Pegida: Hinter Zäunen diese Wut

Erstveröffentlicht: 
13.04.2015

Geert Wilders und Pegida hetzen gegen den Islam, in einem sorgfältig eingezäunten Rechteck auf einer Dresdner Wiese. Und junge Männer sehnen sich nach Unruhe im Land. von Lenz Jacobsen, Dresden

 

An diesem Montagnachmittag liegen die Tore Wiens am Rande der Dresdener Innenstadt, auf einer Wiese an der Elbe. Und wer das bestreitet, der ist hier jetzt falsch, der hat es einfach nicht verstanden.

 

Die Flutrinne ist ein flaches, weitläufiges Gelände mit Sportplätzen und viel Grün, auf dem nun an diesem Montagnachmittag sorgfältig ein Rechteck eingezäunt ist. So, als dürfe da jetzt niemand mehr drauftrampeln, damit das Gras besser wächst. Eine Schutzzone. Es trampeln aber viele drauf, und wenn etwas wächst in diesem Rechteck, dann ist es Wut. Eine Wutzone. Am Rande steht ein kleiner Junge und summt schon mit heller Kinderstimme vorfreudig vor sich hin: "Lügenpresse, Lügenpresse…"

 

Pegida hat geladen, zur 23. "Großen Kundgebung". Es ist ihr Versuch, sich noch einmal hochzuziehen aus der Versenkung, im Gespräch zu bleiben. Mehrmals hatte Organisator Lutz Bachmann den Termin nach hinten verschoben, nun ist es soweit. Zum ersten Mal haben sie eine echte, große Bühne aufgebaut statt des kleinen weißen Transporters, auf dem die Redner immer ein wenig wirkten, als wollten sie von der Ladefläche Gemüse verkaufen und nicht ihre Ressentiments. An der Bühne hängen riesige Boxen, links daneben haben sie eine riesige Leinwand aufgebaut. Muss teuer gewesen sein. Und rechts neben der Bühne steht, tatsächlich, der Transporter einer Firma für Isoliertechnik.

 

Isoliertechnik ist auch das Fach des Geert Wilders. Er ist Profi im luftdichten Verschweißen "unserer jüdisch-christlichen Kultur" gegen äußere Einflüsse. Mit seiner "Partei für die Freiheit" kämpft er aus dem niederländischen Parlament gegen alles Fremde im Allgemeinen und gegen den Islam im Speziellen. Vor zwei Wochen zum Beispiel war Wilders in Wien, also im echten, österreichischen, und jubelte: "Wir werden die Tore Wiens immer verteidigen. Wir werden unsere Grenzen immer verteidigen. Wir werden unsere Freiheit immer verteidigen. Wir werden den Islam besiegen!"

 

Im Rechteck gibt es Applaus für Wilders


Als Teil dieses Verteidigungskampfes ist Wilders nun also in den Niederlanden in ein Flugzeug gestiegen, mit Rückenwind nach Dresden geflogen und hat sich dann auf das mit wütenden Menschen schon gut gefüllte Wiesenrechteck in der Flutrinne fahren lassen. Nun schreitet er auf die Bühne, hinauf zu Bachmann, der sich für den Gast schick gemacht und seinen obligatorischen Anorak gegen Anzug plus Krawatte getauscht hat. Wilders, im Dreiteiler und mit weißer Mähne ein Vexierbild aus Julian Assange und Fritz J. Raddatz, greift also zum Mikro und sagt: "Es ist eine Ehre für mich, hier heute für Euch zu sprechen." Er wisse ja, wie schwierig es gerade in Deutschland sei, patriotisch zu sein, und weil sie, also die Pegidisten, es trotzdem wagen, sagt Wilders: "In meinen Augen seid Ihr alle Helden". Großer Applaus im Rechteck.

 

Was zu sehen ist: viele Deutschlandfahnen natürlich und fast ebenso viele mit einem schwarzen, gelb umrandeten Kreuz vor rotem Hintergrund. Schaute man nicht genau hin, konnte man die Fahne gerade an den dunklen Dresdner Pegida-Winterabenden lange für die norwegische halten. Doch beim schwarz-rot-goldenen sogenannten Philippuskreuz handelt es sich um die Flagge, die sich einst Adolf Hitlers Gegner ausgedacht hatten. Jene Gruppe um Stauffenberg, die am 20. Juli 1944 versuchte, Hitler zu töten, und schon die Zeit danach geplant hatte. Es war der Christdemokrat Josef Wirmer, der die Kreuz-Flagge in den deutschen Farben für die Nach-Hitler-Zeit entworfen hatte. Nun weht die Flagge der Hitler-Gegner in den Händen der Islamisierungsgegner. Und Wilders sagt: "Wir sind heute hier in der Tradition von Kant, Schiller und Stauffenberg."

