Leipzig. Der anonyme Internet-Aufruf zu Gewalt in Leipzig von Mitte Dezember hatte weitreichende Folgen für die Stadt. 50 Ziele sollten in der Silvesternacht 2014 attackiert werden . Das Innenministerium genehmigte auf Antrag der Polizei einen Kontrollbereich. Wie Markus Ulbig (CDU) jetzt auf Anfrage der Landtagsabgeordneten Juliane Nagel (Linke) erklärte, erstreckte sich das Areal im Prinzip auf das gesamte Stadtgebiet.
Damit konnten Beamte in 55 von 63 Leipziger Ortsteilen in allen
Himmelsrichtungen verdachtsunabhängig Personen kontrollieren. Die
Genehmigung für den Kontrollbereich galt vom 23. Dezember, 16 Uhr, bis
zum 2. Januar, 6 Uhr, so das Innenministerium.
Aus
ermittlungstaktischen Gründen hatten die Behörden bisher keine Auskunft
über Zeitraum und Ausdehnung des Kontrollbereichs gemacht. Das
Ministerium bekräftigte jetzt noch einmal, dass potenzielle „Störer“ im
Unklaren gelassen werden müssten, damit eine abschreckende Wirkung
Erfolg habe. Eine „Verlagerung oder Verdrängung in die Umgebung des
Kontrollbereichs“ werde so auch ausgeschlossen.
Attacken vor Weihnachten „lediglich Erstereignisse“
Für
die Genehmigung des Kontrollbereichs zur Verhinderung von Straftaten
nennt das Ministerium eine Reihe konkreter Anhaltspunkte. Auf der
Blog-Webseite eines niederländischen Servers waren 50 Ziele wie
Privatwohnungen, Versicherungen, Banken, Parteibüros und
Immobilienfirmen genannt worden. „In der Folge wurden in der Nacht vom
18. zum 19. Dezember 2014 die Wohnung eines Mitglieds der NPD und einer
weiteren Person, welche dem rechten Spektrum nahe steht, angegriffen“,
heißt es in der Erklärung des Ministeriums.
Die Behörde zählt
außerdem weitere Übergriffe auf, die zur Genehmigung des
Kontrollbereichs führten: Ein Polizeistandort, eine
Versicherungsfiliale, das Fahrzeug einer Privatperson und das Fahrzeug
einer in der 50-Ziele-Liste genannten Immobilienfirma seien in der Nacht
vom 21. zum 22. Dezember angegriffen worden. Die Taten stünden deshalb
möglicherweise in direktem Zusammenhang mit dem Aufruf. Die Polizei habe
davon ausgehen müssen, „dass es sich lediglich um Erstereignisse
handelt“, so das Ministerium.
Wie LVZ-Online berichtete, gab es am 29. Dezember außerdem einen
Anschlag auf eine Bankfiliale
in Lindenau. Ein Bekennerschreiben auf indymedia.org stellte einen Zusammenhang zu dem Gewaltaufruf her.
Das Innenministerium verweist zur Begründung des Kontrollbereichs
deutlich weiter zurück: 2013 und 2014 sei es zu insgesamt fünfzehn
Brandstiftungen gekommen, bei denen die Polizei einen Zusammenhang zu
dem späteren Gewaltaufruf vermutet: In der Regel seien Fahrzeuge von
Unternehmen, die in der genannten Liste stehen, sowie von
NPD-Mitgliedern attackiert worden. 2013 habe es bereits in kleinerem
Maßstab Aufrufe zu Gewalt „aus dem linksextremistischen Bereich“
gegeben. Diese seien auch umgesetzt worden. Die Behörde nennt acht
Sachbeschädigungen und weitere Brandstiftungen an Fahrzeugen.
Initiative „Für das Politische“: Umkehr der Unschuldsvermutung
Die
Leipziger Initiative „Für das Politische“ kritisiert den
Kontrollbereich am Dienstag scharf: Die Polizei stelle einen
Ausnahmezustand her und schränke das Grundrecht auf informationelle
Selbstbestimmung ein. Außerdem würden Bürger schon allein durch den
Aufenthalt an definierten „gefährlichen Orten“ verdächtig. Das sei eine
Umkehr der Unschuldsvermutung. Das Bündnis fordert in seiner Erklärung
die Polizei zu transparentem Handeln auf, sonst könnten Bürger ihre
Grundrechte nicht schützen. Sinn und Erfolg der Einrichtung von
Kontrollbereichen werden außerdem in Frage gestellt: Die Ergebnisse
seien völlig offen.
Ermittlungen gegen Gewaltaufruf-Verfasser
Das
Innenministerium gab keine Auskunft zur Zahl der kontrollierten
Personen oder verhinderter Straftaten. Das falle nicht in die
Berichtspflicht, hieß es. Es sei nicht möglich, mit abschätzbarem
Aufwand jeden polizeilich relevanten Vorgang zu recherchieren. Auch die
Polizeidirektion Leipzig wollte nicht preisgeben, ob und wie oft die
Beamten von der Kontroll-Möglichkeit Gebrauch gemacht hatten.
Grundsätzlich gelte: Wenn die Personalien der Kontrollierten
festgestellt werden konnten, und sich nichts weiter daraus ergäbe,
würden auch keine Daten gespeichert.
In der
Silvesternacht 2014
blieb es schließlich weitgehend friedlich. Gegen die Verfasser des
Gewaltaufrufs laufen die Ermittlungen. Die Staatsanwaltschaft Leipzig
hatte ein Verfahren wegen der öffentlichen Aufforderung zu Straftaten
eingeleitet. Zuständig ist der Polizeiliche Staatsschutz der Leipziger
Kriminalpolizeiinspektion. „Es gibt bereits umfangreiche Recherchen. Das
ist eine Arbeit von Monaten“, sagte Polizeisprecher Uwe Voigt am
Dienstag gegenüber LVZ-Online. Eine heiße Spur gebe es aber derzeit
nicht.