Der Verfassungsschutzbericht warnt vor allem vor Islamisten. Für den Bundesinnenminister bleiben aber auch Rechts- und Linksextremisten brandgefährlich. Leipzig wird zur neuen Hochburg für Autonome.
Ostdeutschland spielt im neuen Verfassungsschutzbericht eine besondere Rolle. Es ist mittlerweile zur Routine geworden, dass bei den Präsentationen solcher Analysen explizit auf die Gefahren durch rechtes Gedankengut zwischen Ostsee und Erzgebirge hingewiesen wird.
In diesem Jahr wurde eine Stadt im Osten aber auch in Bezug auf den Linksextremismus in den Vordergrund gerückt: Leipzig, die Stadt Bachs und der Montagsdemonstrationen, ist zum "neuen Schwerpunkt der Linksradikalen" geworden. Das stellte Bundesinnenminister Thomas de Maizière bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts 2014 in Berlin heraus.
Bundesweit stellt laut der Analyse die größte Bedrohung für die Republik weiterhin der islamistische Terrorismus dar. Je länger die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) in Syrien und im Irak ein staatsähnliches Gebiet beherrschen kann, desto größer wird die Gefahr, erklärte der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV), Hans-Georg Maaßen. "Die militärischen Erfolge des IS und die Ausrufung des ,Kalifats' haben zu einer neuen Dimension terroristischer Bedrohung geführt", heißt es im Verfassungsschutzbericht.
Die Sicherheitsbehörden gehen davon aus, dass der IS auch in Deutschland Anschläge durchführen will. Die Botschaft lautet: Die Lage in Deutschland ist hochgefährlich.
Deutsch-Türke angeklagt
Nur ein paar Minuten nach der Pressekonferenz verschickte der Generalbundesanwalt eine Mitteilung: Er klagt einen mutmaßlichen islamistischen Terroristen wegen Mordes an. Der Deutschtürke soll nach Überzeugung der Ermittler 2013 nach Syrien gereist sein und sich dort dem IS angeschlossen haben.
In den vergangenen Monaten konnten Ermittler viele solcher Erfolge verzeichnen. Gegen Hunderte Islamisten laufen bereits Verfahren. Doch gleichzeitig steigt die Zahl derer, die in die Kampfgebiete reisen, nach ein paar Monaten wieder zurückkehren – und hierzulande aus dem Blickfeld der Sicherheitsbehörden verschwinden. Die Gefahr schlummert.
Der Verfassungsschutzbericht warnt in dieser Hinsicht vor Einzeltätern oder Kleinstgruppen, die nur lose mit Organisationen wie dem IS oder al-Qaida assoziiert sind: "Deren autonome, organisationsunabhängige Tatvorbereitungen erschweren es den Sicherheitsbehörden, in einem frühen Stadium Abwehrmaßnahmen einzuleiten."
Rechtsextreme Gewalt steigt
Auch von Rechtsextremisten geht eine wachsende Gefahr aus: Die Zahl der rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten ist im vergangenen Jahr um 23,6 Prozent auf 990 gestiegen. Dies ist der höchste Stand seit 2008. Als besonders besorgniserregend stufen die Verfassungsschützer dabei den Anstieg fremdenfeindlicher Gewalttaten und die steigende Zahl von Angriffen auf Flüchtlingsunterkünfte ein. Allein im ersten Halbjahr 2015 hat es rund 150 Straftaten gegen Asylunterkünfte gegeben. Im vergangenen Jahr zählten die Behörden insgesamt 170 Angriffe, 2013 noch 55.
Rechtsextremisten heißen Brandanschläge auf Asylbewerberheime gut. Außerdem versuchen sie, den Unmut von Teilen der Bevölkerung über die Asylpolitik zu schüren. Sie versuchen gezielt, bürgerliche Demonstrationen zu unterwandern und für sich zu vereinnahmen. Die Pegida-Demonstrationen selbst werden laut Maaßen aber nicht vom Verfassungsschutz beobachtet.
Bereits im Frühjahr hatte das Bundesinnenministerium darauf hingewiesen, dass es beim Thema Rechtsextremismus ein Gefälle gibt: In den neuen Bundesländern gebe es überdurchschnittlich starke rechtsextreme Gefährdungen. Diese Ansicht wiederholte de Maizière nun. Man könne nicht leugnen, dass "eine gewisse Aggressivität" in den ostdeutschen Ländern höher sei als in westdeutschen, sagte de Maizière mit Blick auf Freital, wo Pegida-Sympathisanten gegen eine Flüchtlingsunterkunft demonstrieren, und seinen Wahlkreis Meißen, wo am Wochenende eine bezugsfertige Asylunterkunft in Brand gesteckt wurde.
Kein ostdeutsches Phänomen
Man könne aber nicht von einem ostdeutschen Phänomen sprechen, führte er weiter aus: Auch in Lübeck in Schleswig-Holstein registrierte man gerade erst einen Brandanschlag auf eine geplante Flüchtlingsunterkunft.
Der Bundesinnenminister kritisierte mit deutlichen Worten zudem den Linksextremismus. Dieser Bereich stagniere zwar "auf hohem Niveau". De Maizière sagte aber, er erkenne eine "Lust an der Gewalt" und ein "stilles Verständnis" im linken bürgerlichen Bereich, das man nicht akzeptieren könne. Maaßen wies hier auf neue Bündnisse hin. "Während die Zahl linksextremistischer Gewalttaten von Jahr zu Jahr schwankt, hat die Intensität der Gewalt in den letzten Jahren zugenommen", heißt es im Verfassungsschutzbericht.
Nach Angaben der Sicherheitsbehörden hat sich Leipzig dabei als ein neuer Schwerpunkt des gewaltorientierten Linksextremismus herausgebildet. Darauf deuten verschiedene Vorfälle hin: Erst vor ein paar Wochen waren zum Teil vermummte Randalierer durch die Innenstadt gezogen. Dort bauten sie Barrikaden auf, schmissen Steine und Molotowcocktails. Es entstand ein erheblicher Sachschaden. Selbst ein Reisebus mit Rentnern sei angegriffen worden, bemerkte de Maizière.
16 Angriffe auf Wache in Connewitz
Auf die Polizeidienststelle im Stadtteil Connewitz sind laut Bericht seit der Eröffnung im Februar 2014 bereits 16 Angriffe verübt worden. Im Januar etwa zogen rund 50 Personen zur Wache und griffen sie mit Pflastersteinen, Farbbeuteln und Feuerwerkskörpern an. Der Verfassungsschutzbericht zitiert aus einem Bekennerschreiben: "Bulle dein Duldungsstatus ist aufgehoben".
Bereits der sächsische Verfassungsschutzbericht hatte auf das Wachsen der autonomen Szene in Leipzig hingewiesen. Rund 180 Personen werden ihr zugerechnet. Mit Blick auf den Anstieg der Aktionen zuletzt spricht das Landesamt von einer "immensen Dynamik". Zunehmend würden verdeckt agierende Kleingruppen zuschlagen. Für die nahe Zukunft rechnet man mit einem "weiteren Anwachsen des gewaltbereiten Potenzials in Leipzig".