Nach Gewaltaufruf: Silvester-Kontrollbereich der Polizei galt für 55 Leipziger Ortsteile

Erstveröffentlicht: 
10.02.2015

Leipzig. Der anonyme Internet-Aufruf zu Gewalt in Leipzig von Mitte Dezember hatte weitreichende Folgen für die Stadt. 50 Ziele sollten in der Silvesternacht 2014 attackiert werden . Das Innenministerium genehmigte auf Antrag der Polizei einen Kontrollbereich. Wie Markus Ulbig (CDU) jetzt auf Anfrage der Landtagsabgeordneten Juliane Nagel (Linke) erklärte, erstreckte sich das Areal im Prinzip auf das gesamte Stadtgebiet.

 

Damit konnten Beamte in 55 von 63 Leipziger Ortsteilen in allen Himmelsrichtungen verdachtsunabhängig Personen kontrollieren. Die Genehmigung für den Kontrollbereich galt vom 23. Dezember, 16 Uhr, bis zum 2. Januar, 6 Uhr, so das Innenministerium.

Aus ermittlungstaktischen Gründen hatten die Behörden bisher keine Auskunft über Zeitraum und Ausdehnung des Kontrollbereichs gemacht. Das Ministerium bekräftigte jetzt noch einmal, dass potenzielle „Störer“ im Unklaren gelassen werden müssten, damit eine abschreckende Wirkung Erfolg habe. Eine „Verlagerung oder Verdrängung in die Umgebung des Kontrollbereichs“ werde so auch ausgeschlossen.

Attacken vor Weihnachten „lediglich Erstereignisse“

Für die Genehmigung des Kontrollbereichs zur Verhinderung von Straftaten nennt das Ministerium eine Reihe konkreter Anhaltspunkte. Auf der Blog-Webseite eines niederländischen Servers waren 50 Ziele wie Privatwohnungen, Versicherungen, Banken, Parteibüros und Immobilienfirmen genannt worden. „In der Folge wurden in der Nacht vom 18. zum 19. Dezember 2014 die Wohnung eines Mitglieds der NPD und einer weiteren Person, welche dem rechten Spektrum nahe steht, angegriffen“, heißt es in der Erklärung des Ministeriums.

Die Behörde zählt außerdem weitere Übergriffe auf, die zur Genehmigung des Kontrollbereichs führten: Ein Polizeistandort, eine Versicherungsfiliale, das Fahrzeug einer Privatperson und das Fahrzeug einer in der 50-Ziele-Liste genannten Immobilienfirma seien in der Nacht vom 21. zum 22. Dezember angegriffen worden. Die Taten stünden deshalb möglicherweise in direktem Zusammenhang mit dem Aufruf. Die Polizei habe davon ausgehen müssen, „dass es sich lediglich um Erstereignisse handelt“, so das Ministerium.

Wie LVZ-Online berichtete, gab es am 29. Dezember außerdem einen Anschlag auf eine Bankfiliale in Lindenau. Ein Bekennerschreiben auf indymedia.org stellte einen Zusammenhang zu dem Gewaltaufruf her.

 

Das Innenministerium verweist zur Begründung des Kontrollbereichs deutlich weiter zurück: 2013 und 2014 sei es zu insgesamt fünfzehn Brandstiftungen gekommen, bei denen die Polizei einen Zusammenhang zu dem späteren Gewaltaufruf vermutet: In der Regel seien Fahrzeuge von Unternehmen, die in der genannten Liste stehen, sowie von NPD-Mitgliedern attackiert worden. 2013 habe es bereits in kleinerem Maßstab Aufrufe zu Gewalt „aus dem linksextremistischen Bereich“ gegeben. Diese seien auch umgesetzt worden. Die Behörde nennt acht Sachbeschädigungen und weitere Brandstiftungen an Fahrzeugen.

Initiative „Für das Politische“: Umkehr der Unschuldsvermutung

Die Leipziger Initiative „Für das Politische“ kritisiert den Kontrollbereich am Dienstag scharf: Die Polizei stelle einen Ausnahmezustand her und schränke das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ein. Außerdem würden Bürger schon allein durch den Aufenthalt an definierten „gefährlichen Orten“ verdächtig. Das sei eine Umkehr der Unschuldsvermutung. Das Bündnis fordert in seiner Erklärung die Polizei zu transparentem Handeln auf, sonst könnten Bürger ihre Grundrechte nicht schützen. Sinn und Erfolg der Einrichtung von Kontrollbereichen werden außerdem in Frage gestellt: Die Ergebnisse seien völlig offen.

Ermittlungen gegen Gewaltaufruf-Verfasser

Das Innenministerium gab keine Auskunft zur Zahl der kontrollierten Personen oder verhinderter Straftaten. Das falle nicht in die Berichtspflicht, hieß es. Es sei nicht möglich, mit abschätzbarem Aufwand jeden polizeilich relevanten Vorgang zu recherchieren. Auch die Polizeidirektion Leipzig wollte nicht preisgeben, ob und wie oft die Beamten von der Kontroll-Möglichkeit Gebrauch gemacht hatten. Grundsätzlich gelte: Wenn die Personalien der Kontrollierten festgestellt werden konnten, und sich nichts weiter daraus ergäbe, würden auch keine Daten gespeichert.

In der Silvesternacht 2014 blieb es schließlich weitgehend friedlich. Gegen die Verfasser des Gewaltaufrufs laufen die Ermittlungen. Die Staatsanwaltschaft Leipzig hatte ein Verfahren wegen der öffentlichen Aufforderung zu Straftaten eingeleitet. Zuständig ist der Polizeiliche Staatsschutz der Leipziger Kriminalpolizeiinspektion. „Es gibt bereits umfangreiche Recherchen. Das ist eine Arbeit von Monaten“, sagte Polizeisprecher Uwe Voigt am Dienstag gegenüber LVZ-Online. Eine heiße Spur gebe es aber derzeit nicht.