Flüchtlingskrise: Für 60 Prozent der Sachsen sind die Politiker schuld

Erstveröffentlicht: 
26.09.2015

Umfrage: Jeder Zweite fordert Integrationsschulung auch für Deutsche / Ein Drittel fürchtet mehr Armut

 

Von Anita Kecke


Leipzig. Ratlosigkeit ist das, was es in Hülle und Fülle gibt angesichts der vielen Flüchtlinge, die in Europa, besonders in Deutschland, auch in Sachsen, Einlass begehren. Der Freistaat ist wegen der gehäuften ausländerfeindlichen Proteste und Krawalle besonders in den Fokus geraten. In einer gemeinsamen Umfrage wollten daher Leipziger Volkszeitung, Freie Presse und Sächsische Zeitung wissen, worin die Sachsen und die Deutschen insgesamt die Ursachen für Ausländerfeindlichkeit sehen, wer Schuld hat an der Krise und wie sie zu lösen ist.


"Zur Schuldfrage hat die Bevölkerung eine klare Meinung", sagt Dr. Andreas Czaplicki, Chef des Leipziger Uniqma-Institutes, das die Umfrage durchführte. "Schuld an der Misere sind die Politiker. Diese haben es versäumt, Vorbereitungen zu treffen und auf europäischer Ebene nach einer Lösung für den Flüchtlingsstrom zu sorgen. Die Forderungen an die Politik sind groß", analysiert er die Ergebnisse.


Sehen bundesweit 47 Prozent der Befragten die Versäumnisse vor allem bei der Politik, so sind es in Sachsen sogar 60 Prozent.


Eine der Ursachen für die Zurückhaltung gegenüber den Flüchtlingen bis zu ihrer Ablehnung sehen 38 Prozent der Sachsen, aber auch ein gutes Drittel bundesweit, in der Befürchtung, für die Deutschen, denen es wirtschaftlich schon nicht gut geht, könnte es durch die Verteilungskämpfe noch schlechter werden. Es fällt auf, dass dies in Sachsen mehr Ältere als Jüngere sagen und mehr geringer Gebildete als Studierte. Das korrespondiert mit der Aussage, dass Deutschland keine Ausländer mehr verkraften könne. Diese Meinung vertreten in Sachsen ebenfalls mehr die über 65-Jährigen als Befragte zwischen 18 und 29 Jahren und doppelt so viele mit dem Abschluss der 8. Klasse wie Studierte.


Dass es diese Befindlichkeiten und Ängste in nicht geringem Maße gibt, macht die Studie deutlich. Für die Politik kommt dies einer Handlungsanweisung gleich, mehr mit den Bürgern zu reden, aufzuklären, wie es steht, wer was bekommt, um Sorgen zu nehmen und der Neiddebatte zu begegnen. Immerhin hat der Bund jetzt beschlossen, die Länder finanziell nicht im Regen stehen zu lassen, sondern ihnen ab 2016 eine Pauschale von 670 Euro monatlich pro Asylbewerber zu zahlen.


In der Frage, ob Ausländerfeindlichkeit hauptsächlich ein Problem der sozial schwachen oder bildungsfernen Schichten ist, weil eine Konkurrenz um die Sozialleistungen befürchtet wird, sind die Sachsen gespalten. Ein Drittel stimmt zu, ein Drittel lehnt diese Problemzuschiebung völlig ab, und ein weiteres Drittel ist unentschieden in der Beurteilung.


Bundesweit ganz vorn sind die Sachsen, wenn es um die Furcht vor fremden Religionen, sprich dem Islam, geht. Mit großem Abstand vor der übrigen Bevölkerung in West und Ost (35 Prozent) sehen die Sachsen (47 Prozent) andere Glaubensrichtungen eher als Bedrohung und als eine wesentliche Ursache für die Ablehnung der Flüchtlinge an. Auch das ist im Grunde ein weiterer Aufklärungsauftrag für die Politik. Dass sich unter die Menschen, die vor Krieg und Zerstörung fliehen, auch islamische Gotteskrieger mischen, schließen die Geheimdienste nicht aus. Aber sie gehen von Einzelfällen aus und ermitteln entsprechend. Die Masse der Menschen flieht schlicht aus Not und Elend.


"In der Frage, was nun getan werden muss, unterscheiden sich die Sachsen nicht wesentlich von der übrigen Bevölkerung", erklärt der Leiter der Studie, Andreas Czaplicki. "Die Grenzen einfach zu schließen, ist nach Meinung der überwiegenden Mehrheit jedenfalls kein Weg, um mit dem Flüchtlingsproblem fertig zu werden. Da geht es eher um ein EU-einheitliches Zuwanderungsgesetz und um eine Außenpolitik, die aktiv gegen Krieg und Bürgerkrieg vorgeht", sagt der Meinungsforscher.


Einig sind sich die Sachsen mit dem Rest der Republik auch, dass der Staat härter durchgreifen soll gegen gewalttätige Fremdenhasser und Rechtspopulisten. Dass die Integration nicht allein dem Staat überlassen werden kann, sondern die Gesellschaft und viele freiwillige Helfer gefordert sind, gehört auch zu den vorrangig genannten Lösungen. In Sachsen stimmen hier 70 Prozent zu, bundesweit 77 Prozent.


Interessant ist, dass bundesweit - auch in Sachsen - mehr als jeder Vierte es für notwendig hält, dass die Bürger auch privat Flüchtlinge unterbringen in ihren Wohnungen und Häusern. Eine große Hilfsbereitschaft und Toleranz wird auch deutlich, wenn jeder zweite Deutsche, wiederum auch in Sachsen, es begrüßen würde, wenn es für die Deutschen ebenfalls so etwas wie Integrationskurse geben würde. Dort sollten sie mehr erfahren über andere Kulturen, Bräuche und Religionen. Integration ist keine Einbahnstraße, heißt das: Hier könnten sich die auf halber Strecke treffen, die von den Zugewanderten die Kenntnis der deutschen Kultur erwarten, und die, die auch von den Deutschen verlangen, dass sie dazulernen.


So hat die Studie eine Reihe von Antworten in die allgemeine Ratlosigkeit geschüttet, aber auch weitere Fragen.


Befragt wurden für diese Studie durch das Leipziger Institut Uniqma bundesweit vom 9. bis 15. September 1351 repräsentativ ausgewählte Männer und Frauen ab 18 Jahren, darunter 514 aus Sachsen.