In seiner nunmehr achten Auflage zeigten am Montag wieder mehrere tausend Menschen Flagge gegen eine wahrgenommene “Islamisierung des Abendlandes” (Fotos 1 | 2 | 3 | 4). Anders als in den Wochen davor, zogen die Veranstalter an diesem Tag auf Grund der im Vorfeld angekündigten Proteste eine stationäre Kundgebung gegenüber einer eigenen Demonstration vor. An den Inhalten und der Zusammensetzung der “Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes” änderte das allerdings nichts, so stellten neben etlichen bekannten Nazigrößen und Fußballhooligans erneut normale Bürgerinnen und Bürger die Mehrheit der nach Polizeiangaben letztlich 10.000 an der Lingnerallee versammelten Menschen.
In insgesamt drei Redebeiträgen wurde vor einer Islamisierung und so genannten Wirtschaftsflüchtlingen gewarnt. Ein Novum war eine mit Beifall geäußerte Forderung nach einem Rücktritt von Dresdens Oberbürgermeisterin Helma Orosz (CDU), die jedoch schon vor wenigen Wochen ihren Rücktritt als Stadtoberhaupt aus gesundheitlichen Gründen erklärt hatte.
Bereits zwei Stunden vor dem Beginn der Kundgebung von PEGIDA starteten am Neustädter Bahnhof wie in der Woche zuvor etwa 1.000 Menschen, um von dort begleitet durch ein großes Polizeiaufgebot durch die Dresdner Innenstadt bis vor das Neue Rathaus zu ziehen. In Redebeiträgen wurde zur Solidarität mit Tim aufgerufen, gegen den am Landgericht zum zweiten Mal der Prozess für seine Beteiligung an den erfolgreichen Blockaden im Februar 2011 gemacht wurde.
An einer vom Studentenrat der TU Dresden angemeldeten Demonstration beteiligten sich etwa 3.000 Menschen, darunter auch der Rektor der TU, Hans Müller-Steinhagen. Am Rathausplatz angekommen, standen sich die etwa 9.000 Menschen eingekesselt von der Polizei anschließend die Beine in Sichtweite von PEGIDA in den Bauch.
An vier weiteren Demonstrationen von Parteien, Vereinen und Initiativen hatten am frühen Abend zudem mehrere hundert Menschen teilgenommen, lediglich einhundert Menschen davon an der vom Sächsischen Flüchtlingsrat und dem Dresdner Ausländerrat getragenen Demonstration für eine Willkommenskultur.
Im Unterschied zu den letzten Wochen begleitete die Polizei an diesem Tag Gruppen von PEGIDA-Anhängerinnen und Anhängern bis zur ihrem Veranstaltungsort. Die Aufstockung des Personals dürfte auch an der unübersichtlichen Situation in der letzten Woche gelegen haben, als etwa 400 Personen den Aufmarsch am Terrassenufer mit einer Sitzblockade gestoppt und PEGIDA zur Umkehr gezwungen hatten.
Im Anschluss daran hatten sich kleinere und größere Gruppen aus Fußballanhängern und Nazis von der Demonstration entfernt und auf die Suche nach politischen Gegnern begeben. Auch am Montag strömten nach dem Ende der etwa einstündigen Kundgebung am Skatepark ein Teil der erlebnisorientierten Teilnehmerinnen und Teilnehmer von der Polizei gänzlich ungehindert in Richtung der Gegenkundgebung, dabei kam es zu Böllerwürfen und auf dem Dr. Külz-Ring wenig später zu Übergriffen.
Insgesamt rund 1.300 Beamtinnen und Beamte verhinderten jedoch eine weitere Eskalation durch einige der sichtlich auf Konfrontation ausgerichteten PEGIDA-Anhängerschaft, bei denen es auch zwei Festnahmen zu Verzeichnen gab. Auf der Gegenseite wurden von insgesamt drei Personen die Personalien festgestellt, ein Mann wurde durch einen Schlag verletzt und musste ambulant versorgt werden.
Erfreulich an diesem Tag war lediglich die große Beteiligung auf Seiten der Proteste. Die vergangenen Wochen haben jedoch gezeigt, dass auch in der nächsten Woche mit einer weiteren Steigerung bei PEGIDA zu rechnen sein muss. Weniger erfreulich an den Protesten war jedoch die Tatsache, dass sich mit Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich auch ein Vertreter der Landes-CDU und damit auch einer der maßgeblich Mitverantwortlichen für die aktuelle Situation zu Protesten gegen PEGIDA aufgerufen hatte.
Erst vor zwei Wochen hatte nicht nur sein Parteikollege Markus Ulbig (CDU), sondern auch TU-Politikprofessor Werner Patzelt (CDU) und Frank Richter als Leiter der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung (SLpB) ungeachtet der vor allem über soziale Netzwerke verbreitete Hetze für einen Dialog mit den seit Wochen protestierenden Menschen geworben. Einem Dialog allerdings, dem sich die Veranwortlichen von PEGIDA bis auf wenige Ausnahmen seit Wochen bewusst verweigern. Ob einfache aber ebenso unsinnige Zahlenvergleiche Menschen in Zukunft davon abhalten wird, ihre medial und nach dem Einzug der “Alternative für Deutschland” (AfD) auch parlamentarisch vertretenen Ängste und Vorurteile, auf die Straße zu tragen, sei einmal dahingestellt.
