Rathaus-Chef besucht Notunterkunft in der Ernst-Grube-Halle / Kritik an sanitären Zuständen
Von Matthias Puppe
Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) hat sich gestern in der
Ernst-Grube-Halle über die Situation der dort untergebrachten 375
Flüchtlinge informiert. Jung lobte das bisher ausnahmslos ehrenamtliche
Engagement von Johannitern, Flüchtlingsrat und anderen Initiativen bei
der Betreuung der Asylbewerber. Gleichzeitig griff er die
Landesregierung scharf an und drohte damit, sich aus dem
Lenkungsausschuss "Asyl in Sachsen" zurückzuziehen. Der Freistaat
handele nicht transparent, habe die Entwicklung der Flüchtlingszahlen
verschlafen und dabei auch Angebote der Stadt Leipzig ausgeschlagen.
"Seit Monaten wissen wir, dass die Zahlen der Asylbewerber steigen. Wir
hatten deshalb dem Freistaat auch Angebote gemacht, frühzeitig eine
Erstaufnahme in Leipzig vorgeschlagen", sagte Jung. Die
Flüchtlingsthematik sei ein langfristiges Anliegen, könne nicht durch
Notunterkünfte wie die Ernst-Grube-Halle gelöst werden. "Wir erleben
gerade die größte Flüchtlingskatastrophe seit 1945, Millionen von
Menschen werden noch nach Deutschland kommen. Wir dürfen Entscheidungen
nicht von heute auf morgen treffen, sondern müssen die Lage ernst
nehmen", sagte der OBM. Der Freistaat hätte bereits vor Monaten die
ehemalige Kinderklinik in der Oststraße als Flüchtlingsunterkunft
vorbereiten können.
Stattdessen werden nun Zeltstädte und Turnhallen genutzt - und Kommunen
erst kurzfristig über den Bezug informiert. "Es kann doch nicht sein,
dass die Mitarbeiter der Stadt aus der Zeitung davon erfahren", ärgerte
sich Jung. In Richtung Landesregierung forderte er: "100 Prozent
Transparenz, 100 Prozent Finanzierung und einen professionellen Umgang
mit dem Thema". Sollte die Kommunikation zwischen Stadt und Land künftig
nicht direkt und auf Augenhöhe erfolgen, will sich Jung aus dem
Lenkungsausschuss Asyl in Sachsen zurückziehen, in dem Kommune und
Freistaat in regelmäßigen Abständen über Flüchtlingsfragen beraten.
Trotz Kritik an der Grube-Halle als Flüchtlingsheim wollte Jung nicht
ausschließen, dass auch die Stadt Leipzig in Zukunft Objekte mit solchen
Kapazitäten benötigen werde. Unmittelbar gebe es zudem Anfragen des
Landes, ob zwei städtische Gebäude zeitnah als Massenunterkunft genutzt
werden können. "Konkret ist noch nichts", sagte Jung.
Notquartier ist fast voll, aber für 375 Personen gibt es nur zehn Duschen
In der Ernst-Grube-Halle waren zuletzt nur noch etwa 40 Betten leer -
insgesamt 375 Flüchtlinge leben inzwischen hier auf engstem Raum. Der
OBM ließ sich von Johanniter-Koordinator Lars Menzel durch das Gebäude
führen, war danach sichtlich beeindruckt von der Leistung der vielen
Freiwilligen, aber auch der Spendenbereitschaft der Leipziger. Auch die
Netzwerke des Flüchtlingsrats hätten sich als effektiv erwiesen. Jung:
"Wir werden darüber reden, hier mehr Hauptamtlichkeit zu schaffen,
vielleicht eine weitere Stelle zu ermöglichen."
Trotzdem gebe es auch noch viele Baustellen in der Halle: So sei die
sanitäre Situation nach wie vor problematisch. Das bestätigte auch
Johanniter-Landesvorstand Bernd Bieler: "Es gibt lediglich zehn Duschen,
jeweils fünf für Frauen und Männer. Eigentlich wurden uns von der
Landesdirektion schon gestern zusätzliche Sanitärcontainer versprochen",
sagte Bieler. Um schneller Abhilfe zu schaffen, werden nun auch wieder
Gespräche mit der Uni Leipzig geführt.