Erri De Luca - Interview mit La Repubblica 8.9.2013

Das Geständnis Erri De Lucas: "Ich habe mich an Sabotageakten der No Tav beteiligt" Der Schriftsteller: "Im Susa Tal genügen Worte nicht. In Italien gibt es eine politischen Leitperson, die dazu aufruft, zur Waffe zu greifen, auf seine Aussagen reagiert aber niemand"

von Paolo Griseri

8. September 2013

 

Turin - "Ein Intellektueller muss konsequent sein und das, was er behauptet auch praktizieren". Deshalb "habe auch ich mich an Formen der Sabotage im Susa Tal beteiligt". So äußert sich der Schriftsteller Erri De Luca, der dieser Tage im Mittelpunkt polemischer Debatten steht, zu seinen Aussagen in Zusammenhang mit den angriffen auf die TAV (Hochgeschwindigkeitszug, d. Ü.) Baustellen.

 

De Luca, kann ein Intellektueller den Folgen der Worte, die er ausspricht gegenüber gleichgültig sein?

 

"Meine Antwort lautet: Nein. Wenn es sich dann bei dem Intellektuellen um einen Schriftsteller handelt, ist gut, wenn er die Bedeutung der Worte kennt, das ist sein Beruf. Ich würde sogar noch mehr sagen: Der Intellektuelle sollte das, was er gesagt oder geschrieben hat, niemals dementieren".

 

Sie könnten Ihre Meinung aus Überzeugung ändern...

 

"Sicher. ich kenne aber ein recht einfaches Kriterium, um zu verstehen, ob jemand seine Meinung aus Überzeugung oder aus Opportunismus ändert. Wenn er aus jener Meinungsänderung einen Vorteil zieht, tut er es fast immer aus Opportunismus. Ich versuche stets, die Dinge, die ich behaupte, auch zu tun. Sie konkret zu tun, meine ich".

 

Gibt es also eine Verantwortung des Intellektuellen für das, was er sagt?

 

"Mit Sicherheit, und ganz besonders unter gewissen Umständen. In diktatorischen Regimes, unter denen das Wort verhindert wird, kann eine kleine öffentliche Stimme entscheidend sein. Ich denke an die Metapher mit dem Schuster. Was kann ein Schuster tun, der gut Schuhe bauen kann? Er kann sich, jenseits von der Arbeit, die er verrichtet, dafür einsetzen, dass alle Schuhe besitzen können. Die Verantwortung des Intellektuellen ist so ähnlich: sich für die Redefreiheit Aller einsetzen".

 

Befinden wir uns in Italien in einem Regime?

 

"Mit Sicherheit nicht. Bei uns gibt es Redefreiheit - alle reden, viele reden. Bei uns ist es nicht eine Frage der Menge der Worte, es gibt höchstens ein Problem mit deren Qualität".

 

Können Sie ein Beispiel machen?

 

"Ich denke an einige politische Leitgestalten. Personen, die über ein großes Charisma verfügen, weil sie eine Partei gegründet haben, denen viel Gehör geschenkt wird. Eine Leitfigur, die eine solche Rolle inne hat und zum Ergreifen der Waffen anstiftet, die davon spricht, dass man das Gewehr in die Hand nehmen soll... Also, diese Leitperson trägt meines Erachtens vor Allem gegenüber seinen Anhängern Verantwortung, die durch diese Worte dazu verleitet werden könnten, sie in die Tat umzusetzen. Auf jene Worte reagiert aber kein Mensch, als seien sie normal, als seien sie ein natürlicher Bestandteil der politischen Dialektik".

 

Sind wir im Begriff, uns zu gewöhnen? Mithridatisieren wir uns?

 

"Nein. Weil, siehe da, die Sanktionierungen greifen sofort, wenn es statt einer Leitperson ein einfacher Bürger ist, der sie ausspricht. Dabei ist dies paradox, weil von den Lippen eines Politikers Millionen hängen. Von den Lippen eines Menschen wie mir hängt niemand".

 

Im Gespräch über die Angriffe auf die Tav Baustellen haben sie gesagt, dass sie für einige Sabotageakte Verständnis haben. Glauben Sie, dass sie für diesen Begriff Verantwortung tragen?

 

"Der Begriff Sabotage ist Teil einer sehr langen Tradition in den Kämpfen der Arbeiterbewegung und der Gewerkschaften. Ich habe eine Feststellung gemacht: In einem Tal, das in einem Zustand der Belagerung lebt und zum Zweck der Verteidigung eines nutzlosen und Schaden stiftenden Werkes militarisiert ist, und in dem es keine anderen Möglichkeiten gibt, gehört zu werden, wird auf die Sabotage zurück gegriffen. Ich verwende Worte nicht einfach wie sie kommen. Worte haben Gewicht. Ein Beispiel: den wichtigsten Literaturpreis im Land hat ein Buch mit dem Titel: Widerstand ist zwecklos gewonnen (von Walter Siti, Gewinner des Premio Strega, Anm. d. Red.). Also, ich wäre nie auf die Idee gekommen, ein Buch so zu betiteln".

 

Welche anderen Worte überzeugen Sie denn mehr?

 

"Die meines bosnischen Freundes Izet Sarajlic, einem Dichter, den ich in den Jahren des Krieges kennenlernte, als ich als Fahrer in Hilfskonvois tätig war. Er sagte, dass er für das Glück verantwortlich zeichnen würde, weil mit seinen Liebesgedichten Hochzeiten gefeiert wurden, weshalb er aber auch für das Unglück Verantwortung trage. Deshalb blieb er in Sarajevo und teilte dort das Unglück seines Volkes. Von ihm habe ich gelernt, dass ein Intellektueller dort sein muss, wo das Leben beleidigt wird".

 

Giuseppe Esposito, ein Senator der PDL (Partito della Libertá, die Partei Berlusconis, d. Ü.) hat sich für den Begriff Boykott entschieden. Er hat dazu aufgerufen, Ihre Bücher zu boykottieren. Wie antworten sie ihm darauf?

 

"Ich denke, dass er zum Boykott eines Produkts aufruft, das er nicht kennt".

 

Glauben Sie, es gibt keine PDL-Wähler, die Ihre Bücher kaufen gibt?

 

"Klar gibt es welche. Ich glaube aber nicht, dass sich der Parlamentarier unter diesen befindet". 

 

Esposito behauptet, dass er nicht versteht, wie ein Mensch mit Ihrer Sensibilität das Leid der auf der Baustelle tätigen Arbeiter, die den Angriffen ausgesetzt sind, ignorieren kann. Wie schaffen sie das, es zu ignorieren?

 

"Ich ignoriere nicht, möchte aber gerne kontextualisieren. Und der Kontext ist der eines Tals, das seit zwanzig Jahren mit allen Kräften kämpft, um die Schändung seiner Integrität zu verhindern und dabei einen Belagerungszustand inklusive des Militärs erleidet".

 

Sie haben gesagt, dass Sie es für wichtig halten, dass ein Intellektueller auch tut, was er sagt. Haben sie das im Susa Tal getan?

 

"Gewiss, ich habe es getan. Ich habe mich zusammen mit Grundschullehrern, Verkehrspolizisten, Familienmüttern an den Autobahnblockaden beteiligt. Die Autobahnblockade ist mit Gewissheit ein obstruktionistischer Akt. Sagen wir, sie ist eine Form der Verkehrssabotage".

 

http://www.repubblica.it/cronaca/2013/09/08/news/no_tav_erri_de_luca-66104929/