arbeiten. Dabei ist es wichtig, dass einen die Wähler tragen und die Partei einen unterstützt. Bei Wahlen legt man Rechenschaft ab und wirbt erneut um das Vertrauen.