Aachen: Fast 70 junge Flüchtlinge können nicht zur Schule gehen

Refugees Welcome!
Erstveröffentlicht: 
07.10.2014

AACHEN. Völlig ausgehungert kam er in Aachen an. Der Junge aus dem westafrikanischen Mali hatte sich durch den Wald über die Grenze geschlichen und offenbar tagelang nichts gegessen. Sein erstes Ziel in Aachen aber war – eine Schule.

 

Brigitte Drews lernte den Jugendlichen vor kurzem im Kinderheim in Burtscheid kennen, als eine Lehrerin den erschöpften Jungen gerade dorthin brachte. Drews, Abteilungsleiterin Soziale Dienste und Jugendpflege beim städtischen Fachbereich Kinder, Jugend und Schule, erzählt diese Geschichte, um zu erklären, was das für junge Menschen sind, die derzeit als sogenannte UMF, als unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, in immer größerer Zahl nach Aachen kommen.

„Die große Mehrheit der jungen Flüchtlinge ist unauffällig, integrationswillig, lernbereit, wissbegierig“, betont Drews. Dezernentin Susanne Schwier formuliert das ähnlich: „Diese Jugendlichen wissen genau, dass Aachen für sie der Start in ein neues Leben sein kann.“

So deutliche Worte sind angebracht, seit die Polizei Jugendliche gefasst hat, die im Verdacht stehen, schwere Raubstraftaten begangen zu haben. Sie waren als unbegleitete Flüchtlinge ins Land gekommen. Polizeipräsident Dirk Weinspach warnte aber ausdrücklich vor einem Generalverdacht gegen die Gruppe der jugendlichen Flüchtlinge in Aachen.

„Eine Bereicherung“

Schwier und Drews stellen nun erneut fest: Die allermeisten dieser Flüchtlinge sind wertvoll für Aachen. „Eine Bereicherung für jede Gemeinschaft“, sagt Schwier. „Wir können doch nicht vor dem demografischen Wandel warnen und gleichzeitig beklagen, dass junge Leute in die Stadt kommen!“

Die Versorgung der jungen Flüchtlingen in Aachen wird indes immer schwieriger. „Die Zahlen sind erneut gestiegen“, berichtet Drews. „Es kommen mehr junge Leute nach, als wir abgeben.“ Schon Ende August betreute das Jugendamt 345 junge Flüchtlinge, Ende September waren es dann sogar schon 383.

Vor drei Jahren noch blieben viele der Jugendlichen nur zwei oder drei Nächte, nachdem sie in der Grenzstadt Aachen aufgegriffen wurden. Viele verschwanden wieder, das Traumziel Skandinavien fest im Blick. „Heute dagegen bleiben drei Viertel der Jugendlichen, die wir in Obhut nehmen, bei uns“, berichtet Drews. Die Situation in den Kriegs- und Krisenländern habe sich massiv zugespitzt. Da seien die jungen Flüchtlinge froh, wenn sie es irgendwie bis Mitteleuropa schaffen.

Die Herkunftsländer der jugendlichen Flüchtlinge, das sind all die Länder, in denen Krieg, Terror oder ganz einfach blanke Not herrschen. „Nach wie vor nehmen wir zahlreiche Jugendliche aus Afghanistan auf“, sagt Drews, „aus Syrien oder aus Mali.“ In Eritrea, im Nordosten Afrikas, ist die Not mittlerweile derart groß, dass Familien dort sogar Mädchen auf die gefährliche und ungewisse Reise in Richtung Europa schicken.

Den Tag strukturieren

Für die Unterbringung junger Flüchtlinge seien in Aachen an die 150 Plätze „aus dem Boden gestampft worden“, berichten Schwier und Drews. Längst bringt das Jugendamt der Stadt Aachen junge Flüchtlinge aber auch in der Städteregion unter, die über 16-Jährigen sogar außerhalb der Städteregion. Und dennoch, berichtet Drews, „leben aktuell rund 100 Flüchtlinge in Hotels und Pensionen“. Ideal ist das nicht, das weiß man auch im Jugendamt. Obwohl man versucht, den Flüchtlingen im Hotel den Tag sinnvoll zu strukturieren: mit Deutschkursen zum Beispiel und Freizeitangeboten. „Dafür brauchen wir natürlich Fachkräfte“, sagt Dezernentin Schwier. Und die sind nicht leicht zu bekommen. „Die Personaldecke ist super eng.“

Nicht jede Integrationsgeschichte verläuft reibungslos. Unter den jungen Flüchtlingen, berichtet Drews, sei eine kleine Gruppe, die sich schwer integrieren lasse. „Manche Jugendliche haben in Südeuropa jahrelang auf der Straße gelebt. Mit unseren Regeln der Jugendhilfe tun sich einige dann sehr schwer.“

Auch an den Schulen in Aachen fehlen Plätze, um all die Flüchtlinge zu unterrichten. „Aktuell haben fast 70 Jugendliche keinen Platz an einer Schule“, sagt Brigitte Drews. Dabei seien vor den Sommerferien so gut wie alle Jugendlichen versorgt gewesen.

Weniger Flüchtlinge, das sieht man im Jugendamt realistisch, werden in nächster Zeit sicher nicht nach Aachen kommen. „Die weltpolitische Lage wird nicht friedlicher“, befürchtet Susanne Schwier, „das sehen wir jeden Abend in den Nachrichten.“