VOR GERICHT: Ein Freiburger Verbindungsstudent muss sich wegen schwerer Körperverletzung verantworten / Emmendinger brach sich zwei Halswirbel.
Von Peter Sliwka
FREIBURG/EMMENDINGEN. Ausgerechnet auf einer Geburtstagsfeier passiert es im Haus einer Studentenverbindung in Freiburg: Nachdem Bier und insbesondere Cocktails in Strömen geflossen sind, geraten nach Mitternacht ein stark betrunkener Gast aus Emmendingen und ein angetrunkener Verbindungsstudent aneinander. Der Student gibt dem Gast mit beiden Händen einen kräftigen Stoß vor die Brust. Der Gast fliegt nach hinten weg, über die Schwelle der offenen Haustür und einen Absatz hinaus eine steinerne Treppe hinunter. Auf den Stufen bleibt er reglos liegen.
Es ist 2.22 Uhr am 28. März 2009, als die Cocktailparty der jungen Leute abrupt endet. Schlagartig ernüchterte Partygäste sorgen dafür, dass der nicht mehr ansprechbare 24-Jährige auf den Stufen nicht mehr bewegt wird. Sie tun gut daran, denn er hat sich beim Sturz, wie anschließend in der Universitätsklinik diagnostiziert wird, zwei Halswirbel gebrochen. Arme, Beine, Blase und Mastdarm des Emmendingers sind gelähmt.
Im Haus der Studentenverbindung wird der 23-jährige Student, der mit beiden Armen zugestoßen hat, von älteren Semestern bis zum Eintreffen von Notarzt und Polizei auf sein Zimmer geschickt. Das verhindert eine weitere, mögliche Eskalation mit den ebenfalls angetrunkenen Freunden des Schwerverletzten.
Jetzt, zu Beginn des Wintersemesters, muss sich der 23-jährige Student wegen schwerer Körperverletzung vor einem Schöffengericht des Amtsgerichts verantworten. Ein junger Mann im fünften Semester, den seine Freunden als ehrgeizig beschreiben, der zehn Stunden am Tag zu lernen pflegt, der politisch tätig ist und der nach der Promotion in Berlin, in Brüssel oder Straßburg tätig sein will. Ein psychiatrischer Gutachter stuft ihn als überdurchschnittlich intelligent, als überangepasst und leicht zwanghaft ein, versehen mit einer deutlichen Selbstwertproblematik. Voraussetzungen für eine denkbare Einschränkung seiner Schuldfähigkeit kann der Psychiater aber nicht erkennen. Auch wenn die Alkoholisierung des Studenten zur Tatzeit bei maximal 1,39 Promille gelegen habe.
Zahlreiche Zeugen haben bei ihm an jenem Abend keine nennenswerten alkoholbedingten Ausfallerscheinungen beobachtet, die für eine Einschränkung seiner Schuldfähigkeit sprechen würden.
Dem angeklagten Studenten gegenüber sitzt der Verletzte. Er ist 24 und gelernter Bestatter. Genauer, er ist es gewesen, denn er wird diese Arbeit nicht mehr leisten können. Der 24-Jährige hat seit dem Treppensturz eisernen Willen und Durchhaltevermögen bewiesen: Er kann trotz der ehemals niederschmetternden Diagnose wieder ohne Hilfsmittel laufen, Arme, Hände und Finger bewegen. Titanplatten fixieren die gebrochenen Wirbel, eine Bandscheibe wurde entfernt. Er hat in Rehakliniken unermüdlich trainiert: "Allein zum Becher greifen und ohne Hilfe etwas trinken zu können, das hat mich motiviert." Und er klagt nicht darüber, dass er, obwohl zu 100 Prozent schwerbehindert, vom Staat nur die Grundsicherung zum Lebensunterhalt erhält. Das ist weniger als Hartz IV. Er hofft auf weitere Verbesserungen, darauf, dass er in den Händen wieder genug Kraft zum ausdauernden Schreiben habe wird. Dann will er das Fachabitur machen.
Der Angeklagte kann oder will sich an die entscheidenden Momente, seinen Stoß und dem, was ihm vorausgegangen ist, nicht erinnern. Der Gestürzte hat an den Abend keinerlei Erinnerung mehr. Das Gericht befragt die Ausrichter der Party, die von der Studentenverbindung den Raum gesponsert bekommen haben. Es befragt die Gäste. Sie berichten Unterschiedliches. Hat der später zu Fall gebrachte 24-Jährige ein Bierglas aufgrund seiner Trunkenheit, 2,2 Promille wurden gemessen, auf die Tanzfläche geworfen, ist es ihm bei einer Armbewegung entglitten wie ein Bowlingkugel? Die Aussagen widersprechen sich. Waren möglicherweise Beleidigungen Auslöser für den von allen Zeugen als heftig erinnerten Stoß des Angeklagten? Ein Zeuge will gesehen haben, dass der Stoß von hinten erfolgte.
Die Studentenverbindung hat bereits eine Konsequenz gezogen: Sie lässt Fremde nicht mehr bei sich feiern.
Der Prozess wird heute fortgesetzt.