Enttarnung einer Ermittlerin

Erstveröffentlicht: 
27.08.2015

Am 6. September 2012 schickte die Linksautonome Maria Block eine E-Mail an einige ihrer Mitstreiter in der Hamburger Szene. Es war ein Abschiedsbrief, denn Maria Block wollte raus aus dem Milieu der Kapitalismus-Feinde. Sie schrieb: "Die letzten Jahre habe ich damit verbracht, mir Gedanken über das System, in dem ich lebe, zu machen. (. . .) Und ich wollte etwas ändern. (. . .) Mir wurde klar, dass es, egal worum es geht, immer so laufen wird und ich nichts, aber auch rein gar nichts, verändern kann - zumindest nicht so." Es war ein Abschied aus Enttäuschung über den vergeblichen Kampf gegen die gesellschaftlichen Strukturen. Zumindest sah es so aus.


Mittlerweile wissen die Empfänger des Briefes, dass ihre Freundin Maria Block eine Erfindung war. Eine Kunstfigur der Polizei, welche die Beamtin Maria B. nur spielte, um Informationen über ihre Aktionen zu beschaffen. Die linksautonome Szene hat Maria Block enttarnt - und hat damit die Grundsatzdebatte über die Grenzen polizeilicher Arbeit im Rechtsstaat zusätzlich befeuert.

Verdeckte Ermittlungen sind immer heikel, sie spielen in gewisser Weise mit den Grundrechten von Bürgern, sie stehen unter strengem Vorbehalt der Staatsanwaltschaft. Und in Hamburg kommt allmählich der Verdacht auf, dass die Polizei bei ihren Ermittlungen im Kampf gegen mögliche Terrorgefahren über Jahre systematisch ihre Kompetenzen überschritt.

 

Der rechtliche Rahmen scheint zu verschwimmen

Schon im vergangenen Jahr hat Hamburgs linksautonome Szene detailliert darüber berichtet, wie sich die Beamtin Iris P. zwischen 2001 und 2006 unter dem Decknamen Iris Schneider ins Milieu einschlich, Freundschaften schloss, sogar Sex-Beziehungen hatte und im Sender FSK mitarbeitete, um an Informationen zu kommen. Jetzt kommt der Fall Maria B. dazu, der ähnlich gelagert ist: Zwischen 2009 und 2012 soll die Beamtin B. als Maria Block tätig gewesen sein. Christiane Schneider, von der Linken-Fraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft, sagt dazu: "Das deutet darauf hin, dass die Polizei ein strukturelles Problem hat."

In den Fällen der Ermittlerinnen Iris P. und Maria B. scheint der rechtliche Rahmen zu verschwimmen. Es ist keineswegs klar, ob die beiden wirklich immer auf staatsanwaltschaftliches Geheiß arbeiteten, als sie in die Privatsphäre anderer eindrangen, oder ob sie ihre Ermittlungsarbeit mit Wissen der Polizei zu frei interpretierten. Im Fall Iris P. haben sich Widersprüche aufgetan. An diesem Freitag will Innensenator Michael Neumann dem Innenausschuss den Bericht der Innenrevision vorlegen, um diese zu klären.

Und im Fall Maria B. ist nun die Frage, ob sie als Beamtin für Lageaufklärung (BfL) oder als verdeckte Ermittlerin (vE) unterwegs war. BfL kann die Polizei ohne Einverständnis der Staatsanwaltschaft einsetzen, ihre Möglichkeiten sind allerdings beschränkt, Privaträume dürfen sie zum Beispiel gar nicht betreten. Genau das soll Maria B. als Maria Block aber getan haben, wenn man dem 16-seitigen Enttarnungsbericht glauben darf, den Vertreter der linksautonomen Szene nach intensiven Recherchen im Online-Portal indymedia.org veröffentlicht haben. Die Autoren des Berichts schreiben: "Ob sie als BfL oder vE eingesetzt war, kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht gesagt werden. Klar ist jedoch, dass sie die rechtlichen Kompetenzen beider Szenarien weit überschritten hat." Die Polizei hat im NDR bisher nur bestätigt, dass es sich bei Maria B. um eine Hamburger Polizeibeamtin handle.

Der Bericht mit dem Titel "Enttarnung der ehemaligen verdeckten Ermittlerin Maria ,Block'" ist bemerkenswert. Dennis Gladiator von der Hamburger CDU-Fraktion rügt zwar den Umstand, dass er auch den Klarnamen, die Adresse und Bilder der Beamtin mitliefert. "Das ist inakzeptabel." Und in der Tat ist das fragwürdig. Aber dass es sich bei dem Papier um reine Kolportage handeln könnte, wäre eine gewagte Interpretation. Schon im Fall Iris P. hat die Aufarbeitung der Innenbehörde ergeben, dass die Darstellungen der linksautonomen Szene richtig waren. Stattdessen liefert der Bericht spannende Details aus der geheimen Arbeit der Polizei.


Maria B. muss sehr überzeugend gewesen sein

Er zeigt, dass eine Ermittlerin im Geheimdienst nicht nur ihre Legende glaubwürdig vertreten muss und sich dabei auf ein ganzes Konstrukt aus Lügen und Täuschungen stützt. Sondern dass sie auch in der Lage sein muss, sich in die Herzen ihrer Beobachtungsobjekte zu spielen.

Maria Block wird als engagiertes Szenemitglied beschrieben, die Veranstaltungen mitplante, sich an Demonstrationen und Aktionen beteiligte sowie an nicht-öffentlichen Kampagnen- und Gruppentreffen teilnahm. "Maria B. war auch über Hamburg hinaus und sogar in internationalem Kontext aktiv und beteiligte sich an strafrechtlich relevanten Aktionen", heißt es in dem Bericht. "Sowohl im Wohnort Wilhelmsburg als auch in der AntiRa-Kneipe knüpfte sie Kontakte zu anderen AktivistInnen und baute ,Freundschaften' auf, die mindestens ein sexuelles Verhältnis zu einem Aktivisten der AntiRa-Kneipe im Oktober/November 2009 mit einschließen."

Maria B. muss sehr überzeugend gewesen sein als Maria Block. Ihre Enthüller schreiben: "Der entscheidende Punkt, warum sie in gewisse Strukturen gekommen ist, war nicht nur, dass sie ein Leben als linke Aktivistin führte - der entscheidende Punkt war, dass ihr vertraut wurde." Und zwar bis zum letzten Brief.