Protest gegen Muslime und Flüchtlingsheime: Der Brave-Bürger-Fremdenhass

Erstveröffentlicht: 
25.11.2014

"Wir haben nichts gegen Flüchtlinge, aber bitte nicht bei uns!" Diese und ähnliche Sätze fallen auf Kundgebungen in Dresden, Berlin und Hamburg. Der Protest gegen Asylbewerberheime und Islamisierung ist in der bürgerlichen Mitte angekommen.

 

Das Minarett von Dresden ist 62 Meter hoch. Es steht am Rande des Viertels Friedrichstadt und ist eines der architektonischen Highlights der sächsischen Landeshauptstadt. Das Minarett ist eigentlich nur ein getarnter Schornstein. Der Unternehmer Hugo Zietz errichtete in den Jahren 1908 und 1909 seine Yenidze-Tabakfabrik, die aussieht wie eine Moschee. Kuppel, Turm und die Fassadenmosaike gehören seither zum Stadtbild.

 

Mehr als ein Jahrhundert später hätte der Unternehmer wohl keine Chance, seine Pläne in Dresden zu verwirklichen. In Sachsen grassiert nämlich Islamangst. Seit Wochen demonstrieren jeden Montag Tausende Menschen in Dresden unter dem Slogan: "Patriotische Europäer gegen Islamisierung des Abendlandes" (Pegida). An diesem Montag zählte die Polizei bei der sechsten Demonstration 5500 Teilnehmer.

 

Pegida - die Abkürzung erinnert an das Bündnis Hogesa, "Hooligans gegen Salafisten", das Ende Oktober in Köln mehrere tausend gewaltbereite Rechtsextreme und Hooligans mobilisierte. Doch die Pegida-Bewegung will sich von den Schlägertypen der Hogesa abgrenzen.

 

"Wir sind keine Rassisten"


Die Protestbewegung in Dresden gibt sich betont bürgerlich. Es sind die Thilo-Sarrazin-Leser und AfD-Wähler, die in Sachsen auf die Straßen gehen. Auf ihren Bannern stehen keine platten Parolen, sondern zum Beispiel Zitate des gebürtigen Dresdners Erich Kästner: "An allem Unfug, der passiert, sind nicht etwa nur die Schuld, die ihn tun, sondern auch die, die ihn nicht verhindern."

 

Die Demonstranten in Dresden betonen, sie seien nicht gegen den Islam, sondern gegen Islamisierung und radikalen Islamismus. Wo sie die Trennlinie ziehen, erklären die Pegida-Intiatoren nicht. Auch sonst machen sie es sich sehr einfach: "Radikale Islamisten sind keine Rasse, also sind wir keine Rassisten", verkündete Pegida-Gründer Lutz Bachmann in der vergangenen Woche. Und: "Wir lieben unsere Nation aber sind gegen Sozialismus, also sind wir keine Nazis."

An diesem Montag konnte Bachmann auf der Kundgebung eine besondere Erfolgsmeldung verkünden. Sachsens Innenminister Markus Ulbig hatte wenige Stunden zuvor die Schaffung spezieller Polizeieinheiten angekündigt, die für straffällige Asylbewerber zuständig sein sollen. "Diese Forderung ist nahezu identisch zu unserer, Herr Ulbig wird aber nicht von den Medien als Nazi betitelt", freute sich Bachmann in seiner Rede vor den Demonstranten.

 

Die Große Koalition in Dresden macht rechte Forderungen damit salonfähig. Doch nicht nur in Sachsen wird der Protest gegen Asylunterkünfte und Muslime immer bürgerlicher. Im feinen Hamburger Stadtteil Harvestehude, wo Neubauten für 6000 Euro pro Quadratmeter verkauft werden, haben in diesem Monat die Umbauarbeiten für eine neue Flüchtlingsunterkunft begonnen. Das Kreiswehrersatzamt an der Sophienterrasse wird für knapp fünf Millionen Euro umgebaut, der Senat will dort bis zu 220 Flüchtlinge unterbringen.

 

Müssen Asylbewerber in Harvestehude verhungern?


Doch im Viertel der Porsche-Fahrer und Burberry-Mantel-Trägerinnen regt sich Protest. Mehrere Anwohner klagen gegen das Heim, weil sie die Unterbringung von Flüchtlingen im dortigen "geschützten Wohngebiet" für rechtswidrig halten. Eine Entscheidung steht noch aus. Auf Bürgerversammlungen zu dem Thema ging es hoch her: Anwohner fürchten steigende Kriminalität und den Wertverlust ihrer Grundstücke. "Nichts gegen Flüchtlinge, aber man muss nicht unbedingt die Gegend nehmen", brachte ein Hamburger seine Meinung gegenüber SPIEGEL TV auf den Punkt.

 

Andere zeigten sich besorgt, die Asylbewerber könnten in Harvestehude Hunger leiden, schließlich gebe es dort "keinen Penny und kein Lidl".

 

Der Berliner Stadtteil Marzahn ist das genaue Gegenteil von Harvestehude. In dem Plattenbauviertel im Osten der Hauptstadt sind die Mieten niedrig, die Arbeitslosenquote liegt im zweistelligen Bereich. Doch auch hier sagen Anwohner: "Asylanten gehören einfach nicht hierher". Auch in Marzahn haben in den vergangenen Wochen mehrfach Hunderte Menschen gegen die Errichtung von Containern protestiert, in denen Flüchtlinge unterkommen sollen.

 

Unter der Losung "Wache auf. Handeln statt klagen" demonstrieren Anwohner und Rechtsextreme. "Die NPD und andere rechtsextremistische Gruppierungen versuchen gezielt, bürgerliche Demonstrationen für sich zu vereinnahmen", warnt Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen.

 

Erst in der vergangenen Woche hat eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung gezeigt, wie weit verbreitet Ressentiments gegenüber Flüchtlingen sind - bis weit in die bürgerliche Mitte hinein. Fast die Hälfte der Deutschen hat demnach eine abfällige Meinung von Asylsuchenden und ist etwa der Ansicht, dass Asylbewerber ihre Notlage nur vortäuschen, um Leistungen in Deutschland zu erschleichen.