"Gefühlte Kriminalität von Asylbewerbern ist weit höher als die realen Zahlen"

Erstveröffentlicht: 
20.02.2015

Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) verteidigt die Sondereinheit und kritisiert die Landesdirektion

Dresden. Die Landesdirektion hat bei der eiligen Anmietung von Asylbewerberunterkünften Fehler gemacht - allerdings in guter Absicht gehandelt. Das sagt Sachsens Innenminister Markus Ulbig (50, CDU). Im Interview spricht er zudem über das Leipziger Demo-Verbot, kriminelle Asylbewerber und Neueinstellungen bei der Polizei.

Der Asyllenkungsausschuss ist schleppend angelaufen. Hinzu kommen Fehlinformationen der Landesdirektion in Böhlen und in Leipzig. Welche Änderungen wollen Sie als übergeordnete Behörde vornehmen?


Deswegen ist die Kommunikation jetzt geändert worden. Die Landesdirektion hat in der guten Absicht gehandelt, den Druck auf die Kommunen nicht zu groß werden zu lassen. Es wurden teilweise falsche Versprechungen gemacht und Eigentore geschossen. In Böhlen zum Beispiel damit, dass die Asylbewerber nur übers Wochenende einquartiert werden sollten. Jetzt wird einiges anders geregelt: Wir gehen mit der angemieteten maximalen Kapazität und Zeitdauer zu Bürgermeistern und Landräten - und auch in die Öffentlichkeit.


Sie sprechen immer wieder von Vertrauen und Akzeptanz: Wie konnte es passieren, dass in Böhlen ein Ex-Republikaner den Zuschlag für das Ausweichquartier erhielt?


Das ist ein Sonderfall. Der Vertrag läuft bis Ende April, dann sehen wir weiter.Wir können nicht in jeden Kopf der Betreiber von Asylbewerber-Unterkünften hineinschauen. Die Landesdirektion wird momentan von den unerwartet hohen Flüchtlingszahlen getrieben. Nach einigen Schwierigkeiten sind wir auf einem guten Weg. Im Juli wird in der Leipziger Friederikenstraße eine Erstaufnahmeeinrichtung mit 350 Plätzen geöffnet, das wird noch mal Entlastung bringen. Dann folgen weitere Unterkünfte 2017 in Dresden und Leipzig.


Bis dahin sind es zwei Jahre. Werden also weitere Interimslösungen nötig sein?


Darüber werden wir gegebenenfalls reden müssen. Ich möchte in Sachsen jedenfalls nicht die Situation wie aktuell in anderen Bundesländern, wo Zelte aufgestellt beziehungsweise Gebäude beschlagnahmt werden mussten. Die Flüchtlinge sollen bei uns menschenwürdig untergebracht werden, auch wenn es momentan einen großen Zustrom gibt. Auf der anderen Seite, und das gehört auch zur Wahrheit, müssen wir denjenigen Asylbewerbern auf die Finger klopfen, die sich nicht an Recht und Ordnung halten.


Wenn man sich die realen Kriminalitätszahlen bei Asylbewerbern anschaut, könnte in der Öffentlichkeit leicht ein falsches Bild entstehen - die Straftaten sind längst nicht überdurchschnittlich gegenüber Deutschen.


Ich sehe es genau andersherum. Es gibt in der Bevölkerung einen großen Irrglauben: Die gefühlte Kriminalität von Asylbewerbern ist weit höher, als es die realen Zahlen wiedergeben, da steigt der geschätzte Anteil von tatsächlichen drei Prozent schon mal auf 30 bis 40 Prozent. Es geht bei der Arbeitsgruppe zu den Mehrfachtätern auch nur um diejenigen Asylbewerber, die innerhalb eines Jahres mehr als fünf Mal straffällig geworden sind. Insgesamt wollen wir mit dieser konsequenten Strafverfolgung die Akzeptanz von Migranten in der Bevölkerung erhöhen. Momentan ist doch eher die Meinung weit verbreitet, dass Asylbewerber machen können, was sie wollen und dafür nicht zur Rechenschaft gezogen werden. Um es klar zu sagen: Die Mehrzahl der Asylbewerber hält sich an Recht und Ordnung. Und im Übrigen: Wir schauen uns auch sehr genau Übergriffe auf Asylbewerber und Flüchtlingsheime an. Das wird im Operativen Abwehrzentrum in Leipzig konzentriert.


Stichwort Leipzig: Wegen der Absage einer Legida-Demonstration hat es zwischen Ihnen und Polizeipräsident Merbitz hörbar geknirscht. Herrschte tatsächlich kein polizeilicher Notstand?


In solchen Situationen gibt es immer mal Spannungen. Natürlich gab es keinen polizeilichen Notstand, es hätte nur ein anderes Konzept zur Absicherung gebraucht. Es kann doch nicht sein, dass die Versammlungsfreiheit nur mit 3000 oder 4000 Polizisten zu gewährleisten ist. Die Stadt Leipzig hat Spielräume, die sie ausnutzen muss. Außerdem kann sie entsprechende Beschränkungen für beide Seiten erlassen. Die Besonderheit von Leipzig ist, dass es auch eine starke linksautonome Szene gibt. Der Oberbürgermeister hat sich mit der Absage einen Bärendienst erwiesen - es hätte nicht eine Seite bevorzugt werden dürfen. Das Bild, das vermittelt wurde, war verheerend.


Beim Blick auf die künftigen Altersabgänge bei der Polizei fällt auf, dass möglicherweise die 400 Neueinstellungen pro Jahr nicht ausreichen werden. Wollen Sie hier noch mal nachlegen?


Bis 2018 wird diese Größenordnung ausreichen, hinzu kommen in diesem und im nächsten Jahr jeweils 50 Spezialisten, darunter auch IT-Fachleute. Das Geld dafür wurde in den neuen Haushalt eingestellt, der gerade vom Landtag beraten wird. Dank einer großen Werbekampagne können wir den Einstellungskorridor jetzt quantitativ und qualitativ ausschöpfen, die Bewerberzahlen haben sich im vergangenen Jahr auf 8000 verdoppelt. Doch wir wissen schon heute: Ab 2019 werden mehr als 500 Beamte pro Jahr in den Ruhestand gehen - diesen großen Schnitt haben wir im Blick.


2019, wenn der große Schnitt droht, wollen Sie längst Oberbürgermeister in Dresden sein. Für die Wahl am 7. Juni soll es auch einen Pegida-Kandidaten geben. Wie werden Sie sich abgrenzen?


Bei Wahlen gilt immer: Personen und Programme entscheiden. Da wollen wir bei Pegida mal sehen, was kommt. Mit Pegida habe ich eigene Erfahrungen gesammelt und auch eigene Entscheidungen getroffen, zu denen ich heute noch stehe. Die Bürger sollen entscheiden, wen sie als OBM haben wollen.


Sie stehen als Innenminister deutlich stärker im Fokus als Ihre Mitbewerber. Denken Sie, dass ein Wahlkampf nebenbei möglich sein wird?


Ich bin viel und schwere Arbeit gewohnt, und das wird auch der Anspruch in den kommenden vier Monaten sein. Das Amt werde ich deswegen nicht ruhen lassen. In den letzten Wochen des Wahlkampfs, im Mai, werde ich aber Urlaub nehmen und mich aus dem Ministerium komplett rausnehmen.


Interview: Jürgen Kochinke, Andreas Debski


Was Innenminister Ulbig weiter zu den Themen Asyl und Polizeireform sagt, lesen Sie unter: www.lvz-online.de/download