Einwanderung als Chance? Was in der Asylkrise jetzt getan werden muss

Erstveröffentlicht: 
20.10.2015

Von schnellerer Rückführung abgelehnter Bewerber bis zu Steuererhöhungen für Spitzenverdiener — Thesen zur Integrationspolitik / Von Werner Patzelt

 

Es scheint, als werde Deutschlands Einwanderungspolitik in einer Sackgasse enden, wenn sie übers Hinnehmen und Verwalten nicht bald hinausgeht. Doch was können wir jetzt für eine hoffentlich gute Entwicklung tun? Das ist gar nicht wenig. Es scheint, dass wir deshalb vor allem über folgende Weichenstellungen diskutieren sollten:

 

Deutschland legt fest, und sei es durch Richterspruch nach einem verfassungsgerichtlichen Verfahren, dass es nicht verpflichtet ist, jeden asylbegehrenden Menschen zur Durchführung einer Prüfung auf Bleiberecht ins Land zu lassen. Auch finden wir rechtskonforme Verwaltungsverfahren, die solche Verringerung der Einwanderung in der Praxis wirksam machen. Zudem geben wir uns ein Einwanderungsgesetz, das für ein Recht auf Einwanderung klare Kriterien definiert, und setzen dieses Gesetz einwanderungskanalisierend um.

 

Unser Land unterlässt fortan Außenpolitik, die in stabilen Diktaturen zum Systemzusammenbruch oder zu Bürgerkriegen führt und dadurch Flüchtlingsströme auslöst; es wirkt auch auf entsprechendes Verhalten seiner Verbündeten hin. Deutschland arbeitet darauf hin, dass EU und UNO sowie reiche arabische Ölstaaten Sammellager für (Bürger-) Kriegsflüchtlinge so nahe wie möglich an deren Heimatregionen errichten und außerdem so gut finanzieren, dass dort – für die Zeit des Fortbestehens der Fluchtursachen – ein menschenwürdiges Leben möglich wird. Wir setzen Ähnliches auch an den Außengrenzen der EU für Geflüchtete aller Art durch. Zudem stellen wir sicher, dass von dort aus entweder eine Rückführung in die Herkunftsländer oder eine Weiterverteilung in für sie vorgesehene EU-Staaten vollzogen wird.

 

Außerdem ermutigt und unterstützt Deutschland die Grenzstaaten der EU beim Versuch, ihre Außengrenzen gegen selbstermächtigte Zuwanderung zu schützen. Vor allem verzichten wir auf grundsätzliche Kritik an EU-Staaten, die ihre nationalen Außengrenzen selbständig sichern, solange es keinen verlässlichen Schutz der EU-Außengrenzen gibt. Zudem unterlassen wir Versuche, anderen EU-Staaten unsere eigene Asylpolitik aufzuzwingen – etwa über ein dauerhaftes Quotensystem. Des weiteren setzen wir jene Leistungen für Flüchtlinge und Asylbewerber herab, die ihnen ein anderes Zielland als Deutschland als unzumutbar erscheinen lassen. Das machen wir auch im Ausland bekannt.

 

Obendrein beschleunigt unser Land künftige wie hängende Asylverfahren und gewährleistet eine rasche sowie vollständige Rückführung jener Geflüchteten, die kein Bleiberecht in Deutschland haben. Auch erkunden wir so verlässlich wie möglich den Ausbildungsstand und Bildungsgrad von ins Land gelangenden Asylbewerbern und Flüchtlingen, um sie – nach Feststellung eines Bleiberechts – zielgerichtet in jenen Regionen Deutschlands anzusiedeln, wo sie Chancen auf Arbeitsplätze haben. Ferner sorgen wir für ein flächendeckendes Angebot von Sprach- und Weiterbildungskursen. Dabei stellen wir sicher, dass es wirkungsvolle Anreize gibt, binnen kurzem ausreichend Deutsch zu lernen sowie sich so zu qualifizieren, dass man in den Arbeitsmarkt oder in unsere ehrenamtlichen Strukturen integriert werden kann – und auch integriert werden will.

 

Insgesamt machen wir nicht die Aufnahme, sondern die Integration von Geflüchteten zum vorrangigen nationalen Ziel. Dabei behaupten wir nicht einfach, dass wir es mit gutem Willen schon irgendwie erreichten, sondern erörtern präzis, wie wir das in Anbetracht realer Umstände schaffen können. Um das für die erforderlichen Maßnahmen nötige Geld einzunehmen, erhöhen wir die Steuern für Spitzenverdiener sowie die Lebensarbeitszeit. Wir überprüfen zum Zweck von Nachbesserungen, ob – und wo – der Mindestlohn als zu hohe Schwelle für den Eintritt von Migranten in den Arbeitsmarkt wirkt.

 

Vor allem weichen wir nicht länger Debatten darüber aus, welche kulturellen Veränderungen unseres Landes wirklich mit dem Umbau unserer Bevölkerungsstruktur einhergehen sollen, welche anderen es aber zu unterbinden gilt. Deshalb führen wir eine ernstliche Diskussion darüber, was für kulturelle Selbstverständlichkeiten – über die Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung hinaus – in Deutschland noch in dreißig oder vierzig Jahren gelten sollten. Das schließt eine Debatte darüber ein, wie weit aus einem „deutschen Volk“ eine „Bevölkerung Mitteleuropas auf deutschem Staatsgebiet“ werden soll; welche unserer Nachbarländer uns auf welchem Weg wohl begleiten wollen; und was für Folgerungen aus Antworten auf diese Fragen für die Zukunft der EU zu ziehen sind – gerade von Deutschland als deren einflussreichstem Land. Und auf Klärungen all dessen gründen wir in redlicher Absicht eine möglichst über Jahrzehnte bestandsfähige Willkommens- und Integrationskultur.

 

Optimistisch ob einer Nutzung jener Chancen, die uns die Einwanderung eben auch bietet, können wir genau dann sein, wenn wir alle diese Maßnahmen bald ergreifen – und sie ab sofort ohne prinzipienreiterische Vorabfestlegungen erörtern. Und am besten lassen wir uns nicht darauf ein, in absehbarer Zeit auf die harte Tour lernen zu müssen, was wir jetzt noch nicht lernen wollen.