Obwohl die Stadt die Unterkunft dringend gebraucht hätte, wurde sie vom Liegenschaftsamt verkauft
Von Jens Rometsch
Am 30. Januar 2015 beschwerte sich Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard
Jung (SPD) in einem Brief an Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU)
über die schlechte Zusammenarbeit bei der Einrichtung von
Asylunterkünften. "Fassungslos" mache ihn, dass die Stadt nicht vorab
über den Plan des Freistaates informiert wurde, in der Dölitzer
Friederikenstraße 37 ein Erstaufnahmelager für 350 Flüchtlinge
einzurichten.
In Jungs Rathaus läuft die Zusammenarbeit allerdings auch nicht besser.
Denn noch vor wenigen Monaten gehörte die Friederikenstraße 37 der
Stadt selbst. Erst im Sommer 2014 hat das Liegenschaftsamt das fast zwei
Hektar große Grundstück für 500000 Euro an die KKS Projekt GmbH
verkauft.
Nach LVZ-Informationen bot KKS die Immobilie - kurz nach dem Erwerb von
der Stadt - der Stadt zur Miete als Flüchtlingsheim an.
Sozialbürgermeister Thomas Fabian (SPD) besichtigte daraufhin die leeren
Räume, die 1955 als Ingenieurschule mit Wohnheim erbaut wurden. Fabian
zeigte sich begeistert. Schließlich hatte die Stadt schon längere Zeit
Probleme, wenigstens Notunterkünfte für die stark wachsende Zahl von
Asylbewerbern zu finden. Am 22. Dezember 2014 folgte im Rathaus eine
erste Verhandlungsrunde zwischen dem Sozialamt und KKS. Zwar wurde noch
nicht über konkrete Mietpreise geredet, doch im Prinzip schienen sich
alle einig.
Dann brach der Kontakt überraschend ab. Am 28. Januar - zwei Tage vor
Jungs Protestbrief - verschickte der Freistaat eine Pressemitteilung.
Inhalt: Das Land Sachsen wolle nun die Friederikenstraße als
Flüchtlingsheim nutzen. Der Mietvertrag dazu wurde erst am selben Tag
unterzeichnet. Zur Miethöhe gab der Freistaat auf LVZ-Nachfrage keine
Auskunft. Auch bei einer Bürgerinformationsveranstaltung, die morgen 19
Uhr im Connewitzer Werk II beginnt, bleibe die Miethöhe geheim, so eine
Sprecherin.
Nach Ansicht von Fachleuten entstand der Kommune ein Schaden in
Millionenhöhe. Allein dadurch, weil sie das Grundstück verkauft hat.
"Das Rathaus hätte das Gebäude ja auch verpachten und durch einen
Investor herrichten lassen können. Dann wären die Konditionen sehr
günstig gewesen", so Linke-Stadträtin Margitta Hollick. Ihre Fraktion
hat dazu eine Anfrage für die Ratsversammlung diesen Mittwoch gestellt.
Tatsächlich entspricht der Verkaufserlös von 500000 Euro etwa der Miete,
die sonst für nur 200 Plätze jährlich anfällt. Mitunter zahlt die Stadt
deutlich mehr.
Wirtschaftsbürgermeister Uwe Albrecht (CDU) mag dennoch kein Versagen
bei dem ihm unterstellten Liegenschaftsamt erkennen. Das Sozialdezernat
habe versäumt, für die Friederikenstraße 37 rechtzeitig Bedarf
anzumelden, sagt er. Sozialamtsleiterin Martina Kador-Probst sieht das
offenbar anders. Sie hat unlängst beim Liegenschaftsamt protestiert.
Nach LVZ-Informationen wurde das Objekt in Dölitz dem Sozialamt zuletzt
vor über fünf Jahren als Asylheim angeboten. Damals gab es tatsächlich
noch keinen Bedarf. 2014 - als die Not immer größer wurde - offerierte
das Liegenschaftsamt den Kollegen ausschließlich ungeeignete Objekte.
Obwohl diese geradezu um Unterstützung flehten.
Natürlich musste der erst Ende Mai 2014 eilig angeschobene Verkauf an
die KKS durch den Grundstücksverkehrsausschuss genehmigt werden. Dort
hatte Ralph Rinner, Abteilungsleiter im Liegenschaftsamt, laut Protokoll
aber unter anderem erklärt: "Eine Nutzung für Wohnungen ist
ausgeschlossen." Am 7. Juli stimmte der Ausschuss dem Deal zu. Manche
Stadträte sehen die Ursache für die Mega-Panne in einem grundsätzlichen
Problem. "Das Liegenschaftsamt verkauft noch immer Flächen als gäbe es
kein Morgen", rügt SPD-Fraktionschef Axel Dyck. Dabei sei Leipzig die am
schnellsten wachsende Kommune in Deutschland. Statt alles
loszuschlagen, müsste sie dringend Grundstücke für Kitas, Schulen,
Kultur, Sport und andere Dinge bevorraten. "Sonst müssen wir sie bald um
ein Vielfaches teuerer kaufen."
Grünen-Stadtrat Michael Schmidt fallen spontan der Ex-Tanzklub Victor
Jara am Felsenkeller, das Theater Skala in der Gottschedstraße, das
Areal des Akademischen Rudervereins am Elstermühlgraben, die
Ex-Jugendherberge am Auensee und das Stadtbad ein. Diese Objekte und
viele weitere will das Liegenschaftsamt aktuell veräußern. "Dabei könnte
die Stadt - etwa per Erbbaurecht - private Investitionen unterstützen
und dennoch Eigentümer bleiben." Für den Doppelhaushalt 2015/16 haben
SPD und Grüne beantragt, dass die Stadt und ihre Unternehmen keine
Flächen mehr verkaufen dürfen, die für die Daseinsvorsorge von Belang
sind. Ausgang offen.