 

Das sind die wehrlosen Kronzeugen für Wilders' Entwertungsrhetorik. "Unsere eigene Kultur ist ja die beste Kultur", sagt er, als verstünde sich das sowieso von selbst, "und Einwanderer müssen unsere Werte annehmen und nicht andersherum". Weil das Fremde nicht fremd sein darf.

 

Immer wieder stellte sich bei Pegida in den vergangenen Monaten die Frage, worum es denn nun genau geht, und wogegen – gegen den Islam, das System, die Parteien, den eigenen Frust. Manchmal schien es, als wollten viele Tausende einfach mal gehört werden. Einfach mal schreien und laufen und Fahnen schwenken und wahrgenommen werden. Gegen die Islamisierung des Abendlandes? Nebensächlich. Ja, man sei kein Gegner des Islams, man sei weder links noch rechts, erklärten viele berauscht, man sei halt das Volk, das brauche ja keine solchen Kategorien. Nun jubeln sie einem Redner zu, der davor warnt, die europäischen Völker würden bald von Muslimen "versklavt", und man solle sich den "Barbaren" nicht beugen. Der Koran ist für ihn eine Anleitung zu Hass und Verbrechen. Sollte man Wilders' Politik mit einem Wort charakterisieren, so wäre das: Islamfeind. Deutlicher geht es nicht, und deutlicher kann auch Pegida nicht zeigen, dass es eben doch diese Islamfeindlichkeit ist, die sie zusammenhält.

 

Wilders sagt auch noch an der Dresdner Front gegen die Muslime: "Ihr habt Deutschland damals die Wende gebracht, und ich sage Euch, heute brauchen wir eine neue Wende." Das geht natürlich ganz wunderbar zusammen mit der "Wir sind das Volk"-Selbstverklärung der Pegidisten, mit der ganzen Selbstermächtigungsrhetorik dieser Straßen- und Wiesenmarschierer.

 

Unruhe – das gefällt den jungen Männern auf der Wiese


"Wenn Sie Deutschland lieben, dann schlagen Sie Alarm", sagt Wilders noch, und genau das tut dann nach ihm Götz Kubitschek, so laut, dass sich manche vorne an der Bühne die Ohren zuhalten. Kubitschek ist Verleger in der Szene der Neuen Rechten, und nun schreit er Dinge über die Wiese wie: "Es ist am Horizont eine neue Möglichkeit aufgegangen, eine politische Morgenröte, und es ist eine Lust, zornig zu sein, und der Politik die Zähne zu zeigen!" Es sei dank Pegida eine große Unruhe ausgebrochen in Deutschland, die der Politik nicht gefalle, "aber uns gefällt sie, nicht wahr?", brüllt Kubitschek. Und es sind in diesem Moment vor allem die jüngeren Männer in den schwarzen Klamotten und mit den breiten Schultern, die begeistert zurückbrüllen. Oh ja, wie sie ihnen gefällt, die Unruhe.

 

Was bedeutet das nun für Pegida, was machen sie mit dieser Unruhe?

 

Etwas Lokalpolitik. Tatjana Festerling, die Pegida-Oberbürgermeisterkandidatin für Dresden, schimpft auf ihre Gegner von den Parteien, weil die sich am Mittag gemeinsam gegen Pegida gestellt hatten. Sie findet das nicht gerecht und will bald auch mal in die Landespressekonferenz gebeten werden. Und wenn sie im Rathaus sitzt, verspricht sie, dann sorgt sie mal so richtig für Transparenz in diesem Filz da. Viel ist während ihrer Rede nicht mehr übrig von der Unruhe.

 

Wie viele Menschen dabei waren, bleibt am Ende der Veranstaltung unklar, auch weil die Polizei anders als sonst keine Zahl schätzt. Eine Nachrichtenagentur geht von 10.000 aus, das wären 3.000 mehr als zuletzt. Auf 30.000 hatte Pegida gehofft. Beim nächsten Mal, in zwei Wochen, reicht wieder die kleine Bühne. Ganz zum Schluss vergisst Lutz Bachmann beinahe noch, die Nationalhymne zu singen.