Während mit FDP-Stadtrat Jens Genschmar zumindest ein Politiker auf Seiten von PEGIDA Gesicht zeigte und damit einmal mehr die konservative Ausrichtung der mittlerweile in der Bedeutungslosigkeit verschwundenen sächsischen FDP sichtbar werden ließ, sollte zumindest die Beteiligung der CDU an den Gegenprotesten für kritische Stimmen im ach so weltoffenen Dresden sorgen.
War es nicht Abschiebeminister Ulbig, der angesichts steigender Zahlen von Asylsuchenden und damit einhergehenden “Ängsten und Unsicherheiten” in der Bevölkerung eine Verschärfung bestehender Asylgesetze und schließlich sogar den Aufbau einer “Sondereinheit” der sächsischen Polizei forcierte? Und ist der Erfolg von PEGIDA nicht auch das Ergebnis einer seit mehr als 20 Jahren in Sachsen nie ernsthaft geführten Debatte über demokratische Diskussionskultur, die Folgen der Globalisierung und eine Verantwortung gegenüber den Menschen, die ihre Herkunftsländer verlassen mussten.
Stattdessen wurde durch die sächsische CDU in den letzten Jahren immer wieder versucht, auch die übrig gebliebenen Reste einer politisch missliebigen Kultur zu zerstören und versucht, Vereinen die finanzielle Grundlage zu entziehen. Nicht zuletzt dürften die Unterschiede zwischen dem, was sich Sachsens CDU unter einer Willkommenskultur vorstellt, nur wenig von dem unterscheiden, was auf Seiten von PEGIDA immer wieder gefordert wird. Der Grund für den mit Ausnahme der AfD politisch formal geeinten Protest am Montag dürfte gerade bei der CDU weniger die Bereitschaft zu einer weiteren Aufnahme von geflüchteten Menschen, als vielmehr die Sorge um das Image der Stadt über die sächsischen Landesgrenzen hinaus gewesen sein.
Welche Folgen die Hetze haben kann, zeigen zwei aktuelle Beispiele aus Dresden. In der Nacht zu Sonntag kam es nach einer Party im Studentenclub Mensa zu einem Übergriff, bei dem zwei Menschen verletzt wurden und notärztlich versorgt werden mussten. Ein Leidtragender des Angriffs war ein Spieler des Rugby Clubs Dresden, welcher wegen seines Bartes als augenscheinlich gläubiger Moslem zum Opfer wurde. Dieser Übergriff reiht sich nahtlos ein in eine ganze Serie von Gewalttaten, die in den vergangenen Wochen in Dresden stattfanden.
Daran zeigt sich, dass gerade die vermeintlichen Islamkritiker, sei es in Form von PEGIDA oder einem Hetzblog, keineswegs die friedfertigen Menschen sind, die sie vorgeben zu sein. Der Übergriff macht außerdem deutlich, dass sich Rassismus der sich islamfeindlich artikuliert letztlich doch dazu führt, als “fremd” empfundene Menschen willkürlich zu attackieren.
Bleiben die Ressentiments unwidersprochen, erstarrt deren Bild einer heraufbeschworenen salafistischen Bedrohung zu einer Wirklichkeit, die im Zweifelsfall Menschenleben kosten kann. Umso wichtiger in diesen Tagen ist eine noch sehr viel stärkere Unterstützung all jener von Ausgrenzung und Diskriminierung betroffenen Menschen. Denn im Unterschied zu den immer zahlreicher in Erscheinung tretenden vorurteilsbehafteten Menschen kann dort noch tatsächlich geholfen werden.
In einem zweiten Fall war ein junger Student der TU Dresden mit dem Ziel, seine Teilnahme am Sternlauf “Dresden für alle” zu verhindern, massiv bedroht worden. Grund dafür war sein Engagement für den Studentenrat (StuRa) und seinem Aufruf, sich an den Protesten gegen PEGIDA zu beteiligen, um für eine weltoffene Stadt zu demonstrieren. Auf dem rassistischen und islamophoben Blog PI-News, welcher ebenso wie die rechte Wochenzeitung Junge Freiheit von den PEGIDA-Protesten berichtet, war anschließend ein Teil seiner Rundmail an die Studierendenschaft sowie einige persönliche Daten veröffentlicht worden.
Daraufhin gingen über 100 Drohmails und mehrere SMS bei ihm ein, in denen zum Teil sein Tod gewünscht wurde. Wie ernst solche Drohungen die Dresdner Strafverfolgungsbehörden nehmen, hatte kürzlich die ehemalige Piraten-Politikerin Anne Helm erfahren müssen. Nach einer kontrovers diskutierten politischen Aktion auf der Augustusbrücke im Februar 2014 war die 28-Jährige mit Suizid-Aufrufen und Vergewaltigungsandrohungen im Internet angegriffen worden. Gegen sie ebenfalls ausgesprochene Morddrohungen hatte die Dresdner Staatsanwaltschaft Dresden jüngst als satirisch eingeordnet.
Videobeitrag zu den gestrigen Ereignissen: