Anders lässt es sich kaum ausdrücken: Die ferngesteuerte Partei der verbotenen N(o)Stalgie hat mit ihrer Doppelklage die deutsche Justiz bloßgestellt. Das ist in etwa so als würde der Justitia-Skulptur die angemeißelte Augenbinde abgerissen, oder als schießt sich der ärgste Jubelpatriot zwei Finger weg um nicht im Giftgasgraben zu verenden. Der angeschlagene Skandalpräsident hat nämlich mit seinen pädagogisch wenig nachhaltigen Eskapaden wahrlich ein schlechtes Beispiel gegeben: Die mangelnde Alltagstauglichkeit seiner Äußerung ist ihm offenbar gänzlich entgangen, denn der präsidiale Schulausflug war nichts weiter als eine eitle Selbstdarstellung ohne Bildungswert außer dem bereits genannten. Vorsichtig gesagt ging es dem verlogenen Dummschwätzer nicht darum den Schülern etwas zu erklären, sondern diejenigen an denen er sich gerade abarbeitet zu verärgern, und die Schüler, insbesondere die in den Fokus der massenmedialen Wahrnehmung geratene Fragestellerin, wurden lediglich zu diesem Zweck als Statist_innen instrumentalisiert. Lektion: Zur politischen Bildung hat dieser Mann nichts Eigenständiges beizutragen.
Zuerst das Urteil: Das gescheiterte Gericht hätte hier schneller auf die Spaßbremse treten müssen – nicht wegen der NPD sondern wegen der Unterrichtssituation. Insbesondere hätte es unterlassen müssen aus Personenkult heraus pädagogische Ungeschicklichkeiten – oder sind es schon Unschicklichkeiten – rechtfertigen zu wollen. Vor allem hätte es urteilen können dass die Justiz nicht verpflichtet ist dem berufsjugendlichen Diskursideologen G. einen Verbesserungsvorschlag zu machen um ihn zurückzupfeifen. Ein staatlicher Repräsentant zu Besuch in einer staatlichen Schule, der dermaßen aus der Rolle des Oberhirten seiner Lehrer fällt, was ist denn das? Außer ein gefundenes Fressen für seine Angriffsziele?
Auf die Schülerfrage nach den Wahlplakaten sind mehrere Antworten denkbar. Die nächstliegendste Antwort dass niemand sich eine Wahl abverlangen lassen muss bei welcher demokratischen Partei die Dekonstruktion zu beginnen habe wird dem Beschuldigten mangels politischer Freigeistigkeit gar nicht erst einfallen sein, doch dafür ist er nicht zu belangen. Anders ist dies jedoch bei der staatsmännischen, der seelsorgerischen und der pädagogischen Antwort.
Der Politiker hätte auf die Problemlage der Wahlkampfkostenerstattung hingewiesen, die lediglich dazu eingeführt wurde die Nebenwirkungen einer fragwürdigen Prozenthürdenregelung zum kompensieren. Wenn sich eine Miniatur-NPD eine ebenso kleinteilige Partnerpartei suchen müsste um erst durch Zusammenlegen überhaupt einen Sitz im Parlament zu erhalten, anstatt mit einer Art vereinsmeierischem Ablasshandel überschüttet zu werden, hätte wohl auch die politische Auseinandersetzung ein höheres Niveau. Der Gedankengang ließe sich eigenständig ausdiskutieren. Das soll an dieser Stelle jedoch nicht geschehen, sondern die Anhänger eines Repräsentativsystems sollten sich ihre eigenen Köpfe zerbrechen.
Der Geistliche hätte auf den menschlichen Aspekt der Situation eingehen können. Wenn eine behördlich ferngesteuerte Partei vor behördlich eingerichteten Lagern aufmarschiert um den dort festgehaltenen Geflüchteten eine Ansage zu machen, ist das eine Drohung oder eine Warnung? Sicherlich den zu erwartenden Intentionen der Zielgruppe nach das erstere, aber der objektiven Konstellation nach ist es auch das letztere. Dem ambitionierten Seelsorger müsste zweifellos aufgefallen sein dass die kulturübergreifende Bedeutung solcher wie gesagt ferngesteuerter Drohungen eine Warnung ist: Wenn Sie herkommen um hier die politische Freiheit zu finden die Sie andernorts vermissen, dann müssen Sie die Präsenz derjenigen die sich in Ihrem Angesicht abreagieren als Warnung begreifen dass eine solche Erwartungshaltung die hiesige Realität beschönigt.
