Erri De Luca - Interview mit The Huffington Post Italien 2.9.2013

Lob der Sabotage im Tal Erri De Luca: "Es gehört sabotiert. Es ist der einzige Weg, um es aufzuhalten. Staatsanwalt Caselli übertreibt".

von Laura Eduati

2. September 2013

 

"Der TAV gehört sabotiert". Der von Huffington Post telefonisch kontaktierte Schriftsteller kommentiert mit kargen Worten den Vorwurf, den Staatsanwalt Caselli allen Intellektuellen gemacht hat, die in der Linken "den Terroralarm" im Susa Tal "gefährlich unterschätzen".


Caselli nennt die Namen der "Konniventen" [hier im Sinne komplizenhafter Tolerierer, d. Ü.] nicht, auf seiner Liste stehen jedoch, das ist klar, der Philosoph Gianni Vattimo und De Luca, die ihre Unterstützung der wegen Sabotage inhaftierten No Tav Aktivisten öffentlich kund getan haben. Vor wenigen Tagen wurde Vattimo wegen seinen engen Verbindungen mit den härteren Randgruppen der Bewegung [1] die Aufmerksamkeit der Staatsanwaltschaft zuteil, während der Schriftsteller im soeben erschienenen Band Nemico pubblico. Oltre il tunnel dei media: una storia NoTav von Chiara Sasso, Wu Ming 1 und Ascanio Celestini einen überaus heftigen Beitrag firmierte. ["Nemico pubblico" entspricht dem englischen Begriff "Public enemy"; in der Folge lautet der Buchtitel weiter: "Jenseits des Tunnels der Medien. Eine no Tav Geschichte", d. Ü.]


Gestern wurden zwei weitere den No Tav zugehörige junge Menschen beim Transport von Molotows, Zwillen, Bolzenschneidern, Krähenfüßen und weiteren Materials, das den Ermittlern zufolge den Zweck hatte, die Baustellen der Hochgeschwindigkeit zu beschädigen [2], verhaftet. Es ist genau diese jüngste Episode, die Staatsanwalt Caselli gegen die so genannten schlechten Lehrer anführt. De Luca hat die Äußerungen des Staatsanwaltes gelesen, bleibt aber gelassen. Er ist kein redseliger Mensch, er antwortet mit Bestimmtheit und ohne Vorbehalt.

 

Erri De Luca, hat der Oberstaatsanwalt Turins damit Recht, wenn er No Tav Terrorismus mutmaßt?

 

 Caselli übertreibt.

 

Mag sein, dass er übertreibt, im Auto der beiden jungen Leute, die verhaftet wurden befanden sich Molotows...


(De Luca schmunzelt ironisch) ja, gefährliche Eisenwaren. Genau das, womit Terroristen normalerweise ausgestattet werden. Ich erkläre es genauer: Den TAV muss man sabotieren. Dafür sollten die Bolzenschneider gut sein. Sie sind zum Beschneiden der Zäune von Nutzen. Überhaupt kein Terrorismus.

 

Sind Sabotagen und Vandalismen also zulässig?


Sie sind notwendig, um begreiflich zu machen, dass der TAV ein nutzloses und Schaden stiftendes Werk ist.

 

Sind sie auch dann zulässig, wenn sie Betriebe treffen, die für die Hochgeschwindigkeit arbeiten, wie jene Firma aus Bussoleno, die wegen den ständigen Beschädigungen die Tore schloss? Besteht nicht die Gefahr eines Konflikts zwischen Arbeitern und Talbewohnern?

 
Den TAV wird man nicht bauen. Das ist ganz einfach.

 

Der Standpunkt ist klar. Er steht aber dem der Regierung diametral entgegen.

 
Es handelt sich nicht um eine politische Entscheidung, sondern um eine von den Banken und von denjenigen, die auf Kosten des Lebens und der Gesundheit eines ganzen Tals daraus Gewinn ziehen müssen. Die Politik hat, schlicht und untertänig, bloß grünes Licht gegeben.

 

Caselli behauptet, dass wir beim Terrorismus ankommen werden, wenn es so weiter geht. Welche Lösung schlagen Sie denn vor?

 
Ich weiß nicht, was geschehen wird. Ich maße mir aber eine Prophezeiung an. Der TAV wird nie gebaut werden. Jetzt ist das gesamte Tal militarisiert, die Armee okkupiert die Baustellen, während die Ortsansässigen ihre Papiere vorweisen müssen, wenn sie zur Arbeit in den Weinberg wollen. Die runden Tische der Regierung sind gescheitert, die Mediationen sind gescheitert. die Sabotage ist die einzige Alternative.

 

Wie ist das politisch zu lösen?


Eine Regierung wird kommen, die Kenntnis von der Evidenz nehmen wird, dass das Tal die Baustellen nicht will, und sie wird endlich den Truppen den Befehl zum Abzug geben.

 

http://www.huffingtonpost.it/2013/09/01/tav-erri-de-luca-va-sabotata_n_3851994.html

 

[1] Die beiden, die gemeint sind, als Mitglieder irgendwelcher Randgruppen zu bezeichnen, ist schlicht und einfach eine arglistige Täuschung der Leser. Beide Personen genießen in der Bewegung hohes Ansehen und aufrichtige Zuneigung. Deren persönliche politische Identität ist dabei völlig irrelevant: die No Tav Bewegung ist eindeutig egalitär.

 

2] Bei den Molotows handelte sich um PET-Flaschen, die polizeilich zu Molotows deklariert wurden. Die anklagenden Staatsanwälte beantragten für die beiden Verhafteten je sechs Jahre Haft und die Verhängung einer Geldstrafe in Höhe von 10000 Euro. Verurteil wurden sie jeweils zu zwei Jahren und zwei Monaten Hausarrest sowie zur Zahlung von je 5000 Euro.