Antrag gegen Richter im NSU-Prozess

Erstveröffentlicht: 
01.07.2014

Turbulenter Verhandlungstag im NSU-Prozess: Der Mitangeklagte Ralf Wohlleben fordert die Ablehnung des gesamten Gerichtssenats wegen Befangenheit.

 

München. Im Münchner NSU-Prozess hat der Mitangeklagte Ralf Wohlleben die Ablehnung des kompletten Gerichtssenats gefordert. Ein anderer Senat des Oberlandesgerichts muss jetzt darüber entscheiden, ob die Richter wegen Besorgnis der Befangenheit ausgeschlossen werden. Das könne mehrere Tage dauern, sagte eine Justizsprecherin. Bis dahin wird der Prozess mit der bisherigen Besetzung fortgesetzt.

 

Wohllebens Anwältin Nicole Schneiders begründete den Antrag am Dienstag damit, dass das Gericht nur belastende Umstände zur Kenntnis nehme, entlastende dagegen ignoriere. Sie bezog sich auf einen Beschluss des Senats, der einen Antrag auf Haftverschonung für Wohlleben abgelehnt hatte. Darin ging es vor allem um Aussagen des geständigen Mitangeklagten Carsten S. zur Beschaffung der Tatwaffe vom Typ „Ceska“. Diese Aussagen seien teils widersprüchlich, teils möglicherweise durch Berichte in Medien überlagert, sagte die Anwältin.

 

Zeuge verweigerte Aussage

 

Wohlleben war im November 2011 nach dem Auffliegen des NSU-Trios verhaftet worden und sitzt seitdem in Untersuchungshaft. Laut Anklage soll er die „Ceska“-Pistole organisiert und das NSU-Trio im Untergrund unterstützt haben. Mit der Pistole waren neun der zehn Mordopfer des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ erschossen worden.

 

Erst nach mehreren Unterbrechungen konnte das Gericht am Dienstag mit der Vernehmung des einzigen Zeugen des Tages beginnen. Es handelte sich um einen mutmaßlichen Unterstützer des „Nationalsozialistischen Untergrunds“, der nach eigenem Bekunden zwar nicht mehr politisch aktiv sei, aber nach wie vor für einen „Sozialismus innerhalb der nationalen Grenzen“ eintrete. Über seine Verbindungen zu den militanten Hammerskins verweigerte er mehrfach die Aussage. Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl drohte ihm eine Ordnungsstrafe an.

 

Die Hammerskins gelten als militante Skinheadgruppe aus dem Umfeld des NSU. Bei der Vernehmung zitierte der Richter mehrfach aus Ermittlungsakten, in denen es etwa heißt, der Zeuge sei Mitglied des „Chapter Westsachsen“ der Hammerskins gewesen. Ähnlich wie bei Rockergruppen steht der englische Begriff Chapter für Ortsgruppe. Über die Hammerskins habe er „weitreichende Kontakte nach Europa und bis nach Amerika“ gepflegt.

 

Der Zeuge verweigerte auf sämtliche Fragen dazu die Aussage und antwortete: „Ich möchte zum Thema Hammerskins gar nichts sagen.“ Der Richter erwiderte: „Dann müssen Sie damit rechnen, dass gegen Sie Ordnungsmittel ergriffen werden.“

 

Kontakte im Gefängnis geknüpft

 

Der Zeuge räumte ein, wegen mehrerer Gewalttaten dreieinhalb Jahre im Gefängnis gesessen zu haben. Die lange Haftzeit habe einen „positiven Nebeneffekt“ gehabt: „Man kann sich weiterbilden und reflektieren.“ Im Gefängnis habe er viele Kontakte geknüpft und seine spätere Freundin kennengelernt, die ihm als Mitglied einer neonazistischen Gefangenenhilfe Briefe ins Gefängnis schickte und ihn dort auch besuchte. Den Namen und die persönlichen Daten dieser Frau benutzte Beate Zschäpe später im Untergrund. Nach der Freilassung sei er politisch noch aktiver gewesen als vorher und habe vor allem Kontakt zu dem Mitangeklagten Wohlleben und einem weiteren Unterstützer gepflegt. Richter Götzl kündigte an, dass er den Zeugen ein weiteres Mal laden wird. (dpa)