Der Hass von Heidenau

Erstveröffentlicht: 
24.08.2015

Zwei Nächte hintereinander wüten Rechtsradikale vor einer Flüchtlingsunterkunft. Hunderte Bürger stehen Spalier für sie. Die Polizei ist machtlos, die Politik fordert Härte - Eindrücke aus einer Stadt im Ausnahmezustand.

 

Von Hauke heuer, Jörg Schurig und Thorsten Fuchs

 

Heidenau. Kurz bevor die ersten Böller fliegen, bevor die Gewalt eskaliert und Dutzende Menschen verletzt werden, stehen die Männer da und trinken erst mal noch ein Bier. Braune Flasche, halber Liter, lässig in der einen Hand, die andere in der Hosentasche. Der Biertrinker trägt ein weißes T-Shirt, die Haare gar nicht so kurz. Ein anderer hat sich eine Deutschlandfahne ans Hemd geheftet. Aber sonst? Sieht es hier nicht nur nach rechter Szene aus. Die meisten, die an diesem Abend vor dem ehemaligen Praktiker-Baumarkt in Heidenau stehen, würden auch bei einem ganz normalen bierseligen Straßenfest nicht im Geringsten auffallen. Dann fliegen Feuerwerkskörper, Steine, Flaschen.


Die Bilanz dieses Wochenendes: Zwei Nächte voll Gewalt, mehr als 30 verletzte Polizisten. Es sind die schwersten ausländerfeindlichen Krawalle der vergangenen Monate, die sich am Freitag und Sonnabend in Heidenau bei Dresden ereigneten. Was das Entsetzen im Rest des Landes und der ganzen Republik so besonders groß macht: Die Neonazis standen hier nicht allein. Es waren auch die äußerlich Unverdächtigen, die sich hier zu ihnen gesellten - und den Gewalttätern das Gefühl gaben, ganz in ihrem Sinne zu handeln, wenn sie zu Böllern und Flaschen greifen.


Es beginnt am Freitag Nachmittag - nicht wirklich friedlich, aber doch zumindest noch ohne physische Gewalt. Rund 1000 Menschen folgen einem Aufruf der NPD der Initiative "Heidenau hört zu" und ziehen durch die 16000-Einwohner-Kleinstadt nahe Dresden. Ihr Ziel: der Protest gegen ein Notquartier für 600 Flüchtlinge in einem ehemaligen Baumarkt. In der ersten Reihe: Eine Mutter mit einem vielleicht zehnjährigen Mädchen in gelbem Kleid, Familienausflug zur Anti-Flüchtlings-Demo, "Asylflut stoppen" steht auf dem Plakat, das sie mit einer weiteren Frau trägt.


"Volksverräter" rufen Demonstranten, als sie am Haus des Bürgermeisters Jürgen Opitz (CDU) vorbeiziehen. "Kanake", rufen einige, als sich ein dunkelhäutiger Junge an einem Fenster in der Stadt zeigt. Noch zwei Tage später wird es Opitz schwerfallen zu erklären, was da in seiner Stadt geschieht. Von einer "Massenpsychose" wird er sprechen, von etwas Wahnhaftem also, das sich mit Vernunft nicht mehr erklären lässt. "Mit Heidenau hat das nichts zu tun", beteuert er, und dass sich so etwas auch in jeder anderen Stadt zutragen könne. Der Bürgermeister möchte seine Stadt in Schutz nehmen. Aber was er sagt, ist nicht wirklich beruhigend.


Am Abend, nach der Demonstration, gehen Hunderte Menschen nicht nach Hause, sondern stellen sich auf die andere Straßenseite vor den früheren Baumarkt, wo an diesem Abend die ersten Asylbewerber eintreffen sollen. Die Stimmung ist trunken, aufgeheizt, feindselig. Sprechchöre hallen durch die Luft, in denen Flüchtlinge als "Schweine" oder "Viehzeug" bezeichnet werden. "Eure Frauen werden alle vergewaltigt", ruft eine Frau jüngeren Männern zu - Bedrohungsfantasien kursieren.


Es sind unwirkliche Szenen, die sich an diesem Abend am Rand von Heidenau abspielen. Szenen, die den Eindruck erwecken, hier seien Hunderte tatsächlich in einem Wahn gefangen. Nur dass sie diesen Wahn für Wirklichkeit halten.


Als am späten Abend viele der Demonstranten wieder zu Hause sind, blockieren 600 Gewaltbereite die Zufahrtstraße zum Flüchtlingsheim. Als die Polizei die Straße räumen will, fliegen die ersten Böller. Die Polizei reagiert mit Tränengas, doch es gelingt ihr nicht gleich, die Angreifer zu vertreiben. Szenen einer Straßenschlacht - vor dem Gebäude, in dem Flüchtlinge Schutz vor der Gewalt in ihrer Heimat suchen. 136 Beamte setzt die Polizei ein - nicht genug, um die Situation rasch in den Griff zu bekommen. Als überrascht und überfordert schildern Beobachter später die Beamten. Eine "neue Eskalationsstufe" beklagt ein Sprecher. 31 Polizisten werden verletzt.