Ein Profi hätte vielleicht auf die altindische Weisheit vom Löschen des Seelenbrandes aufmerksam gemacht, nach der die vom totaldemokratischen Nationalstaat Enttäuschten schreien. Und auf die Hilflosigkeit hinter dem Ansinnen die eigene Verletzung dadurch loswerden zu wollen sie an andere weiterzugeben. Die Problematik der vom eigentlichen Gegenstand ihrer Empörung ferngesteuerten Wutbürger ist auch aus Nordamerika bekannt, in Form der dort so genannten „Tee-Partei.“ Auch deren Auftritte waren weniger als Drohung zu werten, obwohl diese in Zusammenwirkung mit dem militärisch-industriellen Komplex durchaus gefährlich sein könnte, doch dazu braucht sie diesen während das umgekehrt nicht der Fall ist. Eine NPD die nicht durch den staatlichen Rassismus des Lagersystems angefeuert würde ist nicht gefährlicher als irgendein anderer Reservistenklub. Und aus der Sicht der Geflüchteten beschränkt sich die Bedeutung ihrer Auftritte eben nicht auf die Beobachtung dass es hier „Spinner“ gibt, sondern deren Vorkommen zeugt davon dass keine politische Freiheit vorzufinden ist. Denn ohne dass idiotische Bespitzelungssystem würde die NPD in der derzeitigen Form überhaupt nicht existieren.
Ihre Themen hätten sich entweder inhaltlich weiterentwickelt oder wären versickert. Es ist ja tatsächlich oft so dass es woanders mehr Platz gibt, ebenso wie hier sehr viel blödsinnigere Formen von Nationalismus anzutreffen sind als derjenige der sich von den falschen Farben der Demokratie abgewandt hat. Und für einen Fremden der vielleicht idealistische Erwartungen an die „deutsche Demokratie“ hegen könnte ist die NPD ein Lehrbeispiel dafür was das ist: Ein totalitäres System das auf Bespitzelung, Betrug und bodenloser Blödheit aufbaut. Denn anders ist die behördliche Intention die zu der bekannten Situation geführt hat kaum zu beschreiben. Wer vor einem Justizversagen geflüchtet ist denkt vielleicht darüber nach was die hier vorgefundene Konstellation über das hiesige Justizsystem besagt: Die Gerichte waren nicht fähig – oder nicht willens, oder beides – dem Staatsverbrechen Einhalt zu gebieten, obwohl die einzige Hürde dazu gewesen wäre die Bespitzelungsbehörden anzuweisen ihre Tätigkeit komplikationslos einzustellen, also eine einfache Unterlassungshandlung welche keiner besonderen Ressourcen oder Fertigkeiten bedarf.
Der Pädagoge hätte sich grundsätzlich zur Problematik der Parteienverbote äußern können. Denn die Schülerfrage nach dem Abreißen lässt sich ja nicht nur für ein ein einzelnes Wahlplakat stellen sondern auch gleich für alle auf einmal. Die Fragende hat also wenn sie ihre Frage aufbläst das Mittel des Parteienverbots in der Hand. Zu den Nebenwirkungen ist bekannt dass es sich gegen Nazis so verhält wie ein simples Brettspiel – wenn eine Nazipartei staatlich verboten wird entstehen dafür zwei neue, und die Kettenreaktion führt zu immer gefährlicheren Spaltprodukten. Deswegen der Justiz-Stau bei der NPD. Zur Lösung des darin ausgedrückten historischen Problems ist das ungeeignet.
