Der gesteuerte Krawall

Erstveröffentlicht: 
16.08.2014

Ein 32-Jähriger soll bei Demos in Dresden vom Sitz der Linkspartei aus Gewalttaten koordiniert haben. Ende Juli hat die Staatsanwaltschaft Dresden Anklage gegen ihn erhoben.

 

Von Alexander Schneider

Am 19. Februar 2011 stürmte die Polizei das „Haus der Begegnung“, in dem auch die Dresdner Linkspartei sitzt.

Der 19. Februar 2011 – er lässt die Justiz bis heute nicht los. Schon am Tag der bislang größten Ausschreitungen bei Demos in Dresden stand ein böser Verdacht im Raum: Im „Haus der Begegnung“, wo sich auch der Sitz der Dresdner Linkspartei befindet, sollen Gewalttaten autonomer Schlägertrupps gezielt gesteuert worden sein. Ein Mann lotste mit seinem Handy Täter zu Orten, an denen sie Straftaten begangen haben sollen. Die Ortung des Handys führte die Polizei zu dem Gebäude. Noch am Abend jenes Sonnabends stürmte das Spezialeinsatzkommando (SEK) der Polizei das Haus. 21 Männer und Frauen wurden festgenommen, Handys und Computer sichergestellt. Der Mann, dessen Handy den ganzen Tag über abgehört wurde, war jedoch schon verschwunden.

Nach jahrelangen Ermittlungen hat die Polizei den Unbekannten offenbar gefunden. Ende Juli hat die Staatsanwaltschaft Dresden Anklage gegen Raiko P. aus Berlin, ein 32-Jähriger mit Verbindung zur Gewerkschaft, erhoben. Er war nach Überzeugung der Ermittler der Inhaber des „Gewalthandys“. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm nun Landfriedensbruch vor.

Am 19. Februar 2011 kam es in der Dresdner Südvorstadt den ganzen Tag über zu zahlreichen Ausschreitungen zwischen Demonstranten der links- und der rechtsextremen Szene mit der Polizei. Mehr als 100 Beamte sowie ungezählte Demonstranten wurden zum Teil schwer verletzt. Stein des Anstoßes war ein geplanter Aufmarsch von Neonazis anlässlich des Jahrestages der Bombardierung Dresdens. In der Landeshauptstadt hatten alljährlich die europaweit größten Aufmärsche von Rechtsextremen stattgefunden. Parteien und Initiativen hatten zum Protest, das Bündnis „Dresden nazifrei“ zu Blockaden aufgerufen. Demos in der Nähe hatte das Verwaltungsgericht jedoch erst am Vorabend ausdrücklich untersagt und auf das andere Elbufer verbannt. Tausende kamen dennoch in die Südvorstadt, dutzendfach durchbrachen Störer Polizeisperren, um zu dem Neonazi-Aufmarsch zu gelangen.

Neben friedlichen Blockierern – bis heute finden Prozesse gegen Angeklagte statt – ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen Hunderte Gewalttäter, die Steine auf Polizisten warfen, Autos demolierten, Barrikaden anzündeten, eine Polizeiwache angriffen und Ähnliches. Prominentester Angeklagter ist der Jenaer Stadtjugendpfarrer Lothar König, dessen Prozess wegen schweren Landfriedensbruchs Mitte 2013 ausgesetzt wurde und ab November neu aufgerollt werden soll.

Der Vorwurf planmäßig organisierter Gewaltakte, lokalisiert in einem Gebäudekomplex, in dem sich auch die Zentrale der Linkspartei befindet, stellt eine neue Qualität der Ausschreitungen dar. Politiker, darunter Katja Kipping, die Dresdner Bundesvorsitzende der Linken, bestritten noch am Abend nach dem SEK-Einsatz diesen Verdacht entschieden. Daran hat sich bis heute nichts geändert.

Hinweise darauf erhielten die Ermittler nach SZ-Informationen auch über ein anderes Verfahren gegen Mitglieder der sogenannten Antifa-Sportgruppe – Autonome, denen der gesetzestreue Kampf gegen rechts nicht genügt. Die bis zu 20 Verdächtigen sollen bereits ab 2009 in Dresden gezielt Neonazis verfolgt und zusammengeschlagen haben. Gegen sie wurde schon seit Längerem wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung (Paragraf 129) ermittelt. Das Verfahren ist noch nicht abgeschlossen, sagte Lorenz Haase, der Sprecher der Staatsanwaltschaft. Am 19. Februar soll diese „Sportgruppe“ in Freital zwei Reisebusse aus Jena und Apolda, die zuvor Neonazis nach Dresden gebracht hatten, mit Steinen beworfen haben. In einem Bus saß noch der Fahrer, als die Täter bis zu 1,9 Kilogramm schwere Steine in die Frontscheibe warfen. Steine, die laut Haase eigens mitgebracht wurden. Diesen Angriff etwa habe Raiko P. befohlen – der Mann, dessen „Gewalthandy“ in dem Haus an der Großenhainer Straße geortet wurde.

Im „Haus der Begegnung“ befand sich die Demo-Zentrale von „Dresden nazifrei“. Nachrichten vom Demogeschehen liefen dort ein – etwa Polizeisperren, Ausschreitungen, Bewegungen von Neonazis. Raiko P. soll zumindest von diesen Informationen profitiert haben. Auf seinem „sauberen“ Handy hatten sich angeblich mehrere Schlägertrupps – mit sauberen Handys – angemeldet. Sie waren aus ganz Deutschland angereist. P. soll sie dann zu Einsatzorten gelotst haben. Nach SZ-Informationen mit Anweisungen wie „macht dort mal Remmidemmi“. Eine solche Koordination setzt einiges an Vorbereitung und Absprachen voraus. Lothar Haase: „Es ist schwer vorstellbar, dass andere in dem Haus das nicht mitbekommen haben.“ Wann der Prozess am Amtsgericht Dresden stattfinden wird, ist unklar. Die Akte liegt derzeit beim Verteidiger des Angeschuldigten.