Flüchtlinge nicht willkommen

Erstveröffentlicht: 
20.08.2015

Im Erzgebirge ruft ein Bürgermeister öffentlich zum Protest gegen ein Asylbewerberheim auf. Amtskollegen warnen: Die Kommunalpolitik darf nicht vor Fremdenfeindlichkeit kapitulieren.

 

Nassau/Chemnitz. Nach zehn Minuten ist die Stimmung kurz vorm Explodieren. Gerade hat ein Mitarbeiter des Landratsamtes Mittelsachsen versucht, den Nassauern ihre Ängste zu nehmen, da wird er von einem wütenden Zwischenrufer unterbrochen: "Wir können ja tauschen. Wir gehen in die Stadt und ihr kommt hierher." Die gut 250 Personen, die sich an diesem Dienstagabend zur Einwohnerversammlung in den "Nassauer Hof" gequetscht haben, johlen. Dutzende, die draußen stehen, tun es ihnen gleich. Ein Asylbewerberheim wollen die wenigsten hier im Ort haben.

 

Seit zwei Wochen ist klar, dass in dem Frauensteiner Ortsteil mit seinen 750 Einwohnern 88 Flüchtlinge im ehemaligen Hotel "Nassauer Hof" untergebracht werden sollen. Seitdem steht das Dorf Kopf. Zur Einwohnerversammlung wird Bürgermeister Reiner Hentschel (parteilos) offen angegangen. Er soll erklären, warum er noch kein Sicherheitskonzept aufgestellt hat. "Das sind Fragen, die sich nach ganz oben richten", sagt Hentschel. Schließlich kapituliert er vor dem Geschrei: "Dann stellen Sie sich hin und protestieren - aber bitte gewaltlos." Ortsvorsteher Dietmar Blichmann wirbt noch dafür, sich nicht mit den Rechtsextremen abzugeben, die sich unter die Menge gemischt haben. Aber er räumt gestern ein: "Wir können nicht verhindern, dass sie sich einreihen und müssen es akzeptieren - aber wenn sie sich einreihen, dann ohne irgendwelche Abzeichen, Flaggen oder ähnliches." Für eine Willkommenskultur machte sich an dem Abend niemand stark.

 

"Gäste aus fremdem Kulturkreis"


In Nassau sind Asylbewerber nicht willkommen. Doch nicht nur dort. In St. Egidien im Landkreis Zwickau sagt man das auch - wenngleich indirekt. Die Kreisverwaltung wollte in dem Ort ein 2009 geschlossenes Asylheim wieder nutzen. Der parteilose Bürgermeister Uwe Redlich stellte dazu fest, der "Versorgungsweg" der Asylbewerber führe an zwei Kitas und an einer Schule vorbei. Im Amtsblatt begründete Redlich die Ablehnung dieses Standortes mit den Worten: "Ich sähe hier ein Risiko, dass einzelne ,Gäste' aus einem fremden Kulturkreis in die Versuchung geraten könnten, mit Schülern und Jugendlichen in nicht erwünschter Weise ins Geschäft zu kommen." Im Gemeinderat stellten sich sogar die Linken hinter den Bürgermeister. Das Heim kommt nun an eine andere Stelle im Ort.

 

Noch immer weigern sich in Sachsen Kommunen, Flüchtlinge aufzunehmen. Und es gibt Bürgermeister wie in Freital, die zuerst mit Asylgegnern sprechen, bevor sie Befürworter eines Heims treffen. Beim Sächsischen Städte- und Gemeindetag räumt man solche Probleme hinter den Kulissen ein. Offiziell will der Lobbyverband aber keine Kritik an einem seiner Bürgermeister üben. Zu Nassau schreibt Referent Falk Gruber, man könne die Vorfälle nicht beurteilen, "da uns keinerlei Informationen über den konkreten Sachverhalt vorliegen".

 

"Das geht gar nicht"


Im Landkreis Mittelsachsen findet man indes auch klare Worte. "Ich bin erschüttert. Das geht gar nicht", meint SPD-Bürgermeister Dieter Greysinger in Hainichen. Der 50-Jährige kam nach der Wende aus Franken nach Hainichen. Dort werden jetzt die ersten von bis zu 140 Flüchtlingen in einen alten DDR-Plattenbau ziehen. Greysinger, der Kommunalpolitik auch über Facebook macht, wird selbst immer wieder mit Fremdenhass konfrontiert. Letztens schrieb ihm ein Facebook-"Freund": "Das letzte Wochenende, bevor die Kanaken kommen." Solche Leute entfernt Greysinger konsequent aus seiner Freundesliste. Beim Asylthema müsse ein Bürgermeister deeskalierend und moderierend wirken, sagt er - aber auch Hetzern klar die Grenzen aufzeigen.

 

Am Sonntag will Greysinger nach Frankenberg gehen. Dort veranstaltet sein Amtskollege Thomas Firmenich (CDU) ein gemeinsames öffentliches Kaffeetrinken von Einheimischen und Flüchtlingen. "Wir wollen uns näher kommen und mehr voneinander erfahren", beschreibt Firmenich das Anliegen. Die gut 50 Asylsuchenden in seiner Stadt seien gut integriert; als Bürgermeister müsse man informieren und aufklären. Zum Protestaufruf des Frauensteiner Bürgermeisters erklärt er: "Ich würde das nicht sagen."

 

In Nassau hält der Druck an. In zwei Wochen wird wieder eine Bürgerversammlung sein. Das Landratsamt hat den zum 1. September geplanten Einzug der Flüchtlinge um einen Monat verschoben - und will nun weniger Menschen in den Erzgebirgsort schicken.