V-Leute bekommen Recht zu Straftaten

Erstveröffentlicht: 
26.03.2015

Neuer Gesetzentwurf gießt bisherige Praxis des Verfassungsschutzes in Rechtsnormen

 

Von Dieter Wonka und Christiane Jacke

 

Berlin. Als Konsequenz aus dem Ermittlungsdesaster im Fall der rechten Terrorzelle NSU will die Bundesregierung die Zusammenarbeit der Verfassungsschützer in Bund und Ländern neu ordnen. Das Kabinett brachte dazu am Mittwoch eine lange diskutierte Reform auf den Weg.


Das Bundesamt für Verfassungsschutz soll mehr Befugnisse bekommen und im Zweifel auch in den Ländern operativ eingreifen können. Für den Einsatz von V-Leuten werden im Gesetz erstmals Regeln festgelegt. Linke und Grüne zeigten sich unzufrieden mit den Plänen. Die Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff meldete rechtliche Bedenken an. Auch in den Ländern gibt es noch Gesprächsbedarf.


Die Verfassungsschutzbehörden in Bund und Ländern sollen nun per Gesetz zu einem intensiveren Informationsaustausch verpflichtet werden und eigene Erkenntnisse ausführlicher als bislang in eine gemeinsame Datenbank einspeisen. Für den Einsatz von V-Leuten - also Mitgliedern einer Szene, die dem Verfassungsschutz regelmäßig Informationen liefern - werden im Gesetz Regeln festgeschrieben. Wer etwa zu einer Haftstrafe ohne Bewährung verurteilt wurde, scheidet als Quelle für das Bundesamt aus. Es soll auch nicht so sein, dass V-Leute von ihrer Informantentätigkeit leben können. Geregelt wird auch, dass diese Quellen bei kleineren Delikten von einer Strafverfolgung verschont werden können - etwa beim Zeigen des Hitler-Grußes oder Verstößen gegen das Vermummungsverbot. Diese Vorschrift ist neu, denn bisher war die Strafverschonung nicht geregelt.


Nicht strafbar machen sich V-Leute laut Gesetzentwurf in Zukunft, wenn sie einer verbotenen Vereinigung angehören oder wenn sie Straftaten begehen, die nicht die Grundrechte anderer beeinträchtigen. Hintergrund ist die Überlegung, dass V-Leute bei manchen Delikten mitwirken müssen, wenn sie in dieser Gruppe nicht auffallen sollen. Allerdings muss alles verhältnismäßig sein, heißt es im Text.


Straftaten "von erheblicher Bedeutung" sollen den V-Leuten im Prinzip untersagt bleiben, aber auf Weisung des Behördenleiters zugestanden werden können. Diese Grundregeln, die im Grundsatz auch auf die Arbeit des Bundesnachrichtendienstes bei dessen Informationsgewinnung im Ausland anzuwenden sind, können nach Ansicht des Bundesinnenministers aber nicht alles abdecken. Man befinde sich zwangsläufig bei der vertraulichen Informationsgewinnung in einem Graubereich. Aber, so der Bundesinnenminister: "Verfassungsschutz ist eben mehr als eine Zentrale für politische Bildung." Der Entwurf sei ein "Wünsch-dir-was der Nachrichtendienste", kritisierte der Berliner Jurist Niko Härting. Er bemängelte insbesondere die erweiterte Rechtsgrundlage für eine umfassende Informationssammlung der Nachrichtendienste mit technischen Mitteln. "Der Datenstaubsauger des BND soll aufgerüstet werden. Die Abhörbefugnisse möchte man auf Cyber-Gefahren erstrecken", rügte Härting. Dies schaffe erhebliche neue Rechtsprobleme.

 


 

Thüringer Weg ohne Nachahmer


Kritik an Verzicht auf V-Leute: Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hat die Entscheidung Thüringens kritisiert, künftig auf den Einsatz von V-Leuten beim Verfassungsschutz zu verzichten. "In der Sache halte ich die Entscheidung für falsch", sagte de Maizière. "Sie dient nicht dem Kampf gegen Extremismus in Deutschland." Die möglichen Konsequenzen aus dem Thüringer Schritt für den Verbund der Verfassungsschutzbehörden in Deutschland seien nun im Kreis der Innenminister zu erörtern. "Wer sich in einem Verbund bewegt, der muss geben und nehmen. Man kann nicht immer nur nehmen", betonte de Maizière.


Viele Innenminister haben inzwischen betont, dem Beispiel Thüringens nicht folgen und an V-Leuten festhalten zu wollen - so der von Niedersachsen und von Sachsen. Der Brandenburger Innenminister wollte die Thüringer Entscheidung nicht kommentieren.