Am nächsten Tag, am Sonnabend, zieht die Polizei Konsequenzen, 170 Beamte setzt sie nun ein. Es gibt eine erste Demonstration für die Flüchtlinge, 250 Menschen treffen sich nahe dem Baumarkt, unter ihnen Politiker von SPD und Grünen. Aber auch die Rechtsextremisten kommen wieder, 150 ziehen am Abend zum Flüchtlingsheim. Lange bleibt es ruhig, obwohl die Polizei Unterstützer und Gegner der Flüchtlinge nur durch eine Straße trennt. Dann, gegen 23 Uhr, geschieht etwas, was ein Polizeisprecher später so schildert: "Es war, als habe jemand einen Hebel umgelegt." Wie auf Kommando greifen die Rechtsextremisten an, werfen wieder Steine und Böller. Zwei weitere verletzte Beamte, das ist Bilanz dieses Abends - und die erschreckende Erkenntnis, dass die Polizei die zweite Krawallnacht in Folge nicht verhindern konnte.


Jetzt blickt auch die Politik auf Heidenau. "Hier sind Grenzen überschritten worden", sagt Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU), als er am Sonntag Nachmittag mit weiteren Ministern nach Heidenau kommt. Der Staat, kündigt er an, werde sein Gewaltmonopol durchsetzen. "Das ist nicht unser Sachsen."


Es sind entschlossene Worte, die die Politiker wählen, in Heidenau wie in Berlin, wo sich die Erklärungen bis in die Formulierung gleichen. "Mit aller Härte", das sagen sowohl Innenminister Thomas de Maizière (CDU) als auch Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD), müsse der Rechtsstaat gegen solche Gewalttäter vorgehen. Doch manchem ist das nicht genug Entschlossenheit. "Die Zögerlichkeit von Angela Merkel, hier die richtigen Worte zu finden, kann ich nicht verstehen", sagt Katrin Göring-Eckhardt, Fraktionschefin der Grünen. Tatsächlich bleibt die Kanzlerin bis zum Abend in Sachen Heidenau stumm.


Am späten Abend dann kam es abseits des Flüchtlingsheims noch zu schweren Ausschreitungen. Etliche linke Gegendemonstranten stürmten eine Tankstelle, auf der sich rechte Asylgegner aufhielten. Es gab eine schwere Schlägerei, die mindestens zwölf Verletzte forderte; sechs davon vermutlich schwer. Die Polizei war sehr schnell zur Stelle, konnte die Ausschreitungen aber nicht im Keim ersticken. Zuvor hatten sich noch etwa 250 linke Gegendemonstranten friedlich vor der Flüchtlingsunterkunft versammelt. Sie skandierten Willkommensgrüße für Flüchtlinge. Die meisten waren schwarz gekleidet und teils maskiert. "Kein Spielraum für Nazi-Schläger", hieß es auf Plakaten.

 


 

 

Nachgefragt ... 

 

"Es hat zu lange an klaren Worten gefehlt"


Herr Lippmann, Sie waren Samstagnacht in Heidenau, wie haben Sie die Angriffe rechter Randalierer erlebt?

 
Der erste Angriff erfolgte alles andere als spontan. Das war offensichtlich auf den Punkt vorbereitet worden. Nur mit einem enormen Aufwand ist es der Polizei gelungen, die angreifenden Nazis zurückzudrängen. Immer wieder haben kleinere Gegengruppen versucht, zur Pro-Asyl-Demo zu gelangen. Die brutalen Angriffe der rechtsextremen Randalierer waren in hohem Maße koordiniert.


Wer trägt die politische Verantwortung?

 
Seitens der Staatsregierung hat es beim Thema Asyl und beim Umgang mit Flüchtlingen zu lange an klaren Worten gefehlt. Die chaotische Kommunikation bei der Einrichtung neuer Unterkünfte bildet zudem einen Nährboden für Ressentiments. Nun ist eine Symbiose zwischen "besorgten Bürgern" und Neonazis entstanden. Das Ergebnis sieht man nicht nur in Heidenau.


Kann die Polizei ihrer Aufgabe noch gerecht werden?

 
Ich habe das Gefühl, die Polizei in ganz Sachsen hat schon lange die Grenzen ihrer Belastbarkeit überschritten. Das entstehende Signal ist fatal: Die Polizei erscheint derzeit nicht mehr in der Lage, den Schutz der Bürger jederzeit gewährleisten zu können. Die Polizeireform 2020 und der damit verbundene Stellenabbau rächen sich gerade bitter. Dafür trägt vor allem Innenminister Markus Ulbig die Verantwortung.


Was muss sich bei der Polizei ändern?

 
Man braucht kein Prophet zu sein, um zu sehen, dass eine Nazi-Demo in der Nähe einer Flüchtlingsunterkunft eine massive Gefahr darstellt. Ich erwarte, dass die Polizei bei solchen Aufmärschen mit einer starken Präsenz vor Ort ist. Übergriffe müssen konsequent unterbunden und verfolgt werden. Wenn man diese Sicherung nicht mit eigenen Kräften hinbekommt, dann müssen Beamte aus anderen Bundesländern zum Einsatz kommen. Oder es muss die Bundespolizei angefordert werden.


Interview: Johannes Angermann

 

... bei Valentin Lippmann (24), parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen im Landtag.