Zwei Philologen in Sachsen-Anhalt schreiben von einer „Immigranteninvasion“ – und heizen damit die Vorwahlkampfstimmung kräftig an
Von Klaus Wallbaum
Magdeburg. Hat da einer nur als besorgter Pädagoge gesprochen – oder als einer, der mit Parolen gegen Ausländer Stimmung erzeugen will? Jürgen Mannke, promovierter Philosoph und Leiter des Goethe-Gymnasiums im sachsen-anhaltinischen Weißenfels, hat einen Aufsatz in der Zeitschrift eines Lehrerverbandes geschrieben – und damit bundesweit einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Deutschland, so formulierte er gemeinsam mit einer Kollegin, werde von einer „Immigranteninvasion überschwappt“, und nun müssten „unsere jungen Mädchen“ so aufgeklärt werden, „dass sie sich nicht auf ein oberflächliches sexuelles Abenteuer mit sicher oft attraktiven muslimischen Männern einlassen“.
Dient diese drastische Wortwahl nicht dazu, Vorurteile anzuheizen? Sachsen-Anhalts Kultusminister Stephan Dorgeloh (SPD) ging auf Distanz zum Schulleiter: Auf diese Weise, sagte er, würden Gerüchte verstärkt, Halbwahrheiten verbreitet „und unsere Werte als Keule benutzt“. Die Linken im Landtag reden von „Hetze“, die Grünen meinen, hier werde „der rechte Rand bedient“. Mannke ist Vorsitzender des Philologenverbandes von Sachsen-Anhalt, einer Interessensvertretung von Gymnasiallehrern. Der Bundesvorsitzende der Organisation rückte auch von dem Artikel ab: Das Aufgreifen von unbestätigten Gerüchten sei nicht der richtige Weg in dieser Situation, meint er. Dabei war sich der Schulleiter bei der Veröffentlichung des Artikels sicher seiner Provokation bewusst. Er räumte inzwischen zwar selbstkritisch ein, manche Begriffe vielleicht missverständlich gewählt zu haben. Doch im Kern bleibe er bei seiner Auffassung – er habe eine Diskussion anstoßen wollen. In der „Mitteldeutschen Zeitung“ fügte er hinzu: „Ich habe mir vor 1989 den Mund nicht verbieten lassen und ich tue das jetzt auch nicht.“
Bei näherer Betrachtung wird klar, dass Mannke und seine Stellvertreterin im Philologenverband als Mitautorin tatsächlich Gerüchte verbreiten oder Einzelfälle verallgemeinern: Dass die Flüchtlinge massenweise ins Land kämen, dass junge muslimische Männer hierzulande Mädchen in Bussen und Supermärkten sexuell belästigten und dass sie die Rechte der Frauen nicht achteten. Zugleich ist der Artikel der beiden aber auch ein Hilferuf, der auf ihren Erfahrungen im Schulalltag fußt: Richtig sei, schreiben sie, politisch Verfolgten zu helfen. Deutschland brauche aber integrationswillige junge Menschen, solche, die die hiesige Werteordnung akzeptierten. Das sei oft nicht so. In sozialen Brennpunktschulen mit hohem Anteil an nicht-deutschen Schülern würden Lehrer beschimpft und gedemütigt, meinen sie. „Wir müssen unmissverständlich klarmachen, dass diejenigen, die zu uns kommen, sich unseren Grundwerten anzupassen haben und nicht umgekehrt“, lautet ihre Schlussfolgerung.
Mag der Meinungsbeitrag der beiden Philologen auch zunächst auf den Schulalltag gerichtet gewesen sein, so wühlt er fünf Monate vor der Landtagswahl die ohnehin reizbare politische Szenerie auf. Seit bald zehn Jahren regieren CDU und SPD gemeinsam, aber beide Parteien stehen derzeit nicht glänzend da. Vielmehr herrscht Streit – und auch dabei geht es um die Flüchtlingspolitik. Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU), der immer wieder die Bereitschaft zur Integration von Flüchtlingen betont, hat es mit einem konservativen Flügel in der eigenen Partei zu tun. Dazu zählen viele Kommunalpolitiker, etwa der Landrat von Anhalt-Bitterfeld. Auch CDU-Landtagsfraktionschef André Schröder formuliert die Vorbehalte gegenüber starker Zuwanderung deutlicher und pointierter als der Ministerpräsident – somit erscheint die CDU in dieser Frage uneinig.
Der SPD mit ihrer Spitzenkandidatin, der Landtagsfraktionsvorsitzenden Katrin Budde, geht es nicht besser. Sie hatte Haseloff jüngst gerügt, als dieser sich für eine Obergrenze der Zuwanderer aussprach. Der ranghöchste SPD-Kommunalpolitiker, Magdeburgs Oberbürgermeister Lutz Trümper, trat im Oktober aus der Partei aus – und warf Budde eine „realitätsferne“ Einstellung in der Flüchtlingspolitik vor. Unter diesem Zwist leidet die SPD bis heute.
Lange war spekuliert worden, ob es in Sachsen-Anhalt nach der Landtagswahl am 13. März 2016 weiter bei der Koalition aus CDU und SPD bleibt – oder ob nicht ein rot-rot-grünes Bündnis nach Thüringer Vorbild möglich wäre. Nach der jüngsten Umfrage hätten SPD (21 Prozent), Linke (26 Prozent) und Grüne (7 Prozent) zwar eine Mehrheit – obwohl die CDU mit 34 Prozent mit Abstand die stärkste Kraft bliebe. Aber nun herrscht Ungewissheit, wie die rechtspopulistische AfD abschneiden wird. Ihr Vorsitzender André Poggenburg steht innerhalb der AfD auf dem rechten Flügel, ein CDU/AfD-Bündnis käme wohl schon allein deshalb nicht in Betracht. Aber ein starker Erfolg der Rechtspopulisten könnte die Regierungsbildung erschweren. Die Anspannung in Sachsen-Anhalt steigt – und der Artikel der beiden Philologen trägt seinen Teil zu dieser Entwicklung bei.