Nach Rücktritt von Bürgermeister Nierth verspricht Innenminister mehr Schutz für Kommunalpolitiker
Von Romy richter
Tröglitz. Der Fall aus einem kleinen Ort in Sachsen-Anhalt
schlägt nun auch bundesweit hohe Wellen: Nach dem Rücktritt des von
Rechtsextremisten bedrohten Tröglitzer Ortsbürgermeisters Markus Nierth
(parteilos) ist auch die Bundespolitik alarmiert. Die Landesregierung
kündigte Konsequenzen an.
Zugleich werden voraussichtlich im Mai die ersten Asylbewerber in der
Gemeinde Tröglitz erwartet. Ende März wird es eine Einwohnerversammlung
geben, auf der die Bürger informiert werden sollen. Der Kreistag des
Burgenlandkreises beschloss am Montagabend mit breiter Mehrheit die
Unterbringung von 40 Flüchtlingen im Ortskern. Es sei ein Signal, dass
man nicht einknicke vor Demonstrationen der rechtsextremen NPD, so
Landrat Götz Ulrich (CDU).
Markus Nierth fühlt sich allein gelassen
Im Streit um dieses Vorhaben hatte sich der 46-jährige Nierth lange für
eine Willkommenskultur stark gemacht. Die Situation eskalierte jedoch,
als Rechtsextreme für vorigen Sonntag eine Demonstration direkt vor
seinem Wohnhaus angemeldet hatten. Er erklärte daraufhin, dass er sein
Amt niederlege, "weil ich enttäuscht bin, dass die Behörden und das
Landratsamt mir nicht einmal einen Mindestschutz meiner Familie
gewähren". Nierth betonte, dass er nicht dem Druck der Rechten weiche,
sondern sich von Landkreis, Parteien und Nachbarschaft allein gelassen
fühlte.
Nierth ist Theologe, arbeitet als freiberuflicher Trauerredner, und
übernahm vor fünfeinhalb Jahren des Amt des Ortschefs. Er gilt als
engagiert. Das 2700 Einwohner zählende Tröglitz gehört zur Gemeinde
Elsteraue im Burgenlandkreis im Dreiländereck Sachsen-Anhalt, Sachsen
und Thüringen. Nierth ist verheiratet und hat in seiner
Patchwork-Familie sieben Kinder, die er vor den Anfeindungen schützen
wollte, wie er sagte. Seine Frau betreibt eine Tanzschule im Ort.
Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) kündigte nach
Bekanntwerden des Falls an, künftig ehrenamtliche Bürgermeister besser
schützen und Aufmärsche vor deren Wohnhäusern unterbinden zu wollen.
Dafür soll ein Erlass erarbeitet werden. Für den Freitag kündigte
Stahlknecht eine gemeinsame Arbeitsbesprechung der
Verfassungsschutzbehörden der mitteldeutschen Länder sowie
Polizeivertretern in Zeitz an.
Immer wieder werden Bürgermeister zur Zielscheibe. Sie müssten oftmals
ihren Kopf hinhalten für Dinge, die sie nicht zu verantworten haben,
weiß auch der Landesgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes
Sachsen-Anhalt, Jürgen Leindecker. Er sprach gestern in Magdeburg mit
Blick auf Nierths Gründe für seinen Rücktritt von einem "bedrückenden
Fall". Entscheidend sei, dass die örtliche Gemeinschaft zu ihrem
Bürgermeister stehe, ihn unterstütze und nicht im Regen stehen lasse,
appellierte Leindecker. "Die Kommunalpolitiker dürfen nicht auf
verlorenem Posten stehen."
Rechte Gewalt bleibt Problem
Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özogus (SPD),
forderte eine bessere Informationspolitik. Sie sprach mit Blick auf
Tröglitz von einem "verheerenden Alarmsignal" für die Demokratie. Nötig
seien mehr Aufklärung und mehr Informationen, "damit jeder verstehen
kann, warum Flüchtlinge zu uns fliehen und wie man helfen kann",
erklärte die SPD-Politikerin.
Laut Einschätzung der Mobilen Opferberatung bleibt rechte Gewalt ein
Problem in Sachsen-Anhalt, trotz eines leichten Rückgangs der Taten.
Zunehmend seien Flüchtlinge unter den Opfern, teilte die Beratungsstelle
mit. Im vergangenen Jahr seien 103 Gewalttaten mit 140 direkt
betroffenen Opfern bekanntgeworden, vor allem Körperverletzungen, aber
auch Brandstiftungen, Nötigungen und Bedrohungen.