Aber auch darüber hinaus ist es von Anfang an unsinnig, wie das KPD-Verbot von 1956 belegt. Das führte zu einer politisch gewissermaßen kastrierten Kommunistischen Partei, bei der fortan die Nationalität vorne stand, in Form genau jenes idealistischen Bezugs zum Putsch von 1848 den die NPD von innen heraus verwirft. Das autoritäre Machtwort, welches das Parteienverbot darstellen will, ist nicht erst aus der Deutschstunde zum mittelständischen Charakter nachvollziehbar, sondern bereits daraus dass dem die negative Selektion des Berufsverbots folgte, welche die Qualität des Schulsystems nachhaltigst beeinträchtigte. Während das Abreißen eines Plakats eine Bedeutung hat weil es hier geschieht und nicht dort, wird die dadurch verkörperte Geste in der Verallgemeinerung bedeutungslos, das ist bereits zu erschließen bevor irgendwelche Plakate abgerissen werden.
Auch beim Parteienverbot ist ja die Unwirksamkeit vorab erkennbar. Wie in den letzten Tagen der DDR sind die Bespitzelungsbehörden Pflegefälle der Justiz. Für die Schülerin heißt das in dem Fall dass das Plakatabreißen zu einer Justizauseinandersetzung führt das Themenfeld NPD-Behörden-Gerichte eine Menge Argumentationsstoff hergibt, worüber sich vor dem Griff nach dem materiellen Unterschied nachzudenken lohnt.
Doch soll es hier nicht darum gehen den selbsternannten Spinner zu belehren. Von mir aus kann er den Schülern Räuberpistolen erzählen bis Pinocchio neidisch wird. Das die aber etwas Besseres verlangen können ist ebenso trivial. Im schlimmsten Fall ist die NPD eine destruktive Neidhammel-Partei wie die FDP nur ohne Futtermittelimporte, im besten Fall ist sei ein Sozialkomitee der vom Nationalismus als Überflüssige ausgestoßenen Spekulationsverlierer. Säße an der Stelle des Spinners ein Menschenrechtler, so hätte der vielleicht darauf hingewiesen dass die Situation der NPD ein wenig an den Stalinismus nach Stalingrad erinnert – die Leitkultur verstößt ihre Getreuen. Dabei ist die NPD jedoch nicht deren externe Plattform sondern Gegenstand andauernder behördlicher Penetration.
Aus der Perspektive des Geflüchteten ist es wichtig zu wissen dass es zu dem Haupttäter in der NSU-Affäre, der den Mord im Internetcafé beging und ein behördlicher Agent ist, derzeit nicht einmal eine Wikipedia-Seite gibt. Wer sich über den Fall Andreas Temme informieren möchte muss schon einschlägige Archive aufsuchen um überhaupt einen Überblick zu erhalten. Die gesamte NSU-Affäre spielte sich bekanntlich unter dem Vordach der NPD ab. Darüber was darin geschieht ist noch weniger bekannt, außer dass es sich dabei größtenteils um behördlich fabrizierten Leerlauf handelt. Insofern ist der Griff nach der Augenbinde der Justiz nicht allein als außenwirksame Geste zu werten, sondern auch als historischer Durchgriff im Gerangel der Insassen um das schwankende Boot.
Lediglich auf paradoxe Weise hat der möchtegernmajestätische Spinner quasi Recht im Unrecht: Wenn die NPD mehrheitlich aus Spitzeln besteht, dann ist es lediglich demokratieverblendet diese Spinner zu nennen, da sie damit ja nicht die anderen repräsentieren. Das aber kann nicht gemeint gewesen sein, denn wer so denkt würde einfach seine Spinner daraus zurückziehen. Im Unterschied etwa zu Eichenprozessionsspinnern sind sie eine Beeinträchtigung auch für diejenigen die sich von der NPD weit entfernt lokalisieren (indymedia-Suchbegriff: Konservatismus+Gehwagen+Gesetze). Das Gericht hat allerdings keine Macht festzulegen wie sich diese Spezies verbreitet. Es hätte aber urteilen müssen dass Gauck zur Wahrheitsfindung nichts beigetragen hat. Und dass es nicht Sache der Gerichte ist die Qualität der Schulbildung zu beurteilen. Der großmäulige Politiker stellt sich an als hätte er seinen Kopf solange gegen eine Wand gehauen bis er selber glaubt er wäre ein Hammer.
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