Provokation in Tröglitz kein Einzelfall
Parolen skandieren, Steine werfen, Angst einjagen: Bundesweit werden Politiker von Rechts bedroht
Von maren hennemuth
Berlin. Markus Nierth, bisher der Ortsbürgermeister des
sachsen-anhaltischen Tröglitz, ist zurückgetreten, weil er sich
rechtsextremer Hetze ausgesetzt sah. "In dieser Form ist es ein
Einzelfall", sagt der Berliner Rechtsextremismus-Forscher Hajo Funke.
"Aber es gab immer wieder solche Fälle." Und Alexander Häusler vom
Forschungsschwerpunkt Rechtsextremismus der Fachhochschule Düsseldorf
meint: "Es ist kein Einzelfall, allerdings ist es ein herausragendes
Beispiel, weil hier ein Bürgermeister tatsächlich zurückgetreten ist."
Im Januar brannte das Auto des Berliner Linken-Politikers Hans
Erxleben. Der Bezirksverordnete von Treptow-Köpenick tritt seit Jahren
schon gegen Rechtsextremismus ein. Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau
erhielt zuletzt wegen ihres Einsatzes für eine Flüchtlingsunterkunft in
ihrem Berliner Wahlkreis über 40 Mord- und Gewaltdrohungen. Der
Oberbürgermeister von Magdeburg, Lutz Trümper (SPD), steht aktuell unter
Personenschutz, weil er drei Morddrohungen erhielt. In einem der Briefe
stand laut Magdeburger Volksstimme der Satz: "Ein Baum, ein Strück,
Trümper". Und immer wieder werden auch Bürgermeister kleinerer Städte
oder Gemeinden zur Zielscheibe. In Ratzeburg (Schleswig-Holstein)
tauchten 2012 an mehreren Gebäuden Morddrohungen gegen den parteilosen
Bürgermeister Rainer Voß auf. Die Täter wurden im rechten Lager
vermutet, Voß hatte zuvor in einem Bündnis gegen Rechts mitgewirkt. In
Güstrow (Mecklenburg-Vorpommern) beschmierten Unbekannte 2013 das
Wohnhaus des parteilosen Bürgermeisters Arne Schuldt mit der Parole
"Lichtenhagen kommt wieder". Rechtsextreme hatten zuvor gegen eine
geplante Flüchtlingsunterkunft mobil gemacht.
Simone Rafael von der Amadeu-Antonio-Stiftung vermutet eine gezielte
Strategie hinter solchen Angriffen: "Das ist eine ganz klare Taktik, mit
der die Nazis versuchen, anderen Angst zu machen und so zu erreichen,
dass ihre politischen Ziele erfüllt werden." Sie spricht von
verschiedenen Eskalationsstufen. Drohungen auf Demonstrationen seien das
eine. "Wenn es Angriffe auf das eigene Parteibüro sind, wird es schon
persönlicher, weil man weiß: Jemand hat sich die Mühe gemacht, die
Adresse herauszufinden", sagt sie. "Und noch viel schlimmer wird es,
wenn es sich um das persönliche Wohnhaus handelt, das für jeden
Rückzugsort ist."
In Dortmund wollten Anhänger der Partei "Die Rechte" im Dezember vorm
Wohnhaus von Oberbürgermeister Ullrich Sierau (SPD) und zwei weiteren
Privatadressen demonstrieren. Immer wieder gibt es in der Stadt
Drohungen von extrem Rechts. Vor Kurzem veröffentlichten Unbekannte
falsche Todesanzeigen von kritischen Journalisten und Politikern aus
Dortmund. Am Montagabend verfolgten Maskierte einen Reporter nach einer
Neonazi-Kundgebung und bewarfen ihn mit Steinen.
Sierau kann die Entscheidung von Nierth verstehen: "Ich kann den Fall in
Tröglitz nicht im Detail beurteilen, habe aber den Eindruck, dass der
Bürgermeister allein gelassen wurde", sagt er. Für ihn selbst komme ein
Zurückweichen vor Rechtsextremisten aber unter keinen Umständen in
Frage. Auch der Thüringer Linken-Abgeordnete Steffen Harzer wurde Opfer
eines Angriffs, als er noch Bürgermeister von Hildburghausen war. 2008
hielten mehrere Rechtsradikale vor seinem Haus an und skandierten rechte
Parolen. Nach Zeugenaussagen soll ein stadtbekannter Neonazi dem
Bürgermeister zugerufen haben: "Dein Haus wird brennen." Er habe sich
damals vor allem um seine Familie gesorgt, sagt Harzer heute. "Ich halte
es aber für das falsche Signal aufzugeben. Man muss auf die
Zivilgesellschaft bauen."